Text von Nicole Kühn
Muttertag, Familientag, Vatertag: der Mai vermittelt den Eindruck, als könnten Familien in Deutschland kaum höher wertgeschätzt werden. Doch wie sieht die Realität im Alltag aus, wenn Blumen, Bastelaktionen und Bollerwagen ihren großen Tag hatten? Von Wertschätzung ob in ideeller oder gar finanzieller Form keine Spur. Selbst in den aktuellen Krisen, die Familien in vielerlei Hinsicht stärker belasten als Kinderlose, zeigt man mit dem Finger auf die Frauen, sie mögen doch bitte die Karre aus dem Dreck ziehen.
Die Erwerbstätigkeit von Müttern ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen: ca. 85% der Mütter über 12-Jähriger sind erwerbstätig, ein fast ebenso hoher Anteil wie bei den Vätern (89%). Selbst von den Müttern mit Kindern unter drei Jahren gehen knapp 40% einer Erwerbstätigkeit nach, während es vor 14 Jahren nur gut 30% waren. Die Gleichberechtigung kommt voran, könnte man meinen. Doch weit gefehlt, denn der Anteil erwerbstätiger Väter hat sich kaum verändert. Familien leisten also insgesamt immer mehr Erwerbsarbeit – neben ihrer Reproduktionsarbeit. Wer nun einwirft, dass vor allem Mütter ja meist nur teilzeit erwerbstätig sind, dem sei verraten, dass dies bei 66% der Mütter tatsächlich zutrifft – aber auch bei 35% der Frauen ohne Kinder. Und die Männer? 7% der Väter sind teilzeit erwerbstätig – und 12% der Männer ohne Kinder! Tendenz überall steigend. (statistisches Bundesamt 2023)
Trotz dieser oft totgeschwiegenen Mehrbelastung der Familien durch die unbezahlte Sorgearbeit werden PolitikerInnen nicht müde, insbesondere die Mütter kleiner Kinder zu „Mehrarbeit“ aufzurufen – schließlich klafft eine Fachkräftelücke und 60% „Untätige“ scheinen da das größte Potenzial zur Abhilfe zu bringen. Das ist regelrechtes „Mom-Bashing“, statt eines Lobes für die Bereitschaft, einen nur mit Almosen bedachten 24/7-Job zu übernehmen. Vor der Fachkräftekrise gab man sich immerhin noch besorgt um das Wohl der teilzeiterwerbstätigen Mutter – es drohte ja die Altersarmut, die frau im Sinne der Eigenverantwortlichkeit bitteschön selbst abzuwenden habe. Die geleistete Sorgearbeit sozialversicherungspflichtig zu entlohnen? – Nicht in einer Gesellschaft, in der sich „Leistung“ lohnen muss! Doch wenn tatsächlich die 60% Kleinkindmütter nun als Fachkräfte einsprängen, welche Fachkräfte sollten dann die Betreuung der Kinder übernehmen? Eine Milchmädchenrechnung.
Statt Symbolik an Feiertagen wäre den Familien mit der Akzeptanz der Reproduktionsarbeit als gleichwertige Leistung neben der Produktions- und Dienstleistungsarbeit mehr geholfen. Angemessen wäre es, die täglich hinter den Wohnungstüren erbrachte Leistung endlich zu beziffern. Es ist ein leichtes, die täglich erbrachten Arbeitsstunden für Waschen, Kochen, Einkaufen, Organisieren, Trösten, Ermutigen etc. etc. zu erfassen, die Nacht- und Sonntagsdienste dabei nicht zu vergessen. Dies alles muss von Eltern gewährleistet werden, ob mit oder ohne „Vereinbarkeit“ durch ein Betreuungsangebot. Schätzungen beziffern den Wert der Reproduktionsarbeit auf ca. 30% des BIP. Ähnlich dem Erdüberlastungstag sollte jährlich ein „Familienleistungstag“ signalisieren, an welchem Tag im Jahr die Familien bereits so viele Arbeitsstunden bzw. den gleichen Wert geleistet haben wie durchschnittliche Arbeitnehmer in Vollzeitbeschäftigung. Und mindestens dieser Tag sollte für alle Familien ein freier Tag sein mit kostenlosen Angeboten für die wertvolle gemeinsame Zeit.