Modernisierung des Familienrechts: Anpassungsbedarfe, Erfolgskriterien und aktuelle politische Antworten

Beitragsbild Kinderrechte

Von Franz Stuhrmann aus der fh 3/24

 

Zusammenfassung zur Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft der Familienorganisationen in Berlin am 15.05.2024

Das Familienrecht ist ein Rechtsgebiet, das wie kaum ein anderes im Mittelpunkt von gesellschaftlichen Entwicklungen und Debatten steht. Die Veränderungen familialer Lebenswelten, Partnerschafts- und Elternverhältnisse und die daraus resultierenden neuen Familienformen werden – meist unter Hinweis auf sozialwissenschaftliche Befunde – in der rechtswissenschaftlichen Diskussion durchaus thematisiert. In der vergangenen und aktuellen rechtwissenschaftlichen Diskussion ist jedoch oft umstritten, ob und wie die Gesetzgebung auf die Pluralisierung der Familienformen und neuen Elternschafts- und Kindschaftskonstellationen reagieren soll. Ziel der Veranstaltung war es, ausgewählte familienrechtliche Vorhaben der Bundesregierung in den Blick zu nehmen und zu diskutieren, ob die Vorschläge der Bundesregierung angemessene Antworten auf die gesellschaftlichen Veränderungen darstellen. Wie reagiert das Recht auf gleichgeschlechtliche Paare, auf Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, oder auf Leihmutterschaften und andere Formen der künstlichen Fortpflanzung?

Vorgestellt und diskutiert wurden Änderungen im Unterhaltsrecht, im Sorge- und Umgangs-, sowie im Abstammungsrecht. Welchen Einfluss haben die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die zunehmende Bedeutung von Kinderrechten? Dabei ging es um die Auswirkungen der Reformen auf die verschiedenen Familienformen und deren Kinder. In den Diskussionen wurde unter anderem den Fragen nachgegangen, ob sich aus den geplanten vielfältigen Änderungen ein zusammenhängendes familienpolitisches Bild ergibt und ob die geplanten Gesetzesvorhaben die formulierten Ziele erreichen bzw. welcher Weiterentwicklungsbedarf von den Teilnehmenden gesehen wird.

Im Hinblick auf die gesellschaftlichen Veränderungen steht das Familienrecht vor extremen Herausforderungen. Insbesondere der Anstieg nichtehelicher Lebensgemeinschaften mit Kindern, die Instabilität von Beziehungen Alleinerziehender (2,7 Mill. Kinder) sowie die hohe Anzahl der Stief- oder Patchworkfamilien (ca. 10% der minderjährigen Kinder) sind hierfür verantwortlich. Hinzu kommt, dass die Familien einem vielfältigen Wandel unterliegen: Familiengründungen mittels medizinischer künstlicher Reproduktion, mehr als 1000 Samenspender-Kinder jährlich, sowie der Kinderwunsch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sind für diesen Wandel verantwortlich.

Diese Tatsachen verlangen nach einer Reform der Eltern-Kind-Beziehung. Vertreter und Vertreterinnen des Bundesministeriums der Justiz- (BMJ) gaben zu diesen Themen einen Überblick über das Eckpunktepapier vom Januar 2024, mit Vorschlägen für neue Regeln im Sorge-, Umgangs- und Adoptionsrecht, sowie zum Eckpunktepapier zur Reform des Abstammungsrechts. Diese Eckpunktepapiere sind lediglich als Diskussionsgrundlage zu betrachten, um der Wissenschaft und anderen, z.B. Verbänden, Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben.

Kleines Sorgerecht

So soll es mehr Autonomie im Sorgerecht geben. Ausgeweitet werden soll zudem das „kleine Sorgerecht“1. Dieses gibt dem oder der Berechtigten das Recht, Alltagsangelegenheiten des Kindes mit- bzw. allein zu entscheiden (§ 1687b BGB). Dazu gehören etwa Fragen zur Ernährung, Kleidung, Hygiene oder Gesundheit des Kindes. Die Sorgeberechtigten (im Regelfall die Eltern) sollen künftig durch Vereinbarung bis zu zwei weiteren Personen – zum Beispiel ihren jeweils neuen Partnern – sorgerechtliche Befugnisse einräumen können. Relevant sei diese Neuerung vor allem für Patchwork- und Regenbogenfamilien. Gegenstand der eingeräumten Befugnisse sollen – ähnlich wie derzeit nach § 1687b BGB – in der Regel nur die Angelegenheiten des täglichen Lebens sein. Die Vereinbarung soll auch vor der Empfängnis abgeschlossen werden können, zum Beispiel wenn es etwa in Regenbogenfamilien neben den rechtlichen Eltern noch eine weitere Person (zum Beispiel den leiblichen Vater oder den Partner bzw. die Partnerin eines rechtlichen Elternteils) gibt, die das Kind mitbetreuen soll.

