Interview zur frauengerechten Sprache

Beitragsbild: Frauenrechte

Interview geführt von Jenniffer Ehry-Gissel für die fh 3/2020

Maria Elisabeth – „Marlies“ – Krämer wurde 1937 im Saarland geboren. Sie ist Feministin, Umweltschützerin, Autorin und Kommunalpolitikerin. Ihr Herzensthema ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Sprache. Dieses Anliegen vertritt sie mit Nachdruck und durchläuft eine gerichtliche Instanz nach der anderen, um die Weiblichkeit auch in der Sprache durchzusetzen. Wir haben Frau Krämer in der Fh 2/2020, S. 3 oben, bereits vorgestellt.

Bekannt wurde sie 2018 damit, die Saarbrücker Sparkasse verklagt zu haben, weil sie nicht als „Kunde“ oder „Kontoinhaber“ angesprochen werden wollte, sondern als „Kundin“ und „Kontoinhaberin“. Die Klage wurde vom Amtsgericht, vom Landesgericht, vom Bundesgerichtshof und vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen.

Viele Jahre zuvor bekamen auf ihre Initiative hin Tiefdruckgebiete im Wetterdienst nicht nur weibliche, sondern dann auch männliche Namen.

 

Fh: Liebe Frau Krämer. Was ist Ihr „Warum“? Gab es einen Auslöser, einen Aha-Moment, der Sie bis heute antreibt, sich für Ihr Thema einzusetzen?

M.K.: Als mein erster Mann verstarb, stand ich ganz alleine da mit vier Kindern. Ich wurde sozusagen in eiskaltes Wasser geschmissen. Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Bis dahin war ich eine folgsame, katholisch erzogene Hausfrau, die alles gemacht hat, was in dieser Zeit gefordert wurde, ohne nachzudenken. Ich habe immer gesagt: Ich bin eine hirnlose Mitläuferin. Bis ein Mann mich darauf aufmerksam machte, dass man als alleinerziehende Mutter von vier Kindern keine hirnlose Mitläuferin sein kann. Dieser Mann wurde später mein Lebensgefährte und Mentor. Durch ihn begriff ich, wie mit Frauen umgegangen wird. Ich habe das früher immer mitgemacht, doch durch seine Worte wurde ich richtig rebellisch. Ich merkte: Vieles läuft falsch. Ich hatte kein Geld, aber vier kleine Kinder. Ich habe geputzt, habe an einem Imbiss verkauft, ich habe serviert, ich habe alles gemacht, um meine Kinder und mich durchzubringen. Als ich meinen Lebenspartner kennenlernte, wendete sich das Blatt für mich. Er half mir, die Monotonie des anerzogenen Klischeedenkens beiseitezulegen. Als mein Gedankenpotential erst einmal Luft hatte, bin ich losmarschiert. Er war immer für mich da, war an meiner Seite und unterstützte mich. Durch ihn habe ich gelernt, anders zu leben.

 

Lassen Sie uns auf den Anfang Ihres Lebens zurückblicken: Wie sind Sie aufgewachsen?

Ich war die älteste von vier Kindern. Nach dem Krieg, da war ich sechs oder sieben Jahre alt, waren wir sehr arm. Mein Vater war Gärtner, diese Arbeit machte ihm Spaß, er war kreativ in seinem Tun. Aufgrund der Armut hatte ich immer Kleidung und Schuhe von anderen Leuten an. Meine Füße waren dadurch deformiert. In der Schule fielen mir die Fremdsprachen leicht, ich hätte sie gerne studiert, doch war dies aufgrund unserer finanziellen Situation nicht möglich. Meine Lehrerinnen setzten sich dafür ein, dass ich ein Stipendium bekomme, was auch klappte. Doch dann wurde mir kurzerhand eine Stelle als Verkäuferin angeboten, und mein Vater als Patriarch der Familie entschied, ich solle diese annehmen, da ich ohnehin heiraten und Kinder kriegen würde! Wozu also studieren!? Damit war die Chance für mich vertan. Erst später, als die Kinder aus dem Haus waren, habe ich ein Soziologie-Studium absolviert.

