Was ist gerecht, Frau Bundeskanzlerin? (Fh 2009/3)

Über Banken, die Kanzlerin, Wachstum, das keines ist, und systemrelevante Kinder

von Gesa Ebert

Wollen die ernst genommen werden von uns? Frank-Walter Steinmeier, der SPD-Kandidat für das Kanzlerinnenamt, verkündet Anfang August, seine Partei wolle vier Millionen zusätzliche Erwerbsarbeitsplätze schaffen. Nichts dagegen – aber wenn das möglich ist, warum erst nach der Wahl?

Und die Union? Verspricht Steuersenkungen nach der Wahl und Vollbeschäftigung, „Arbeit für alle“, Wachstum. Die Politik berechnet Wachstum (= Wohlstandsanzeiger) so, dass jeder Unfall, auch Katastrophen in Atomkraftwerken, natürlich auch Waffenexporte, positiv ins Bruttoinlandsprodukt eingehen; die Familienarbeit dagegen mit Null.
Die Familienministerin der CDU schafft es sogar, der Uhr ein Schnippchen zu schlagen. Sie verkündete im Frühjahr: Wir schaffen mehr Krippenplätze, dann haben Eltern mehr Zeit für ihre Kinder. Verstehe ich diese Logik nicht, weil ich kein Abitur habe?

Wieso wird in dieser Krise ein halbes Jahr mit Wahlpropaganda verplempert? Warum nutzen die PolitikerInnen stattdessen nicht die Zeit und beweisen, dass sie fähig sind, die nötigen Gesetze zu schaffen? – Wie wird die Statistik diesmal „gestaltet“, um weniger Erwerbslose registrieren zu müssen? Oder gehört es zum „Spiel“, vor der Wahl die Erwerbslosenzahlen steigen zu lassen, damit die siegreiche Partei nachher einen Aufschwung vorweisen kann? Ich will es nicht hoffen. – Dass man in wenigen Wochen in Berlin viel bewegen kann, das haben ja Regierung und Parlament im Herbst 2008 bewiesen, als eine Bank nach der anderen auf die Pleite zuging und „Rettungsschirme“ brauchte.

Erst zocken – dann betteln
In einem atemberaubenden Tempo wurden für die Zocker-Banken riesige Subventionen beschlossen. Innerhalb von ein bis zwei Wochen – oder waren es drei? – war da ein Gesetzentwurf geschrieben, in den Bundestag eingebracht, durch die Ausschüsse gejagt, im Plenum beraten und abgestimmt. Fertig. 70 – 80 Milliarden Euro, Finanzspritzen genannt, sofort an die Banken. 80 Milliarden, das sind 80.000 Millionen Euro – man muss sich das zum besseren Kapieren in handlichere Portionen packen. Dazu Bürgschaften von 400.000 Millionen Euro für wackelige Kredite der Banken. Und was sonst noch alles kam und kommen wird.

Andere Themen müssen da schon etwas gründlicher beraten werden, sind wohl schwieriger. Zum Beispiel das Gleichberechtigungsgesetz wegen des Artikels 3 im Grundgesetzes: neun Jahre; Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand: etwa 20 Jahre; Einführung einer Auskunftspflicht in der Ehe über das Einkommen: der Gesetzentwurf wird seit 1999 immer wieder in den Bundestag eingebracht und halbherzig bzw. gar nicht beraten. Er wird jetzt zum Ende dieser Legislaturperiode wohl zum dritten Mal zur Makulatur.

„Ich will Deutschland dienen“, so sprach Angela Merkel im Wahlkampf vor vier Jahren. Gehört dazu auch, den Chef der Deutschen Bank zu hofieren? Es heißt, Josef Ackermann habe darauf gedrängt, die HRE, die Hypo Real Estate-Bank, nicht pleite gehen zu lassen, sondern mit Steuergeldern zu stützen. Wenn es stimmt, dass die HRE der Deutschen Bank eine Milliarde Euro schuldete, dann war es pures Eigeninteresse der Deutschen Bank, dass der Staat diese bankrotte Bank übernimmt. Einige der damit indirekt subventionierten wie die Deutsche Bank verzeichnen nun wieder hohe Gewinne. Der Staat kann davon nichts zurückholen, weil es indirekte Subventionen waren. Konnte oder wollte man das nicht anders regeln? Einem großen Artikel in der ZEIT vom 2. April dieses Jahres entnehme ich, dass die Deutsche Bank „der bankrotten Mittelstandsbank IKB in letzter Minute noch einen Haufen riskanter Kredite untergejubelt hatte. Die Kosten musste der Steuerzahler tragen.“ (Dossier: Die Hintermänner – ein sehr aufschlussreicher Artikel.) Ackermann durfte seinen 60. Geburtstag bei einem Essen im Kanzlerinnenamt feiern. „Sie hat gesagt, sie wolle einmal etwas für mich tun“, sagte er in einer Fernsehdokumentation über Angela Merkel (ZDF am 11. Aug. 2009, 20:15 h). „Ich solle 30 Leute aus Deutschland und der Welt hierher für einen Abend einladen.“ Schön. Aber wer hat hier eigentlich wem zu danken?

