Von Martin Voigt aus der fh 3/24
Deutschland veraltet dramatisch. Immer weniger neugeborene Kinder werden die Rente für immer mehr Alte bezahlen müssen. Viele wollen das Problem kleinreden – doch sie machen einen entscheidenden Denkfehler.
Die Zahl der Geburten im Jahr 2023(1) ist massiv eingebrochen. Bei den Abtreibungen liegen Rekordzahlen(2) vor und die häufigsten Vornamen der Neugeborenen in Ballungszentren sind arabisch – die deutsche Bevölkerung stirbt aus. „Nicht besorgniserregend“ findet das ein Kolumnist der Frankfurter Rundschau(3). In dem Artikel „Warum weniger Kinder gut für die Rente sind“ konstruiert er positive Effekte für die Volkswirtschaft und die zukünftigen Rentner. Der Autor sei Experte für Sozialrecht, heißt es. Seine Milchmädchenrechnung ignoriert jedoch die relevanten volkswirtschaftlichen Leistungsströme.
Wenn ein größerer Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter keine Kinder hat, bleibe mehr Zeit für bezahlte Erwerbsarbeit, lautet die zentrale These. „Es fließt mehr Geld in die Rentenkasse“, stellt der Kolumnist fest, und er hat Recht. Und auch diese Beobachtung stimmt: „Sinken die Geburtenzahlen, gehen außerdem die Ausgaben für Kinder zurück.“ Ja, es sind Milliardenbeträge, „die sich in den nächsten Jahren wegen der sinkenden Kinderzahlen absehbar einsparen lassen“ und die „in die Rentenversicherung umverteilt“ werden können. Und dann? Am entscheidenden Punkt hat der Experte aufgehört zu denken. Geld läßt sich verschieben und umverteilen oder sogar erfinden. Aber wenn wir Volkswirtschaften betrachten, sind nicht Geldströme relevant, sondern Leistungsströme. Die nicht gerade kinderfreundliche Deutschland-schrumpft-sich-vermögend-Utopie steuert auf einen Rentnerstaat zu, der auf einem dicken Geldsack sitzt (sofern bis dahin alle Radwege in Peru fertiggestellt sind). Doch im wohlverdienten Ruhestand könnte es dann spannend werden, wenn nämlich eine überalterte Restbevölkerung für ihr Geld Dienstleistungen einkaufen will.
Der Staat setzt Anreize, auf Kinder zu verzichten
Wenn Heerscharen an alten Leutchen ihre aus China importierten E-Bikes bei sich im Städtchen reparieren lassen wollen, wenn sie die Biergärten und Cafés an den schönen deutschen Seen stürmen, wenn Einkaufsbummel, Weihnachtsmärkte, Opernbesuche den Lebensabend versüßen sollen. Über Ärztemangel, Pflegenotstand und kollabierende Altenheime sprechen wir lieber erst gar nicht. Was nützen die einst beim Kindergeld eingesparten Milliarden, die nun in der Rentenkasse stecken, wenn die gealterten Sozialrechtsexperten niemanden finden, der ihnen eine Schwarzwälder Kirschtorte backt oder den Hintern abputzt?
Erhielte jeder Rentner 1.000 Euro mehr, es nützte ihnen nichts, wenn auf der Angebotsseite der Mangel nicht behoben würde. Lediglich die Dienstleistungen der wenigen jungen Menschen, die noch geboren werden, würden deutlich teurer werden. Zugleich offenbart diese Gleichung eine bösartige Ungerechtigkeit: Ausgerechnet diejenigen Frauen und Männer, die als Mütter und Väter dafür Sorge getragen haben, daß ihre Generation im Alter Leistungsträger vorfindet, die sie mit ihrer Rente bezahlen können, haben wegen ihrer geleisteten Care-Arbeit in der Kindererziehung deutlich weniger Rentenansprüche über Erwerbsarbeit angesammelt(4).
Wer hingegen auf Kinder verzichtet, hat im Alter mehr Rente zur Verfügung, um sich die Arbeit der Kinder leisten zu können, die er selbst nicht hatte. Die Eltern jedoch, die nun weniger Rente zur Verfügung haben, müssen darauf hoffen, daß ihre Kinder zusätzlich und unentgeltlich auch für ihren lebenswerten Ruhestand sorgen.
Mehr Eigenverantwortung wagen
Es ist absehbar, daß künftige Generationen dem kinderfeindlichen Rentensystem ein Schnippchen schlagen werden. Viele junge Menschen treibt es angesichts der hohen Abgabenlast hierzulande schon jetzt ins Ausland. Vielleicht ist das überhaupt das Modell für die Zukunft – statt in die Rentenkasse zu zahlen, lieber privat für den Lebensabend der Eltern aufkommen. Mit dieser Lösung wären Geburtenraten wie die von 2023 ganz schnell eine traurige Anekdote der Geschichte.
Und verschwinden würde auch die im Kern sozialistische Fremdbetreuung von Kindern in Krippen und Ganztagskindergärten und -schulen. Wer keine Rentenbeiträge leisten muß, kann direkt in seine Altersvorsorge investieren, und die seit Menschengedenken beste Vorsorge sind eigene Kinder. Wer im Alter auf eine gute emotionale Bindung zum Nachwuchs angewiesen ist, überlegt sich vielleicht, ob eine von Verlustängsten geprägte Krippeneingewöhnung das Beste für die seelische Stabilität seines Kindes ist.
