Ein Dokument verfehlter Familienpolitik

Beitragsbild: Deutscher Bundestag

Von Aloys Gelhaus aus der fh 1/2025

 

Monitor Familienforschung des BMFSFJ, „Was heißt hier Familienfreundlich?“, Februar 2023

„Ein Schlüssel für die erfolgreiche Bearbeitung dieser Herausforderungen liegt im genauen Verstehen der konkreten Bedarfe von Familien.“

So lautet der Schlusssatz im Fazit der 45. Ausgabe des Monitors. Wie wahr! Über die konkreten Bedarfe von Familien gibt das 70-seitige Dokument viele Informationen. Die meisten Ergebnisse sind allerdings aus vielen weiteren Erhebungen schon lange bekannt. Die SINUS-Forscher haben nun direkt bei den Betroffenen nachgefragt. Das Wichtigste dazu lesen wir im Kapitel 5 ab Seite 36. Die „Differenz von Relevanz und Wirklichkeit“ ergab dieses Ranking: 1. Wohnen und Infrastruktur; 2. Soziale Sicherung; 3. Vereinbarkeit von Familie und Beruf; 4. Bildung und Betreuung; 5. Freizeit und Kultur; 6. Gesellschaft.

Unsere (auch) für Familien zuständige Ministerin Paus hat diese konkreten Bedarfe sehr wohl verstanden. Lt. ihrem Vorwort müsse die Bundesregierung die ersten drei Themen nämlich dringend angehen. Aber schon im nächsten Absatz kommt die Kehrtwende. Zur Verringerung der Armutsrisiken ist für sie die Kindergrundsicherung „eine der dringendsten Aufgaben“! Politiker finden offenbar immer einen Weg, ihr Steckenpferd als besonders dringend hervorzuheben. Politisch und bei den Befürwortern der derzeitigen Politik steht die Vereinbarkeits-Frage immer wieder im Vordergrund. In diesem Monitor musste sie sich mit der enttäuschenden Position drei zufrieden geben. Wohnungspolitik ist auch Familienpolitik. Es ist nun schon immer so, dass Familienpolitik ressortübergreifend stattfindet. Und es ist seit sehr vielen Jahren für Familien mit mehreren Kindern ein Problem, eine passende Wohnung zu finden. Ministerin Paus darf sich nicht mit dem Aufruf, dass „von allen politischen Akteurinnen und Akteuren stärker mitgedacht werden muss“, zufriedengeben. Sie muss die begründeten Bedarfe der Familien gegenüber allen Ressorts anmelden und nachdrücklich verfolgen; sie ist schließlich Kümmerer für alle Belange von Familien!

„Alarmierend ist der Befund, dass die begrenzte Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum mittlerweile einer der Hauptgründe dafür ist, keine (weiteren) Kinder zu bekommen. So geben 42 Prozent der Eltern zwischen 18 und 29 Jahren und 33 Prozent der Eltern im Alter zwischen 30 und 39 Jahren ohne weiteren Kinderwunsch an, dass der Wohnraum nicht groß genug sei und sie deswegen die Familie nicht vergrößern wollten“ (Seite 30). Konkreter Bedarf; deutlicher können die Eltern es der Politik nicht ins Stammbuch schreiben! Liebe Frau Familienministerin, kümmern Sie sich darum! Die Befragten erwarten ein Gesamtkonzept! Pläne für (weitere) Kinder aus solchen Gründen nicht realisieren zu können, kann für viele junge Paare eine große psychische Belastung darstellen! Und es steht zu vermuten, dass auch ein Teil der jährlichen Abtreibungen darin seinen ursächlichen Grund hat, wie es die Bundesärztekammer 2023 mitteilt.1

Die Äußerungen zur sozialen Sicherung lt. Abbildung 22 bestätigen eindrucksvoll und nachhaltig das Herzensanliegen unseres Verband Familienarbeit e. V. Das Positionspapier des Verbandes zur demografischen Situation in Deutschland vom November 2024 nimmt zur familiengerechten Alterssicherung der Eltern ausführlich Stellung und vermutet als Hauptursache für Kinderlosigkeit, „dass unsere Sozialgesetzgebung die Altersversorgung von der Anzahl der Kinder abgekoppelt und stattdessen an die Erwerbstätigkeit angedockt hat“. Das müsse korrigiert werden. Ebenso stünde den Eltern, die keine Kita nutzen, eine finanzielle Förderung in ähnlicher Höhe zu, wie die öffentlichen Zuschüsse für einen Kita-Platz ausmachen (Stichwort: Elterngehalt).

