Von Erika Butzmann aus der fh 3/24, Fortsetzung aus der fh 4/24 (noch nicht erschienen)
Festvortrag zum 30jährigen Jubiläum des Kinderschutzbundes im LK Schaumburg am 21.09.2023 in Stadthagen von Dr. Erika Butzmann, Wildeshausen
Der Anfang, auf den es ankommt, liegt nicht in der angeblichen Bildung der Babys und Kleinkinder in der Krippe, sondern in der sicheren Bindung an die Eltern. Dieser Bindungsprozess zieht sich über mindestens zwei Jahre hin und ist die Basis für die Ausbildung aller emotionalen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten beim Kind unter der Voraussetzung, dass einer der fürsorglichen Eltern meistens zur Verfügung steht.
Für die Bildung der Kinder sind Krippen nicht geeignet, weil biologische Antriebe für die Anfänge der kognitive Bildung in den ersten zwei bis drei Jahren sorgen, wenn das Kind diese unter dem Schutz der primären Bindungsperson ausleben kann. In der Fremdbetreuung kommen die Antriebe aus mehreren Gründen nur eingeschränkt oder gar nicht zum Einsatz.
Zu den biologischen Antrieben gehören die Erkundungsbereitschaft, das Spielen, die Bereitschaft zur Nachahmung, die Fokussierung auf Neues (Neugierde) und das schöpferische Erfinden. Das kennen alle, die kleine Kinder haben. Diese sind ständig in Bewegung, manipulieren alle Dinge, ahmen die anderen ständig nach und spielen immer dann, wenn es ihnen gut geht. Diese Antriebe sind nur wirksam, wenn das Kind sich sicher und geborgen fühlt und wenn diese impulsgesteuerten Aktivitäten ungestört möglich sind im selbstgestalteten Spiel. Dies wird in der Gruppenbetreuung immer wieder unterbrochen durch die hohe Ablenkbarkeit und die Reizoffenheit bei kleinen Kindern, d.h. jedes Geräusch, jede Ansprache, jede tollpatschige Berührung der anderen halten das Kind ab von dem, was seine entwicklungsfördernden Antriebe normalerweise möglich machen.
Wird ein Kind zusätzlich von den biologisch angelegten Trennungs- und Verlassenheitsängste geplagt, sind diese Antriebe völlig unwirksam. Bildungsprogramme stören den natürlichen Entwicklungsprozess zusätzlich und haben keine Wirkung. Der bekannte Neurobiologe Prof. Gerhardt Roth von der Uni Bremen sagte dazu: eine gezielte kognitive Förderung in den ersten zwei bis drei Jahren ist nutzlos oder gar schädlich. Das Gleiche sagt auch die bekannte Lernforscherin Elsbeth Stern, die das so formuliert: „Die Entwicklung des Gehirns vollzieht sich teilweise ohne Reize von außen und ist von so universeller Natur, dass sie in einer Jurte in der Mongolei, einer Hütte in Afrika, einem Plattenbau in Berlin oder einer Villa in Berverly Hills in gleicher Weise vonstatten geht.“ Dazu sind nur liebevolle, anwesende und fürsorgliche Eltern nötig und störungsfreie Räume.
Auch die soziale Bildung findet in Krippen nicht statt. Denn das vermeintlich soziale Verhalten der unter Zweijährigen in der Krippe wird gesteuert durch die biologisch angelegte Gefühlsansteckung über die Spiegelneuronen.
Für die soziale Entwicklung haben wir Menschenkinder die Gefühlsansteckung, die durch Spiegelneuronen und Oxytocin angetrieben wird, deren Ausbildung jedoch auf die sichere Eltern-Kind-Bindung in den ersten zwei Jahren angewiesen ist. In der Gruppenbetreuung bewirkt die Gefühlsansteckung, dass die einjährigen Kinder automatisch den anderen trösten. Sie spüren die negativen Gefühle des anderen und merken beim impulsmäßigen Trösten, dass diese schlechten Gefühle verschwinden. Deshalb trösten sie ein weinendes Kind weiterhin, um das empfundene negative Gefühl wieder los zu werden. Das sind unbewusste Handlungen, weil das Ichbewusstsein noch nicht ausgebildet ist, d.h. sie können noch nicht überlegen, ob sie trösten wollen oder nicht. Deshalb hat dieses Verhalten keinen Lerneffekt für später. Erst mit 2 Jahren, wenn sich das Kind selbst erkennt und das vom Handeln losgelöste Denken beginnt, wird ihm bewusst, dass die empfundenen Gefühle vom anderen kommen und nicht die eigenen sind. Dann trösten und helfen viele nicht mehr. Diejenigen, die keine so starke Gefühlsansteckung empfinden, trösten nicht mehr, denn das Ausmaß der Gefühlsansteckung ist angeboren. Die empfindsamen und eher ängstlichen Kinder, bei denen die Gefühlsansteckung besonders stark ist, helfen weiterhin und zwar ständig. Dies stresst diese sowieso schon sehr belasteten Kinder noch zusätzlich; denn es sind keine reflektierten Handlungen, sondern noch weitgehendes Impulsverhalten. Die Gruppenbetreuung hat deshalb vor dem dritten Geburtstag keine Auswirkungen auf das spätere soziale Lernen. Das wird bestätigt von Krippen-Erzieherinnen und Tagespflegepersonen, die frühbetreute Dreijährige als auffallend unsozial erleben. Kinder brauchen also in den ersten zwei Jahren keine anderen Kinder zum Lernen. Darüber darf nicht hinwegtäuschen, dass der Spielantrieb irgendwann auch in der Krippe wirkt und es dann zufällig zu Kontakten untereinander kommen kann.