 

Hat Ihr Vater anerkannt und geehrt, was Ihre Mutter für die Familie und in Folge für die ganze Gesellschaft getan hat?

Nein. Er war Patriarch. Obwohl wir sehr unter ihm gelitten haben, möchte ich heute sagen: Er war Gefangener seiner eigenen Erziehung. Als sein Vater im ersten Weltkrieg starb, stand seine Mutter mit sieben Kindern alleine da. Das war für alle Beteiligten die Hölle. So wurde mein Vater groß. Meine Mutter wiederum glaubte alles, was die Kirche sagte. Sie war die liebste und beste Mutter, die es für uns Kinder überhaupt geben konnte. Aber sie hatte für sich entschieden, um des lieben Friedens willen – auch wegen uns Kindern – sich unterzuordnen. Das ist für mich heute noch schwer nachvollziehbar.

 

Als Ihre Kinder groß waren, haben Sie sich entschieden doch noch zu studieren?

Das war das Beste, was mir als Frau passieren konnte, denn dabei sind sämtliche patriarchalen Knoten im Kopf geplatzt. Nichts und niemand konnte mich nun mehr aufhalten. Wenn manche Frauen sagen: „das könnte ich gar nicht, das schaffe ich nicht…“ entgegne ich: „das habe ich auch immer gedacht!“ Die ganzen patriarchalen Zöpfe müssen einfach abgeschnitten werden. Wir müssen uns wieder auf unsere eigenen Bedürfnisse besinnen. Dann kommen die Frauen erst richtig in Fahrt.

 

Von 1990 bis 1996 hatten Sie keine staatliche Legitimation. Wie kam es dazu?

Ich weigerte mich, bei Beantragung meines Ausweises, diesen als Mann zu unterschreiben. Ich lasse mich nicht geschlechtsumwandeln, auch nicht sprachlich! In dieser Zeit gab es langwierige EU-Verhandlungen, die zum Ergebnis führten, dass in allen Ausweisen stehen muss: „Unterschrift der Inhaberin / des Inhabers“. Das war 1996. Erst danach hat der Bundesrat diese Richtlinien ebenfalls übernommen.

 

Ihr Einsatz für die gendergerechte Sprache, stößt auch medial auf viel Interesse

Das ist richtig. Vor vielen Jahren machte mich eine Journalistin (Elke Diehl) darauf aufmerksam, dass Tiefdruckgebiete ausschließlich weibliche Namen haben. Wir entschieden uns, das Thema ebenfalls anzugehen. Ich habe Plakate entworfen, mit denen wir vor dem Meteorologischen Institut in Berlin demonstrierten. Auf diese Initiativen hin wurde eine Kommission einberufen, die dann entschieden hat, dass seit 1999 die Namensgebung beim Wetter jährlich wie folgt geändert werden muss: Ein Jahr weibliche Namen für Hochs, männliche Namen für Tiefs – im nächsten Jahr dann umgekehrt. Mein wichtigstes Argument dabei war: Tief ist immer unten, hoch ist immer oben. Das ist die patriarchale Struktur par excellence. Ich wusste gar nicht, welche Wellen dies schlagen würde. Als es das erste Mal in der Presse stand, saß ich am nächsten Tag von morgens um halb sieben bis abends um viertel nach sechs am Telefon. Ich konnte es gar nicht fassen, dass dieses Thema so einschlägt, wo doch alle immer sagen: Es gibt Wichtigeres.