Mit einer anderen Politik hätte die Rente ausgedient
Doch eigentlich ist den meisten Menschen in den großen existentiellen Fragen und Entscheidungen solch ein Kalkül fremd. Am liebsten würden sie nämlich mehr Zeit mit ihren Kindern und in ihrer Familie verbringen, anstatt sich ihre Karriere und die vermeintlichen Vorzüge der Krippenbetreuung schönzureden. Der aktuellen Insa-Familienstudie zufolge hält eine überwältigende Mehrheit der Menschen Familie schlicht für einen entscheidenden Glücksfaktor und in Krisenzeiten für den wichtigsten Anker.
Würde die linke Politik Mütter und Väter nicht seit Jahrzehnten ökonomisch drangsalieren, zu mehr Erwerbsarbeit drängen und die Krippen staatlich durchfinanzieren, würden sich viel mehr Menschen für mehr Kinder, weniger Fremdbetreuung und ein klassisches Alleinverdiener-Familienmodell entscheiden. Die Rente, das riesige staatliche Geldumverteilungssystem, hätte dann ausgedient.
1. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/235/umfrage/anzahl-der-geburten-seit-1993/
2. https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2024/rekord-bei-schwangerschaftsabbruechen-das-grosse-schweigen/
3. https://www.fr.de/wirtschaft/gastwirtschaft/kinder-gut-fuer-die-rente-sind-soziales-geburten-warum-weniger-93058173.html
4. https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2024/fdp-plaediert-fuer-rente-mit-72-oder-aelter/
Richtige Analyse – falsche Konsequenz Kommentar von Johannes Resch zum Beitrag „Sind weniger Kinder gut für die Rente?“ von M. Voigt
Martin Voigt verdeutlicht den betrügerischen Kern unseres Sozialsystems: Im „Umlageverfahren“ zahlen die Kinder einer Generation die Renten der vorangegangenen Generation. Da die Renten ganz überwiegend an Erwerbsarbeit gekoppelt werden, führt das zur absurden Folge, dass Eltern mehrerer Kinder, die also am meisten für die eigenen Renten und die der Kinderlosen getan haben, in der Regel weniger Rentenansprüche an die Kinder haben als ihre kinderlosen Nachbarn, die kaum etwas dafür getan haben. denn deren frühere Rentenbeiträge wurden zu 100 % dazu verwendet, die Renten von deren Eltern zu bezahlen. Diese stehen also zur Finanzierung der eigenen Rente nicht mehr zur Verfügung. Ein idiotischeres System ist kaum vorstellbar. Insofern hat M. Voigt recht. Nachvollziehbar ist dieses Recht nur aus ideologischer Sicht, sei sie nun sozialistischer oder kapitalistischer Prägung. Beide Sichtweisen überbewerten die Erwerbsarbeit auf Kosten der elterlichen Kinderbetreuung. Das lässt sich auf beiden Seiten mit der überwiegend patriarchalen Denkweise erklären.
Voigt zieht daraus die Konsequenz, unser Rentenrecht sollte wieder abgeschafft werden. Dann gäbe es die jetzige Ausbeutung der Eltern nicht mehr. Dann gäbe es wieder mehr Kinder. Die Altersversorgung käme wieder ins Lot.
Aber Voigt macht einen Denkfehler: Die heutigen Rentner, die dank ihrer Kinderlosigkeit die höchsten Rentenansprüche haben, werden sich mit Händen und Füßen gegen die Abschaffung unseres Sozialrechts wehren.
Da sie in der Erwerbswelt und damit auch in der Politik stärker vertreten sind als die Eltern mehrerer Kinder, werden sie auch Erfolg haben. Der Gedankengang von Voigt erscheint daher weltfremd.
Allerdings ist auch zu bedenken, dass unser Sozialrecht immerhin zumindest vorrübergehend zu einer gewissen sozialen Sicherheit im Alter geführt hat, wenn auch mit kräftiger Schlagseite zu Lasten von Eltern und nachfolgender Generation.
Ein anderer Vorschlag erscheint realistischer und sachlich richtiger: Sicherheit im Alter ist ja nicht falsch. Aber dabei ist eine echte Beziehung zwischen Beitrag und Anspruch wiederherzustellen. Da die Rente heute „im Umlageverfahren“ ausschließlich von den Kindern der Rentnergeneration bezahlt wird, ist auch nur ein Beitrag zu Finanzierung dieser Kinder ein echter Beitrag für die eigene Rente und als solcher zu werten. Das kann die Erziehung eigener Kinder, aber auch ein finanzieller Beitrag für fremde Kinder sein. Die eigenen früheren Rentenbeiträge der heutigen Rentner wurden ja zur Finanzierung der Renten ihrer Eltern verwendet, können also zur Finanzierung der eigenen Rente nichts mehr beitragen. Fazit: Unser Sozialsystem sollte zu einem echten Generationenvertrag ausgebaut werden. Dann hätten alle Erwerbstätigen nicht mehr nur die Renten ihrer Eltern zu finanzieren, sondern gleichzeitig die Kosten für die nachwachsende Zahler-Generation, also die Kinder. Denn allein die Beiträge für die Kinder (seien es nun eigene oder fremde) sind echte Beiträge für die eigene Rente.