7. Hohenheimer Tage der Familienpolitik

Text von Silke Bürger-Kühn in der fh 4/2019

 

Am 22. /23.10. dieses Jahres hatte die Diözese Rottenburg-Stuttgart zu den 7. Hohenheimer Familientagen eingeladen. Diese finden im Zweijahresrhythmus zu aktuellen Familienthemen statt. In diesem Jahr wurde das Motto von 2013 wieder aufgenommen, um neue Entwicklungen zu verdeutlichen: „Familie und soziale Ungleichheiten – alles beim Alten?“

Leider war es unserem Verband terminlich nicht möglich an beiden Tagen teilzunehmen. Daher wird nur über den ersten Tag berichtet. Den Auftakt bildeten 2 Impulsreferate. Das erste beschäftigte sich mit dem Thema „Neue Formen sozialer Ungleichheit durch Veränderungen in Familien und Arbeitswelt?“1 und stellte die Unterschiede des Erwerbsverhaltens von Frauen zu Männern, Kinderlosen zu Klein- bis Großfamilien bzw. Alleinerziehenden und das nach Äquivalenzskalen errechnete Nettoeinkommen in diesen Familienkonstellationen vor.

Inzwischen sind in etwa genauso viele Frauen wie Männer erwerbstätig und leisten insgesamt ungefähr gleich viele Wochenarbeitsstunden. Der Unterschied liegt lediglich in der Verteilung von bezahlter und nicht bezahlter Arbeit. So sind ca. 64% der Frauen in Vollzeit erwerbstätig, bei Männern sind es 90%. Dies hat sich – ebenso wie der Anteil der Leiharbeit – seit 2006 kaum verändert. In Mehrkindfamilien ist der Anteil der in Teilzeit Erwerbstätigen verständlicherweise höher.

Die Teilzeiterwerbstätigkeitsquote von Frauen hat seit 1992 in Familien mit unter 3-jährigen Kindern von 10 auf 30% in 2015 zugenommen. Bei Familien mit 3 – 6-jährigen Kindern stieg sie von 65 auf über 90%. Ich führe dies darauf zurück, dass in diesem Zeitraum immer mehr Mütter überhaupt wieder in die Erwerbstätigkeit zurückgekehrt sind.

Obwohl oft beide Elternteile erwerbstätig sind, ergeben sich neue soziale Ungleichheiten. Am schwierigsten ist die Situation Alleinerziehender, insbesondere mit mehreren Kindern, was sich sogar messbar auf die Gesundheit niederschlägt, in Form von deutlich mehr Depressionen und ungesundem Verhalten, wie z.B. Rauchen. Zur Bemessung der finanziellen Unterschiede wurden Äquivalenzskalen eingesetzt (nicht die starre OECD-Skala), die den zusätzlichen Bedarf für Kinder bei niedrigen Einkommen höher bewertet. Auch die Probleme bei pflegenden Angehörigen nehmen zu, denn 85% der zu Pflegenden brauchen tägliche Pflege, davon 50% mehr als 12 Stunden pro Tag.

Im zweiten Beitrag ging es um „Kinderarmut in Deutschland“. Der Vortragende, Prof. Bäcker2, betonte mehrfach und gleich am Anfang, dass Kinderarmut zwingend verbunden ist mit einer Armutslage der Bedarfsgemeinschaft, in der die Kinder leben. Kinderarmut ist Elternarmut, die Überzeugung unseres Verbands seit langem. Die Gesamtarmutsgefährdung hat sich in Deutschland in den letzten Jahren kaum verändert. Lediglich in Baden-Württemberg ist sie für Paare mit 3 und mehr Kindern innerhalb von nur zwei Jahren sprunghaft von 16,4% (2016) auf 23% (2018) angestiegen. Eine wirkliche Erklärung konnte Prof. Bäcker dazu nicht liefern.

Viele Familien scheuen auch die Inanspruchnahme der Grundsicherung und gleichen das Manko durch Überstunden und Mehrarbeit aus. Vor allem Alleinerziehende haben diese Wahl kaum, so dass fast 70% von ihnen mit drei und mehr Kindern Grundsicherung erhalten. Bei Paaren mit drei Kindern sind es lediglich 19,4%. So finden wir Kinderarmut zu 50 % bei Alleinerziehenden (egal wie viele Kinder) und 1/3 bei Familien mit mindestens drei Kindern. Für die sozialen Auswirkungen ist vor allem die Dauer der Armut entscheidend und die soziale Einbindung der Familien. Zweifelsfrei hat sich der Abstand zwischen „oben“ und „unten“ in den letzten Jahren vergrößert.