Ein Fall, den ich seit vielen Jahren von einer zur nächsten Instanz trug, ist die Klage gegen die Saarbrücker Sparkasse. Es geht darum, dass ich nicht als „Kontoinhaber“ und „Kunde“ angesprochen werden möchte, sondern als „Kontoinhaberin“ und „Kundin“. Vor wenigen Wochen habe ich die Information bekommen, dass die Klage, die ich vor zwei Jahren beim Bundesverfassungsgericht eingereicht habe, nicht angenommen wurde. Sofort bekam ich Anrufe von der Presse, sogar ein Übertragungswagen stand vor meiner Tür.

 

Ist aus Ihrer Sicht die geschlechtergerechte Sprache immer und überall anwendbar? Nehmen Sie dafür Formulierungen, die als unschön empfunden werden können oder einen Text schwer lesbar bis unverständlich werden lassen, auf jeden Fall in Kauf?

Das gibt es gar nicht. Alles, was ich lese kann ich ohne Probleme so formulieren, dass beide, also Frau und Mann erwähnt werden und dass keiner dieser beiden vernachlässigt ist. Die gleichberechtigte Sprache hat intensiv von mir Besitz ergriffen, sie ist in jeder Faser meines Körpers. Wir könnten statt „Schreiber“ oder „Schreiberin“ einfach sagen: „Schreibende“. Alternativ zu „Lese- rin/Leser“ kann „Lesende“ gesagt werden. Für mich steht fest: Im generischen Femi- ninum sind beide enthalten. Übrigens verwendet die Uni Leipzig schon seit 2013 das generische Femininum, mit dem Vermerk, dass die Männer da drin mit genannt sind. Beispiel: die/der Bürgerin. Wenn wir das „in“ zuhalten, ist er immer noch da. Also wird sowohl die „Bürgerin“ als auch der „Bürger“ angesprochen.

§28 des Saarländischen Gleichstellungsgesetzes besagt, dass das generische Maskulinum als einzige Sprachform nicht zulässig ist. Dort wird die Paarformel gefordert, wie „die Inhaberin/der Inhaber“ (Anmerkung: die Frauen müssen immer zuerst genannt werden; alphabetisch kommt das F vor dem M) oder wenn möglich alternativ „Studierende“ oder „Schreibende.“

 

Die / Der Bürgerin: Da fällt mir sofort die „Sternchen-Schreibweise“ ein. Was halten Sie generell von der Erfindung des „Sternchens“?

Ich lehne sie total ab. Das „Sternchen“ trennt uns Frauen ja schon wieder vom Hauptwort ab. Ich habe als Frau das verfassungsmäßig legitime Recht, nach Artikel 3, dem Gleichstellungsgrundsatz unseres Grundgesetzes, in Sprache und Schrift als ganze Frau erkennbar zu sein, und nicht zerstückelt von dem Spaltwerkzeug „Sternchen“ mitten im Wort. Wir Frauen stellen mit 52% die Mehrheit der Bevölkerung dar und kommen in unserer Muttersprache nicht vor. Als gäbe es uns gar nicht! Das ist die größte Diskriminierung und vor allem die erste Gewalt, die uns Frauen angetan wird. Mit der sprachlichen Ausgrenzung erleiden wir zudem eine gesellschaftlich viel geringere Wertschätzung als Männer, die immer präsent sind, weil sie genannt werden, während wir Frauen mit dem generischen Maskulinum systematisch totgeschwiegen werden! Deshalb verwahre ich mich auch gegen die Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs (BGH), wir würden dadurch keinen Schaden erleiden.

 

Haben Sie das Gefühl, dass „die Frau“ und alles, was sie tut, in unserer Gesellschaft nicht wertgeschätzt wird?