Dies vorweggeschickt, nun wieder zum Familienmonitor, Abbildung 22 auf Seite 44. Vor allem bei den folgenden ersten fünf Aspekten aus der Tabelle zum Handlungsfeld „Soziale Sicherung und finanzielle Unterstützung“ ist der „Abstand zwischen dem Anspruch auf eine familienfreundliche Gesellschaft und der Realität noch besonders groß“. Die Differenz zwischen Anspruch und Realität (lt. Studie Potential) entspricht dem Anteil von allen Befragten, der bei diesen Aspekten noch Handlungspotential sieht.

  • Nur 30 % finden, dass Mütter und Väter vor Altersarmut geschützt sind, als „extrem/sehr wichtig“ ordnen das aber 89% ein: Differenz: 59 %
  • Ebenfalls nur 30 % können sich private Ausgaben für Bildungsförderung leisten, als „extrem/sehr wichtig“ finden das aber 82 %: Differenz: 52 %
  • Nur 40 % haben trotz Berufstätigkeit ausreichend Zeit für die Familie, 91 % sehen das aber als „extrem/sehr wichtig“ an: Differenz: 51 %
  • Für 37 % stellen die Gebühren für die Kinderbetreuung keine starke Belastung für das Familieneinkommen dar. 88 % halten das aber für „extrem/sehr wichtig“: Differenz: 51 %
  • Lediglich 37 % meinen, dass keine Familie unter die Armutsgrenze fällt, für 87 % ist das aber „extrem/sehr wichtig“: Differenz: 50 %

Wie regierungstreu die Autoren dieses Werkes sind, zeigt sich dann auf Seite 45/46. Am Ende der Besprechung der „Grundsicherung“ wird ausgeführt: „Hier deuten sich bereits Bezüge zum dritten Handlungsfeld – Vereinbarkeit von Familie und Beruf – an, da eine umfassende Erwerbstätigkeit der beste Schutz vor Armut im Alter ist (Kapitel 5.1.3)“.

Ja, Erwerbstätigkeit ist rentenbegründend. Insofern stimmt das teilweise. Ist aber die Familienarbeit nicht die viel entscheidendere Arbeitsleistung für unsere Zukunft? Ausschließlich die heutigen Kinder finanzieren die Altersversorgung der heutigen Eltern-Generation. Sie finanzieren auch die in der Regel höheren Versorgungsansprüche für kinderlos gebliebene Frauen und Männer. Weil Erziehungsarbeit in der Familie nicht ausreichend als rentenbegründend anerkannt wird, sind die Rentenansprüche der meisten Eltern vergleichsweise geringer! Ist das gerecht?

Mit dem Hinweis auf „umfassende Erwerbstätigkeit“ wird ignoriert, dass Eltern vielfach auch „den Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten äußerten, um mehr Zeit für die Kinder zu haben“. Häufig sei dies jedoch aus finanziellen Gründen nicht möglich. So ist es! Daran ist aber das Familienförderungssystem schuld; es zwingt, es nötigt Eltern faktisch zur Berufstätigkeit.

Und wie wirkt das alles auf die Kinder?

Gefragt war nur die Sicht der Erwachsenen auf die Situation der Erwachsenen. Die Sicht der Kinder spielte wieder so gut wie keine Rolle. Wie kann Familienfreundlichkeit aber ohne die Einschätzung der Kinderfreundlichkeit überhaupt abschließend beurteilt werden? Kinder sind doch der entscheidende Faktor. Durch sie werden Paare doch erst zur Familie! Kinder brauchen für ein gutes Aufwachsen, für ihre Entwicklung, aber Eltern mit möglichst wenig Stress.