Was macht die frühe Krippenbetreuung mit unseren Babys und Kleinkindern?
Wenn Kinder bereits zu Beginn des ersten Lebensjahrs fremdbetreut werden, kann sich keine sichere Bindung an die Eltern entwickeln. Dieser Bindungsprozess zieht sich über zwei Jahre hin und ist existenziell auf die primäre Bindungsperson, hauptsächlich die Mutter, angewiesen. Dieser Prozess ist keineswegs mit einem Jahr abgeschlossen, wie das behauptet wird, weil man Bindungsmuster in Laborsituationen feststellen kann. Babys und die Einjährigen können sich noch nicht gegen die erzwungenen Trennungen wehren, weil sie noch kein Ichbewusstsein haben, also noch keinen bewussten eigenen Willen verspüren. Sie passen sich notgedrungen an.
Babys und Kinder unter zwei Jahren haben noch keine durchgehende Erinnerungsfähigkeit, so dass das Verschwinden der Mutter / des Vaters zu stresserzeugenden Trennungs- Verlassenheitsängsten führt, die sich in Anklammern, Weinen und Schreien zeigen. Denn die Kleinsten wissen noch nicht, dass die Eltern wiederkommen, auch wenn es dauernd gesagt wird. Sie erkennen die Eltern beim Abholen nur wieder, denn sie verfügen zuerst nur über ein Wiedererkennungsgedächtnis. In der Zwischenzeit erinnern sie sich nicht an die Eltern. Experten beschreiben die Trennungsangst in der Fremdensituation wie folgt: Flucht oder Kampf sind für das Kind nicht möglich. Es kollabiert emotional und fügt sich oder unterwirft sich und lernt nur eins, seine Angst und das Schutzbedürfnis zu unterdrücken und zu verdrängen. Das sind unbewusste Überlebensmechanismen. Diese erzeugen aber immer wieder eine seelische Wunde, die zwar später verheilt, aber die Narbenbildung ist im Gegensatz zu körperlichen Narben ständiger Sand im Getriebe der Gefühlsentwicklung. Deshalb ist die Trennung von der Mutter für das einjährigen Kind der Super-Gau, wie das Prof. Sebastian Franke auf dem PsychKongr. 2021 beschrieb. Die Bindungsentwicklung ist in der intensivsten Phase und die Erinnerungsfähigkeit noch nicht voll ausgebildet. In der Fremdbetreuung führt das, wie beschrieben, je nach Temperament zu den biologisch gesteuerten stresserzeugenden Trennungs- und Verlassenheitsängsten. Die Ausbildung der Erinnerungsfähigkeit zieht sich über zwei Jahre hin und verläuft parallel zur Bindungsentwicklung. Der Eingewöhnungsprozess führt bei den unter Zweijährigen dann nicht zum Abbau der Ängste, sondern zur notgedrungenen Anpassung mit negativen Folgen für die emotionale und kognitive Entwicklung. Viele Erzieherinnen berichten davon, wie die Kinder sich über viele Wochen an ihnen festklammern und sich nicht allein beschäftigen können. Sie lernen dann nichts in einer Phase, wo die Entwicklung normalerweise einen großen Sprung macht durch die beschriebenen biologischen Antriebe.
Darüber hinaus sind Kinder unter Zwei noch nicht in der Lage, viele Stunden mit mehreren Gleichaltrigen zusammen zu sein. Die Kleinstkinder können ihre hohe Reizoffenheit und Ablenkbarkeit noch nicht filtern und sich deshalb vor der Reizflut nicht schützen. Die ständigen Reize bedeutet deshalb für viele der Kinder Dauerstress mit negativen Folgen für die Konzentrationsfähigkeit und die spätere Stressregulationsfähigkeit. Diese Kinder können auch im Erwachsenenalter mit Stress nicht gut umgehen.