Prof. Bäcker spricht sich für einen verbesserten Familienlastenausgleich aus (auskömmlicher Regelbedarf und Kindergeld) und einen verbesserten Kinderzuschlag. Der Kindergrundsicherung steht er skeptisch gegenüber, da sie je nach Ausgestaltung (Höhe, Bedingungen, Empfängerkreis) auch zu einer weiteren Schlechterstellung der Familien führen kann. Sprachlich wurde vormittags sehr konsequent zwischen Erwerbs- und unbezahlter Arbeit unterschieden, was ich nachmittags lobend erwähnte, um dann jedoch sofort von der nächsten Referentin enttäuscht zu werden. Svenja Pfahl3 referierte in der Denkwerkstatt 2 „Familiäre Sorge und Beruf“ über den Gender-Time-Gap. Dieser dokumentiert den Unterschied der Verteilung von Erwerbs- und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern. Völlig unverständlich war es für mich, hier von einem Gender-TIME-Gap zu sprechen, denn Frauen und Männer arbeiten in etwa gleich viele Stunden pro Woche. Es gibt also keinen zeitlichen Unterschied im Allgemeinen. Da die Referentin mit „Arbeit“ abwechselnd die Erwerbsarbeit, dann wieder mit dem gleichen Begriff alle Arbeit meinte, war der Vortrag nicht schlüssig, worauf ich sie zweimal hinwies. Sie schien aber überhaupt nicht zu begreifen, was ich meine und versuchte, mich verständnisvoll zu beschwichtigen. Danach habe ich aufgegeben und nur noch mit dem Kopf geschüttelt… Ergänzend präsentiert wurde eine Befragung von 43 Kindern zwischen 6 und 14 Jahren aus 28 Familien (die anderen Kinder waren jünger, älter oder wollten nicht befragt werden)4, wie sie es fänden, dass beide Elternteile gleich viel Erwerbsarbeit leisteten und auch in etwa gleich präsent in der Familie waren.

In den betreffenden Familien mussten beide Elternteile in „verkürzter Vollzeit“, d.h. zwischen 28 und 36 Wochenstunden erwerbstätig sein. Sie bildeten einen Querschnitt durch die Berufe. Diese Befragung sollte beweisen, dass Kinder es toll finden, wenn beide Elternteile zu gleichen Teilen erwerbstätig sind. Was sie jedoch mit keinem Wort erwähnte: „Kinder aus Familien mit doppelter Teilzeit (jeweils 20 Stunden), beziehungsweise mit Vollzeit-Teilzeit-Kombinationen der Eltern schneiden in der Zeitzufriedenheit besser ab als Kinder aus Familien mit doppelter Vollzeit oder arbeitslosen Eltern. Sie erleben seltener Defizite in der Eltern-Kind-Zeit.“4 Was Frau Pfahl auch erst auf Nachfrage einräumte: „Dieses Modell ist nicht ohne externe Hilfe zu stemmen.“ Also gilt nach wie vor: Irgendwer muss die Familienarbeit übernehmen. Warum dürfen es partout nicht die Eltern tun?

Das Publikum blieb überwiegend schweigsam. Außer mir meldete sich lediglich eine Frau, die in Tübingen für Profamilia in Familien beratend tätig ist. Sie betonte mehrfach, dass diese ganzen politischen Forderungen und Erwartungen völlig am Kindeswohl vorbeigehen. Sie könne in der Praxis deutlich sehen, dass die ganz Kleinen (0-3 Jahre) völlig überfordert seien mit dem ständigen Betreuungswechsel. Die kämen so schnell einfach nicht mit und bräuchten eine konstante Betreuungssituation. Ich machte sie nochmals auf unseren Verband und seinen inzwischen stark verjüngten Vorstand aufmerksam und gab ihr eine Visitenkarte mit.

In den Pausen konnte ich mit einigen Teilnehmer_innen sprechen und versuchen, sie zum Nachdenken anzuregen, insbesondere zwei junge Frauen, die beim Jugendamt arbeiten und eine mittleren Alters, die zwar trotz Kindern Karriere gemacht hatte (seit ihrer Scheidung alleinerziehend), aber immer das Gefühl hatte, dass politisch hier irgendwas falsch läuft. Ein gelungener Tag? Wer weiß!

 

1 „Neue Formen sozialer Ungleichheit durch Veränderungen in Familie und Arbeitswelt“, Prof. Dr. Notburga Ott (Lehrstuhl für Sozialpolitik und Institutionenökonomie, Ruhr-Universität, Bochum, nicht anwesend) und Sebastian Pehle (wiss. Mitarbeiter d. Sektion für Sozialpolitik und -ökonomie, Ruhr-Universität Bochum

2 „Kinderarmut in Deutschland“, Prof. Dr. Gerhard Bäcker, Prof. em. am Lehrstuhl für Soziologie des Sozialstaats, Universität Duisburg-Essen

3 Svenja Pfahl, Diplom-Soziologin, Schwerpunkt „Arbeitszeit, Vereinbarkeit, Familie, Gleichstellung“, Geschäftsführerin des Instituts für sozialwissenschaftlichen Transfer (SowiTra)

4 https://www.oif.ac.at/fi leadmin/user_upload/p_oif/ beziehungsweise/2018/bzw_September_2018.pdf am 17.11.19 um 18.15 Uhr

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