Ein Großteil der Babys / Kleinkinder erlebt den Tag gar nicht mehr in der Familie. Die politisch so nachdrücklich verfolgte frühe Krippenbetreuung (irreführenderweise „frühkindliche Bildung“ genannt) wird in dieser Studie überhaupt nicht hinterfragt! Familienfreundlichkeit aus der Perspektive des Wohlfühlens der Kinder spielt im Familienministerium offensichtlich keine Rolle!

Dabei gibt es eine ganze Reihe von weltweit anerkannten Studien und viele Experten, die dazu Auskunft geben. Beispiele: Die NICHD-Studie und die Day-Care-Cortisolstudie aus den USA, die Wiener Krippenstudie, die Längsschnittstudie NLSCY aus Kanada. Die Ergebnisse dieser Studien bezeugen: Kinderkrippen sind nicht kinderfreundlich!

Wie steht es dann um das dritte Handlungsfeld, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Schon im Vorwort schreibt Frau Paus:

“Trotz Verbesserungen ist die Balance zwischen Familie und Beruf einer der größten Stressfaktoren für Eltern und Kinder in Deutschland. Hier unterstützen wir Familien mit dem quantitativen und qualitativen Ausbau der Kinderbetreuung, (…)“. Was wird den Eltern denn hier vorgegaukelt? Die Betreuungsqualität wird von Jahr zu Jahr schlechter! Auch die Krippenplätze reichen bei weitem nicht aus! Und ist die Ministerin tatsächlich davon überzeugt, dass noch mehr Berufstätigkeit (= weniger Zeit für die Familie und die Kinder) und noch längere Betreuungszeiten den Stress der Eltern verringern? Der Stress entsteht doch erst mit der quasi „Verpflichtung“ zur doppelten Berufstätigkeit, weil ansonsten das Geld für die Familie nicht ausreicht, wie diese Studie und auch die Ministerin bestätigt. An anderen Stellen der Studie wünschen sich sehr viele Eltern mehr „Zeit für die Familie“; mehr Zeit mit ihren Kindern! Aber weitgehend stressfreie Zeit! Das können Eltern aber nur dann realisieren, wenn sie eben nicht „auf zwei Hochzeiten tanzen“ müssen und sich zumindest ein Elternteil für die ersten so wichtigen drei Jahre voll und ganz auf die Familie konzentrieren kann; wenn die Eltern wollen und können, auch im Wechsel. Das ist ein 24/7-Job!

Ganztägige Krippenbetreuung verursacht öffentliche Zuschüsse von insgesamt etwa 1.400 € pro Monat! Warum werden die in der Familie erziehenden Eltern nicht in vergleichbarem Umfange unterstützt? Das würde viel Druck und damit Stress abbauen und den Kindern und den Eltern guttun!

Die entscheidenden, abschließenden Fragen sind nicht: „Was für eine Gesellschaft wollen wir sein? Wollen wir eine familienfreundliche sein?“ (Seite 62). Politik hat die Verpflichtung, sich für Familienfreundlichkeit, Freundlichkeit gegenüber Eltern und deren Kinder, stark zu machen!

Schon auf Seite 20 finden wir eine hervorragende Zusammenfassung: „Insgesamt wünschen sich viele Eltern in der öffentlichen Berichterstattung und von der Politik einen realistischeren Blick auf Familien (und deren Vielfalt), deren Bedarfe und eine stärkere Priorisierung ihrer Bedürfnisse gegenüber einem wahrgenommenen vorherrschenden wirtschaftlichen Denken in der Leistungsgesellschaft.“ Genau! Siehe Eingangszitat: Der Schlüssel liegt im „genauen Verstehen der konkreten Bedarfe von Familien“. Dann handeln wir doch entsprechend! Die Resultate der verfehlten Familienpolitik der letzten Jahrzehnte liegen auf dem Tisch des Ministeriums! Verabschieden wir uns von der Ideologie und kehren wir zurück zur Realität!

Schlussendlich müssen wir hinkommen zur Neuentwicklung einer ehrlichen, echten, bedingungslosen, gleichbehandelnden, von möglichst allen gesellschaftlichen Gruppen mitgetragenen Willkommenskultur für Kinder, welche eine Solidaritätskultur für Familien voraussetzt!

1 https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Politik/ Programme-Positionen/BAEK_Stellungnahme_Schwangerschaftsabbruch_20231011.pdf

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