Von Wiltraud Beckenbach in der fh 2/2021
Durch den ehemaligen Sozialrichter Dr. Jürgen Borchert hörte ich schon in den 1990er Jahren von der so genannten Forsthoff’schen These. Danach verschwinde ein Thema immer mehr aus der allgemeinen Wahrnehmung, je weniger aufsehenerregend es ist. Diese Aussage lässt sich an folgendem Beispiel gut belegen: Derzeit gerät die „ganz normale“ Familie – obwohl immer noch die Mehrheit – mehr und mehr aus dem Blickfeld der Politik. Wir haben ca. 8 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern, davon sind 19 Prozent alleinerziehende Elternteile. Die offizielle Darstellung in
Politik und Medien lässt jedoch den Eindruck entstehen, als seien sie die Mehrheit, um die man sich bevorzugt kümmern müsse. Die Zweielternfamilie, also 81 Prozent, bekommt mächtig Gegenwind – vor allem wenn diese Eltern auf ihr grundgesetzlich festgeschriebenes Recht pochen, für einige Zeit selbst die Erziehung ihrer Kinder zu übernehmen und
dafür ihre Erwerbstätigkeit einschränken. Dieses „rückwärtsgewandte“ Modell gehöre abgeschafft und dürfe auf keinen Fall unterstützt werden.
Deshalb ruft auch die Forderung des Verband Familienarbeit e. V. nach Bezahlung der Familienarbeit bei vielen „Offiziellen“ Schnappatmung hervor. Da könnte man sich noch eher ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) vorstellen. So läuft derzeit ein bis dahin undenkbares Gesellschaftsexperiment, an dem teilzunehmen sich eine Million Menschen beworben hatten. Davon wurden 122 ausgewählt, die 3 Jahre lang ohne jegliche Gegenleistung monatlich 1.200 Euro erhalten. In einer Langzeitstudie soll herausgefunden werden, wie sich ein BGE auf den Erwerbsarbeitsmarkt auswirkt und was die Menschen ohne Geldsorgen anders machen. Insgesamt nehmen 1500 Menschen an der Studie teil. Davon erhalten 122 das Grundeinkommen. Die übrigen 1380 Beteiligten dienen als Vergleichsgruppe. Getragen wird das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und dem Verein „Mein Grundeinkommen“, der seit 2014 für die Idee des BGE wirbt. Bezahlt werden soll die Studie und das in seinem Zusammenhang ausgeschüttete Grundeinkommen aus Spenden von rund 140.000 Privatpersonen.
Cartoon: Plassmann
Kaum begründbar erscheint, warum eine solche Studie in Auftrag gegeben wird, während eine Untersuchung, wie sich ein Gehalt für Familienarbeit auf das Zusammenleben in der Familie und den Arbeitsmarkt auswirken würde, nicht mal gedacht werden darf. Im Unterschied zu der Forderung nach Bezahlung der elterlichen Erziehungsleistung, als Lohn für reale Arbeit, erhalten die StudienteilnehmerInnen das BGE fürs Nichtstun. Dabei hat nicht nur unser Verband seit langem die Finanzierbarkeit eines eigenständigen Einkommens für Erziehungs- und Pflegearbeit nachgewiesen. Nicht einmal der Begriff „Arbeit“ wird für diese Tätigkeit angewendet; er bezieht sich nur auf die bezahlte Erwerbstätigkeit. Mit Logik hat das nichts zu tun, denn erst jüngst, als die Kitas wegen Corona geschlossen hatten und der Schulunterricht zuhause stattfand, wurde klar, welche Leistung Eltern erbringen. Viele Mütter und Väter stießen dabei an ihre Grenzen und haben wohl zum ersten Mal wahrgenommen, was Elternpräsenz in Vollzeit bedeutet. Und ganz schnell gab es vom Staat für diese wochenlange Zusatzarbeit 2020 eine kleine Prämie von 300 Euro Corona-Kinderbonus pro Kind und 2021 noch einmal 150 Euro, die natürlich in keinem Verhältnis zur Mehrarbeit steht. Aber kritisiert wurde die Zahlung nicht.
Der ewige Streit um das Ehegattensplitting gehört auch zu den Beispielen, wie mit zweierlei Maß gemessen wird. Es wurde eingeführt, weil Paare, bei denen beide Partner erwerbstätig waren, sich nach der Heirat steuerlich schlechter stellten als zwei Unverheiratete mit gleichem Einkommen. So gab es schon vor 40 Jahren Diskussionen darüber, dass es ungerecht sei, wenn Ehepaare so viel Steuern sparten, während Ledige steuerlich benachteiligt würden. Die „Hausfrau“, die ihrem Mann den Rücken frei hielt, wurde zum Feindbild: Er könne deshalb Karriere machen und nehme anderen Frauen die bezahlte Arbeit weg.