Was ist gerecht und ungerecht, Frau Bundeskanzlerin?
fragten Schülerinnen einer Schule in Berlin-Kreuzberg. Ob sie es nicht als ungerecht empfinde, dass der Chef der Deutschen Bank viel mehr verdiene als sie? Merkel: „Nein, ich weiß, dass viele in der Wirtschaft mehr Geld verdienen als ich. … Wenn ich so viel Geld haben wollte wie Wirtschaftsmanager, dann müsste ich eben Managerin oder Unternehmer werden, aber das reizt mich gar nicht.“

Die nächste Frage war: Was finden Sie in Deutschland heute ungerecht? – „Merkel: (überlegt) Es ist zum Beispiel ungerecht, wenn allein erziehende Mütter oder Väter wieder arbeiten wollen, das aber nicht können, weil es zu wenige Betreuungsangebote für unter Dreijährige in Kinderkrippen gibt. … Deshalb haben wir beschlossen, dass im Jahr 2012 jedes Kind, das möchte, einen Krippenplatz bekommen kann.“ – Das lesenswerte Interview ist datiert auf den 19. Juli dieses Jahres und auf der Internetseite der Kanzlerin zu finden (http://archiv.bundesregierung.de)

Eltern überfordern sich und andere
Immer öfter höre ich, dass Großmütter in großem Umfang in die Kinderbetreuung eingeplant werden. Nicht nur hin und wieder. Nein, richtig regelmäßig, richtig häufig, täglich, das ganze Jahr, richtig anstrengend. Ich kenne mindestens drei Frauen über 65, die unter dieser Anforderung fast zusammenbrechen. Das kann ja wohl kein Zukunftsmodell sein.

Kann mir irgendjemand erklären, wozu dieser Familienorganisations-Stress gut sein soll? Er ist für alle schädlich, auch für die Kinder, er macht krank und wird uns viel Geld kosten. Gesunde Kinder aber sind systemrelevant für unsere Gesellschaft. Ob Banken das sind, müssen wir erst diskutieren. Die Familienministerin nennt das eine Jahr Elternzeit denn auch zutreffend so: eine Schonzeit für Eltern.

Die Argumente von Politikerinnen für den anschließenden Dauerstress sind: Mütter verlören ihre Qualifikation und kämen deshalb nicht mehr in den Erwerbsberuf hinein. Die Rente sinke. Ein Gehalt fehle, und der Frau fehle die finanzielle Eigenständigkeit.

Liebe PolitikerInnen, es ist Aufgabe der Politik, die heutigen Nachteile aus der Familienarbeit abzuschaffen! Das meiste beruht auf Gesetzen, die in den letzten 60 Jahren beschlossen wurden. Das sind keine Naturgesetze, sie sind veränderbar. Unser Verband hat viele Vorschläge dazu gemacht. Da sind auch welche dabei, die den Staat kein Geld kosten, z.B. ein reformiertes Ehegüterrecht. (Das jetzige ist Stress für viele Frauen.) Alle Vorschläge werden aus ideologischen Gründen ignoriert. Die Politik will die Verhältnisse offenbar so belassen wie sie sind, damit alle Frauen sich gezwungen sehen, durchgehend erwerbstätig zu sein, ganz egal zu welchen Billiglöhnen sie an Kassen, in Callcentern oder Büros sitzen.