FamilienFachFrauen üben 16 Berufe in einer Person aus und erwirtschaften mit ihrer kostenlos erbrachten Leistung fast 66% des Bruttosozialproduktes! Welcher Mann vereinigt so viele Berufe in einer Person? Keiner! Wir FamilienFachFrauen leisten die fundamentale Arbeit für Staat und Gesellschaft. Zum Nulltarif! Ohne Arbeitszeitverkürzung! Ohne Urlaubsanspruch! Ohne eigene Rente! Die Gelder werden in Leben zerstörenden Projekten verpulvert, anstatt sie in die wichtigste Zelle des Staates – die Familie – zu investieren; denn: FamilienFachFrauen halten den Motor des Staates am Laufen! Dennoch spricht uns der BGH das Recht ab, explizit in der Sprache genannt zu werden, weil wir in dem generischen Maskulinum mit gemeint seien. Das ist gelinde gesagt eine Unverschämtheit.

Auch sehe ich die Sprache als Droge: Sie kann behilflich sein, wenn erforderlich, aber sie kann auch total zerstören. Die Sprache ist unser wichtigstes Integrationsmittel und unser höchstes Kulturgut. Sie bestimmt unser Denken, Fühlen, Reden und Tun. So, wie wir in der Sprache vorkommen, werden wir auch beachtet, nämlich überhaupt nicht, und darüber hinaus äußerst mies behandelt. Überall dort, in den hochdotierten Chefetagen, wo die Macht und die Gelder verteilt werden, sitzen ausschließlich Männer, die über eine Welt bestimmen, in der wir alle leben. Und so sieht die Welt letztendlich auch aus. Des Profitdenkens wegen wird alles gegen die Wand gefahren. Und unsere Kinder haben keine Perspektiven mehr, weder gesundheitsmäßig, noch erwerbsmäßig, noch umweltmäßig.

 

Sie sind auch als Umweltschützerin aktiv?

Ich lebe nach aus der Lebenserfahrung heraus gewonnenen Überzeugungen, konsequent, ohne Wenn und Aber. Ich habe bei der Geburt meiner vier Kinder die Verantwortung für deren Leben und Zukunft übernommen. Diese kann ich nicht delegieren. Ich muss so leben, dass sie noch eine Chance haben. Ich bin ein Teil der Natur. Und wenn ich die zerstöre, zerstöre ich mich und das Leben meiner Kinder. Ich bin eine in Zusammenhängen denkende Frau. Für mich gehört alles zusammen. Ökologie und Ökonomie sind unabdingbar miteinander verbunden. Der beste Erwerbsarbeitsplatz nutzt uns gar nichts mehr, wenn rund herum alles zerstört ist. Und auch das Geld nutzt uns nichts. Das können wir nicht atmen, nicht essen und nicht trinken.

 

Welche sind Ihre nächsten Projekte? Welche Veränderungen wünschen Sie sich noch? Oder haben Sie alles erreicht, was Sie erreichen wollten?

Noch lange nicht. Alleine, wenn ich die Werbung sehe: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“, so etwas Blödes. Es gibt noch so vieles, was ich angehen möchte. Das Wichtigste ist die Sprache. Es gibt einiges, was in unserer Sprache „versaut“ wird. Wir sind umgeben von Stereotypen. Eine dieser Stereotypen sind die Verkehrsschilder. Zwei Personen auf einem Verkehrsschild sind immer Frau und Kind. Und eine Person auf einem Verkehrsschild ist immer ein Mann. Das impliziert uns ganz subtil: Kinder gehören zu den Frauen und die Männer haben mit ihnen nichts am Hut. Das prägt sich schon früh in den Köpfen ein.

 

Gibt es etwas, was Sie noch ergänzen möchten?

Die Sprache ist das A und O für alles! Wir haben den „Gemeinnützigen Verein zur Erlangung der sprachlichen Gleichberechtigung“ mit Sitz in Sulzbach gegründet. Ich werde einen offenen Brief formulieren und an einige ranghohe Politiker schicken. Auch Unterschriften wollen wir dazu sammeln. Wir freuen uns über Unterstützer und die Bekanntmachung unserer Arbeit.

 

Liebe Frau Krämer, ich danke Ihnen für das interessante und lebhafte Interview. Für Ihre Arbeit wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg und privat vor allem Gesundheit.

 

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