Obwohl die überwiegende Zahl der Familien im unteren und mittleren Einkommensbereich lebten, wurde unter anderem die gut gestellte Tennis spielende Zahnarztgattin aus Kronberg bemüht, um die Forderung nach Abschaffung des Ehegattensplitting zu begründen. Dabei beträgt der Splitting“vorteil“ bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen nur ca. 470 Euro ohne Berücksichtigung von Soli und Kirchensteuer.
Inzwischen haben wir gleichgeschlechtliche Ehen. Und man höre und staune: die Gruppe, die zuvor am meisten auf den „begünstigten“ Hausfrauen herumgehackt hatte, nutzt jetzt gern die Teilhabe am Ehegattensplitting und fordert inzwischen auch das Recht auf Adoption eines Kindes, weil das zu einer „Ehe“ gehöre, also zu der Familienform, die bislang als rückwärtsgewandt galt. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden umfangreich über ihre Rechte aufgeklärt. Es existieren jede Menge Vertragsvorschläge, in denen über die Nachteile eines vertragslosen Zusammenlebens informiert wird. Eine derart umfangreiche Information für zweigeschlechtliche Ehepaare, vor allem zu den Nachteilen des gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft, die de facto eine Gütertrennung innerhalb der
Ehe bedeutet, fordert der Verband Familienarbeit e.V. seit Jahrzehnten vergeblich. Das Thema ist wohl doch nicht so vordringlich? Lediglich bei einer Scheidung wird jetzt ein negatives Anfangsvermögen berücksichtigt. Vorher baute häufig die Ehefrau während der Ehe die Schulden des Mannes mit ab und schmälerte somit am Ende ihren Zugewinnanteil.
Zu den Minderheitenthemen gehört auch die ausdrückliche Berücksichtigung der „Diversen“ – 0,2 Prozent der Bevölkerung – bei Stellenausschreibungen. Dem Text männlich/weiblich ist jetzt noch ein „divers“ hinzuzufügen. Aus Sicht der InteressenvertreterInnen war das Gesetz vom Dezember 2018 ein wichtiger Schritt zur Klarstellung der Intergeschlechtlichkeit, vor allem beim Eintrag in das Geburtsregister. Einer Umfrage des Bundesinnenministeriums unter allen 16 Bundesländern zufolge wurde die Möglichkeit bislang wenig genutzt. Bis zum 30. September 2020 haben insgesamt 394 Menschen den Geschlechtseintrag divers gewählt oder den Eintrag offen gelassen. Außerdem wurden 19 Neugeborene als „divers“ registriert. Zudem stellte sich heraus, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Urteilsbegründung von bis zu 160.000 intersexuellen Personen ausging. Diese Zahl ist aus heutiger Sicht viel zu hoch gegriffen.
Um die Forderung, es sollte bei Toiletten in öffentlichen Gebäuden auch jeweils eine dritte Kabine für Menschen angeboten werden, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen, ist es inzwischen wieder still geworden. Vielleicht ist das der Überlegung geschuldet, dass es für Heranwachsende, die diese Kabine benutzen sollten, einem „Outing“ gleichkäme. Das Beispiel belegt, dass auch hier „gut gemeint“ bei weitem nicht gleichzusetzen ist mit „gut gemacht“. Manche/r Betroffene dürfte sich ob der ihr/ihm derzeit aufgedrängten Aufmerksamkeit und Fürsorge eher belästigt, wenn nicht „positiv diskriminiert“ fühlen.
Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) schätzt, dass zwischen 20.000 und 80.000 Menschen in Deutschland transsexuell sind. Nun soll dieser Personengruppe geholfen werden: Ein Gesetzentwurf zur „Anerkennung der selbstbestimmten Geschlechtsidentität“ sieht einen Rechtsanspruch auf Beratung für Menschen vor, die ihre „Geschlechtsidentität im Widerspruch zu ihren körperlichen Merkmalen definieren“.