Politiker geht ohne Schulabschluss
Zurück zur Behauptung, dass Mütter nach mehreren Familienarbeits-Jahren nicht mehr an ihren erlernten Beruf anschließen könnten. Diejenigen, die das sagen, sprechen sich selbst die Fähigkeit zu, vom erlernten Beruf in die Politik zu wechseln und dort von einem Fachbereich in den nächsten zu gehen, ohne nachgewiesene Fachkenntnisse. Nach 20 Jahren Bundestag wieder Rechtsanwalt (hat sich da nichts verändert in der Zwischenzeit?), nach 12 Jahren Parlament wieder Lehrerin (da werden als Schulung zu Beginn m. W. nur kurz die aktuellen Bestimmungen vermittelt). Wir hatten auch mal einen Außenminister ohne jeglichen Schulabschluss. Unsere Kanzlerin hat Physik studiert, das war also rausgeschmissenes Geld, wo sie doch gar nicht mehr in diesem Beruf arbeitet, sondern ungelernt – wie alle – Politik betreibt. Das Argument mit dem unnötigen Studium werfen PolitikerInnen gerne Familienfrauen mit Hochschulabschluss an den Kopf, wenn diese nicht durchgängig erwerbstätig bleiben.

Unternehmer freuen sich über Frauen
Die Zahl der erwerbstätigen Männer geht m. W. seit Jahren immer weiter zurück, die Zahl der erwerbstätigen Frauen aber nicht, sie steigt eher. Das heißt, dass prozentual der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung immer höher wird. Frauen arbeiten also immer noch mehr. Dass mehr Frauen erwerbstätig sein wollen, freut die Unternehmer. Sie haben so ein größeres Angebot an Arbeitskräften, noch dazu an solchen, die für weniger Geld als Männer mindestens das gleiche leisten. Das ist sehr lukrativ. Deshalb reden wohl auch Unternehmer ständig davon, dass die Frauen unbedingt gebraucht würden, und deshalb nur kurz bei den Kindern bleiben sollen. Alles andere sei altmodisch. Meist sind das Männer im höheren Alter, deren Kinder erwachsen sind, zumindest die erste Garnitur. Ihre gleichaltrigen ersten Frauen hätten es sicher schwer gehabt, wenn sie ein Jahr nach der Geburt eines Kindes gesagt hätten: Ich gehe in meinen Erwerbsberuf zurück, mach Du die Hälfte der Familienarbeit.

Fachkräftemangel
„In vier Jahren werden wir einen Fachkräftemangel haben.“ So die Kanzlerin. Nun, dann können doch Paare, die jetzt Kinder haben, sich diesen länger als ein Jahr widmen, wenn sie das wollen. Bei Fachkräftemangel wird es den Firmen nicht schwer fallen, Mütter oder Väter mit wertvoller Familienarbeits-Erfahrung einzustellen. Es gibt genug Studien, die bestätigen, dass diese Leute viele Qualifikationen in Eigenregie erworben haben, und keineswegs fachliche Nullen geworden sind.

Mütter werden gewarnt vor Kinderzimmer und Herd
Frauen werden jetzt sogar davor „gewarnt“, Familienarbeit zu machen, ja wirklich. Wie oft wohl habe ich diese Vokabel aus dem Mund von Podiumsrednerinnen in den letzten Monaten gehört? Von Politikerinnen, Rechtsanwältinnen, Rentenberaterinnen. – Jetzt, wo immer mehr Männer erkennen und das auch öffentlich benennen, dass Erwerbsarbeit nicht alles ist, jetzt wird Frauen ein rotes Warnschild vor Küche und Kinderzimmer gestellt. Von Frauen.

Nicht alle Frauen werden gewarnt
Nie gehört habe ich dagegen: Pflegen Sie um Himmels willen nicht länger als ein Jahr Ihren Schwiegervater! – Im Gegenteil, häusliche Pflege ist hoch willkommen.
Auch nicht alle Mütter werden gewarnt. Es gibt eine Sondergruppe, die wird geradezu hofiert, die Tagesmütter. In einer Broschüre des Familienministeriums schreibt Frau von der Leyen, dass viele Eltern „händeringend“ eine Tagesmutter suchten und dass „der Beruf spannend und herausfordernd“ sei. Keine Politikerin warnt Frauen davor, länger als zwölf Monate Tagesmutter zu sein. Diese Frau ist aber Familienfrau mit allen Nachteilen.

Mir ist natürlich klar, warum die Tagesmutter „am Herd“ bleiben darf: Sie wird gebraucht, weil Betreuungsplätze zugesichert sind. Sie ist viel billiger für die Kommune und flexibler für die Eltern. Bei der häuslichen Pflege sind es die gleichen Gründe und Widersprüche.

Es gibt viel zu tun für die nächste Regierung, wenn ihr der soziale Frieden wichtig ist.

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