Des weiteren wird die Spielentwicklung gestört und damit das Lernen. Abgesehen von dem bereits erwähnten Anklammern an die Erzieherin und der hohen Reizflut, die ein selbstgesteuertes Spiel einschränkt, sind Kinder in den ersten zwei Jahren noch sehr auf sich selbst bezogen und die Erwachsenen sind die besten Spielpartner. Erst nach dem Parallelspiel der Zweijährigen, wo die Kinder nebeneinander her spielen, sind sie motiviert mit anderen in Spielkontakt zu kommen. Vorher ist ihr Spiel nur eine spontane ungesteuerte Reaktion auf irgendetwas oder irgendwen. Erst ab drei Jahren profitieren die Kinder vom gemeinsamen Spiel in der Fremdbetreuung, in der Familie gelingt das schon früher. Wenn Trennungs- und Verlassenheitsängste das Kind in der Krippe vereinnahmen, kann es nicht spielen und damit nicht lernen. Viele der Einjährigen spielen in der Fremdbetreuung kaum oder nicht, sondern suchen ständig die Nähe der Betreuungsperson. Einige Kinder mit einer sehr hohen Gefühlsansteckung suchen in der Gruppe ein anderes belastetes Kind, wenn die Erzieherinnen keine Zeit haben. Diese beiden belasteten Kinder kleben dann bis zum Schuleintritt aneinander fest, oft noch darüber hinaus. Das wird von Eltern positiv als Freundschaft gedeutet, ist jedoch eine Notverbindung, die die Selbstständigkeitsentwicklung einschränkt. Neurobiologen berichten, dass eingeschränkte Spieltätigkeit im zweiten Lebensjahr die Sprachentwicklung verzögern kann; denn vom Kleinhirn, dem Zentrum der Bewegungs- und Raumwahrnehmung, gehen Vorstrukturierungen für das Sprachzentrum aus. Wenn im Kleinhirn durch mangelnde Ausbildung von Zellverbänden diese Vorstrukturierung geringer ausfällt, hat das Auswirkungen für das spätere Sprechen, Lesen und Schreiben. Die ständig zurückgehenden Leistungen von Grundschülern in diesen Grundfertigkeiten hängen auch damit zusammen. Darüber darf nicht hinwegtäuschen, dass manche Krippenkinder u.U. schneller sprechen lernen. Das ist dann eine Notreifung, die wichtige Anteile des späteren Spracherwerbs ausspart.
Hinzu kommt das mangelnde Zeitverständnis. Kinder unter vier Jahre haben noch kein kulturelles Zeitempfinden, sondern leben nur in der Situation. Bei den belasteten Kindern kann das zu Dauerstress führen, wenn sie auf ihre Eltern warten. Das ist zu erkennen an den Kindern, die beim Abholen die Eltern schlagen, weglaufen oder weinen, also sich nicht auf die Eltern freuen können, weil sie noch unter dem Eindruck der Verlassenheitsangst stehen. Nur die Kinder, die sich auf die Eltern freuen und auch zu Hause friedlich sind, können die frühe Fremdbetreuung vertragen.
Angesammelter Stress zeigt sich bei den Einjährigen mit hängendem Mundwinkel, Weingesicht, ausdrucksloser Mimik, wie dies auf Pressefotos und bei den Kindern in den Krippenwagen zu sehen ist. Dieser Stress ist auch die Ursache für die häufigen Erkrankungen von kleinen Krippenkindern. Absurderweise werden 12 Infektionen pro Jahr vom Kinderärzteverband als Trainung für das Immunsystem gedeutet, damit die Eltern kein schlechtes Gewissen bekommen. Besonders kritisch ist die schon lange vorhandene prekäre Personalknappheit in den Krippen. Diese verhindert das vermeintlich Positive, was von der Politik den Krippen zugesprochen wird. Durch die schnelle Entwicklung in den ersten drei Jahren werden die belasteten Kinder aufgrund der mangelnden Betreuungsqualität noch zusätzlich geschädigt.
Fortsetzung in FH 2024/04
Sehr geehrte Frau Dr. Butzmann,
ich habe wiederholt Ihre Leserbriefe im Weser-Kurier gelesen und kann Ihnen auch bei dem Leserbrief vom 21.10.24
wieder nur zustimmen. Auch ich war vor 50 Jahren geneigt,
mein Kind aus beruflichen Gründen gleich nach der Geburt
betreuen zu lassen. Zum Glück ist mir damals die Einsicht
gekommen, dass das nicht funktionieren kann. Ich habe
damals meine Berufstätigkeit aufgegeben und bin, weil noch
2 weitere Kinder kamen, 10 Jahre zu Hause bei den Kindern
geblieben und dann wieder ins Berufsleben eingestiegen.
Meine Kinder hatten dadurch einen guten Start ins Leben, und ich würde es heute genauso wieder machen.
Herzliche Grüße
Elfriede Derr