Deshalb sollte uns die Aussage der Kinder- und Jugendmedizinerin Annette Richter-Unruh, Katholisches Klinikum Bochum, in einem FAZ Interview vom 07.09.2019 zu denken geben. Danach hätten sich bei ihr 2006 drei transidente Kinder vorgestellt. Inzwischen seien es schon mehr als 200, im Alter zwischen drei und 18 Jahren. Insgesamt würden zurzeit um die 600 Kinder und Jugendliche betreut. Bis vorletztes Jahr sei sie der Meinung gewesen, dass es viele Komponenten der Geschlechtsverunsicherung gebe: epigenetische, genetische oder umweltbedingte. … Mittlerweile denke sie aber, dass auch ein gewisser Hype hinzukomme: Es kämen weibliche Jugendliche, die Probleme mit sich, Gott und der Welt haben, sich bei den Mädchen nicht richtig aufgehoben fühlten, Angststörungen hätten, sich ritzten, depressiv seien. Und dann fänden sie im Internet den Begriff Transgender. Für sie in ihrer Situation wohl eine Offenbarung! „Queernet“, eine Organisation der LSBTTI (Lesben, Schwule, Bise- xuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle) hat erreicht, dass den Kindern schon im Kindergarten Koffer mit Büchern, Anschauungsmaterial und Spielen zur Verfügung stehen, damit unsere Kleinsten rechtzeitig über die sexuelle Vielfalt aufgeklärt werden. So soll die Broschüre „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“ Erzieher der Berliner Kitas dabei unterstützen, die Ein- bis Sechsjährigen anzuleiten, ihre eigene geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung zu hinterfragen. Offen bleibt, ob bei den Kindern damit nicht eher Verunsicherung als Aufklärung bewirkt wird. Zum Thema Bedienung von Minderheiten passt nun auch der jüngste Vorschlag aus dem Justizministerium, nämlich ein Gesetzesentwurf von Ministerin Christine Lambrecht, zur Reformierung des Abstammungsrechts. Danach soll es eine Mitmutterschaft für lesbische Paare geben. Dann würde eine weitere Frau zusammen mit der Geburtsmutter ohne Adoption Mutter. Als erste Elternstelle würde die leibliche Mutter gelten. Der männliche leibliche Elternteil bliebe außen vor, es sei denn, er adoptiere das Kind. Konsequent zu Ende gedacht hätte dann ein Kind laut Geburtsurkunde zwei Mütter, aber keinen Vater. Auch dieses Beispiel zeigt, wie bevorzugt Randgruppen wahrgenommen werden und für sie nach Lösungen gesucht wird. Es bleibt abzuwarten, wie man dieses Recht auf schwule Männer übertragen will.
Auffällig bei der sonst so zügigen Berücksichtigung von Minderheiten ist jedoch, dass der Minderheitenschutz nicht für die Frauen gilt, die ganztags ihre Kinder erziehen. Sie mussten sich schon zu Zeiten des Betreuungsgeldes anhören, sie würden nicht arbeiten und bekämen dafür auch noch Geld, diffamierend Herd- oder Fernhalteprämie genannt. Sie seien Gluckenmütter, die ihre Kinder an der freien Entfaltung hinderten; sie sollten endlich wieder arbeiten gehen.
Die Antidiskriminierungsstelle sah sich nicht veranlasst, gegen so viel Verunglimpfung vorzugehen. Lediglich wurde zum Unwort des Jahres 2007 die „Herdprämie“ gekürt. Aber die Missachtung der Leistung derer, die am heimischen Herd arbeiten, früher sogar „Goldes wert“, geht ungebremst weiter.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin der Uni München Prof. Dr. Walburga von Zameck stellte in einem ZEIT-Artikel vom 10.3.1989 fest, dass Familienarbeit Arbeit ist. Und somit Hausfrauen ein Einkommen haben, aber keine Abgaben zahlen. Sie kam zu dem Schluss, es handle sich um „Schwarzarbeit am Herd“, für die Steuern zu entrichten seien. Dieses Ansinnen verschwand allerdings sehr schnell aus der öffentlichen Diskussion, aus Sicht des Verband Familienarbeit e.V. zu Unrecht! Er setzt sich seit 40 Jahren für ein steuer- und sozialabgabepflichtiges elterliches Erziehungsgehalt ein, das die unselige Konkurrenzsituation zwischen der traditionellen bezahlten Erwerbsarbeit und der unbezahlten Familienarbeit aufhebt.
Die Hausfrau – noch keine Minderheit – hat sich als Berufsbezeichnung fast zu einem Schimpfwort entwickelt. Zumindest taucht sie immer wieder auf, wenn es um Vergleiche geht: „Vom Manager bis zur Hausfrau“ ist dann die Messlatte. Allenfalls erscheint noch der „Hering nach Hausfrauenart“ positiv auf Speisekarten. Es wäre wünschenswert, dass sich Antidiskriminierungsstelle und Gleichstellungsbeauftragte auch um diese Schieflage kümmerten!
Im Dienste sprachlicher Korrektheit wurde das Zigeunerschnitzel von den Speisekarten gestrichen. Ebenso stehen Mohrenköpfe und Negerküsse auf dem sprachlichen Index. In den Medien wird inzwischen nicht nur schriftlich per Gendersternchen, sondern sogar mündlich „gegendert“. Jetzt haben wir z.B. Bürger- (sprachliche Minipause und weiter mit) Innen. Das hört sich zwar sehr holprig an, macht aber deutlich was geht, wenn es nur gewollt ist. Einer repräsentativen Umfrage von „YouGov“ von Ende Februar zufolge sind lediglich 14 Prozent der Befragten für Genderdeutsch.
Wenn die ganz normale Familie weiterhin so systematisch „entsorgt“ wird, sollte sie bald einen Antrag auf Minderheitenschutz stellen.