Auf eine rechtsfeste Grundlage gestellt werden soll auch der Umgang des Kindes mit Dritten, zum Beispiel mit seinem leiblichen Vater. Mit ihm sollen die sorgeberechtigen Eltern künftig Vereinbarungen über die konkrete Ausgestaltung des Umgangs schließen können. Eine entsprechende Vereinbarung könne auch schon vor Zeugung des Kindes geschlossen werden.

Umgangsrecht

Die Eckpunkte sehen die Möglichkeit vor, dass Eltern Vereinbarungen zur Aufteilung des Umgangs untereinander zukünftig mittels einer Beurkundung der sofortigen Vollstreckung unterwerfen können. Bislang ist dies nur für einen familiengerichtlichen Vergleich vorgesehen. An dieser Stelle soll die Autonomie der Eltern gestärkt und zudem die Durchsetzung der zwischen den Eltern getroffenen Umgangsvereinbarung ermöglicht werden. Eine verpflichtende vorherige Beratung der Eltern durch das Jugendamt soll Kindeswohlgefährdungen ausschließen. Hierdurch sollen familiengerichtliche Verfahren vermieden bzw. reduziert und gleichzeitig die Vollstreckung bzw. Durchsetzung des Umgangs gestärkt werden. Im Blick stehen damit neben Fällen, in denen eine solche außergerichtliche Möglichkeit den Eltern den Gang zum Familiengericht erspart, auch solche, in denen der vereinbarte / angeordnete Umgang durch einen Elternteil verhindert wird.

Abstammungsrecht

Das Zwei-Eltern-Prinzip soll weiterhin Grundlage einer Modernisierung des Abstammungsrechts bleiben. Daraus folgt, dass Kinder grundsätzlich zwei rechtliche Eltern haben können, von denen die Frau, die das Kind geboren hat, auch künftig stets die rechtliche Mutter des Kindes sein soll. Auch soll der Vater, der bei der Geburt des Kindes mit der Mutter verheiratet ist und die Vaterschaft anerkennt, der rechtliche Vater des Kindes bleiben.

Als Neuregelung geplant sind:

• Gleichgeschlechtliche und verschiedengeschlechtliche Paare sollen gleichgestellt werden.
• Wird ein Kind in einer Partnerschaft zweier Frauen geboren, so soll die Partnerin der biologischen Mutter die zweite rechtliche Mutter des Kindes werden können, ohne ein kostenintensives Adoptionsverfahren in Anspruch nehmen zu müssen.
• Sind zum Zeitpunkt der Geburt beide Frauen verheiratet, so soll die Ehefrau der biologischen Mutter kraft Gesetzes rechtliche Mutter werden.
• Darüber hinaus kann die Ehefrau der biologischen Mutter mittels Anerkennung der Mutterschaft rechtliche Mutter werden, in der gleichen Weise wie auch schon jetzt ein männlicher Partner die Vaterschaft für ein Kind anerkennen kann.
• Im Falle von Samenspenden sollen vor Zeugung eines Kindes Elternschaftsvereinbarungen möglich sein, die regeln, wer neben der biologischen Mutter Vater oder Mutter des Kindes werden soll. Auf diese Weise soll eine frühzeitige rechtssichere Eltern-Kind-Zuordnung ermöglicht werden.
• Die Rechtsposition biologischer Väter soll gestärkt werden. So soll das Recht des biologischen Vaters z. B. auch in dem Fall bestärkt werden, in dem eine mit einem anderen Mann verheiratete Frau von ihm ein Kind erwartet. 

Fazit

Das Grundproblem des deutschen Kindschaftsrechts und der Reformvorschläge ist die rechtliche Hierarchisierung der Eltern in Betreuungs- und Umgangselternteil. Das Kindeswohl kommt in den Reformvorschlägen zu kurz. Die realen und drängenden Probleme von Trennungsfamilien werden im Entwurf nicht angegangen. Ein Großteil der vorgeschlagenen Eckpunkte sind vorwiegend an Erwachsene adressiert, ohne die Rechte und Bedürfnisse der Kinder ausreichend in den Blick zu nehmen. So stehen z. B im Entwurf zum Kindschaftsrecht keinerlei Maßnahmen gegen einseitigen Wegzug oder Kontaktabbrüche – diese Punkte werden nicht mal benannt. Somit bleibt das „Umgangsrecht“ weiterhin ein Recht, das faktisch nicht durchsetzbar ist.

 

1 Das kleine Sorgerecht ist in § 1687b BGB geregelt und gilt – wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind – automatisch ab gültiger Eheschließung. Man muss das kleine Sorgerecht also nicht erst beantragen. Es steht von Gesetz aus zu. Mit dem kleinen Sorgerecht hat man als Stiefmutter oder Stiefvater das Recht, in Fragen des alltäglichen Lebens sowie bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung mitzuentscheiden. Es ist also eine Art eingeschränktes Sorgerecht.

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