Buchbesprechung von Dr. Johannes Resch aus der fh 1/23
Florian von Rosenberg: „Die beschädigte Kindheit“
Das Krippensystem der DDR und seine Folgen
C.H. Beck München, 2022 | 288 Seiten, 18 Euro | ISBN 9783406791994
Das Buch referiert die Geschichte des Krippensystems in der DDR von 1950 bis zur Wende 1989. Immer wieder erinnert diese Lektüre an die ähnliche Entwicklung in der Bundesrepublik seit der Jahrtausendwende, als Wiederholung der 50 Jahre früher in der DDR eingeführten kollektiven Kinderbetreuung. Von Rosenberg zeigt, dass die Bedenken gegenüber den Kinderkrippen, die heute besonders von Kinderärzten geäußert werden, bereits in der DDR eine Rolle spielten. Allerdings beschränkten sich vorsichtige kritische Ansätze gegenüber den Kinderkrippen in der DDR auf die wissenschaftliche Diskussion in Fachzeitschriften, deren Inhalt nicht bis in die für die allgemeine Bevölkerung zugänglichen Medien vordringen durfte. Auch der Verband der Kinderärzte wurde zu „linientreuen Stellungnahmen“ genötigt. Z.B. äußerte der Vorstand des DDR-Kinderärzteverbandes noch 1982: „Die Kinderkrippen sind unverzichtbar für die sozialistische Gesellschaft, für die Gleichberechtigung der Frau“. So wurde die kritische Haltung vieler DDR-Kinderärzte abgewürgt.
Am Ende der DDR gab es dort eine umfangreiche Erfahrung mit den Kinderkrippen, die in akademischen Arbeiten auch ihren Niederschlag fand. So beschrieb bereits 1980 die Doktorandin Karin Hortmann in Ostberlin, dass „die sprachlichen und geistigen Fähigkeiten der Familienkinder signifikant über denen der Tageskrippenkinder“ lagen. Aber auch diese Erkenntnisse durften nicht in die damalige politische Diskussion in der DDR einfließen. Nach Westdeutschland drangen sie dagegen gar nicht vor. Kennzeichnend ist allerdings, dass diese DDR-Erfahrungen im Rahmen der nach der Jahrtausendwende auf gesamtdeutscher Ebene erfolgten Propagierung der Kinderkrippen auch in den vom „Westen“ übernommenen Medien nicht thematisiert wurden. Unsere aktuelle Familienpolitik zeigt sich da in keiner Weise lernfähig, sondern setzt praktisch die DDR-Ideologie fort. Allerdings ist festzustellen, dass diese jetzt auch von vielen unserer Wirtschaftslobbyisten mitgetragen wird, die über eine möglichst volle Erwerbsarbeit beider Eltern ihren Profit erhöhen wollen. Zu DDR-Zeiten wurden die Krippen von denselben Kräften noch als „Teufelszeug“ behandelt. Hortmanns Ergebnisse sind nicht eine in Frage zu stellenden „Zuordnung“, sondern stützen sich auf seriöse Erhebungen. Der Autor des Buches selbst nennt die aktuelle Krippenpolitik im Nachwort „geschichts-vergessen“. Obwohl die Kritik an den Kinderkrippen heute sicher offener und mit geringerem Risiko geäußert werden kann als in der DDR, besteht eine überraschende Ähnlichkeit im Umgang der „Mainstream-Medien“ mit dem Thema im Sinne des Verschweigens der bereits in der DDR dokumentierten nachteiligen Folgen. Das Grundübel liegt hier erneut darin, dass die staatliche Finanzierung ausschließlich in die Krippen fließt, während die Erziehung durch die Eltern keine Honorierung erfährt. Angeblich sei Gleichberechtigung der Frau nur über die Gleichstellung im Erwerbsleben möglich. Dieser Gleichklang ist erstaunlich, da unsere Mainstream-Medien nicht so streng gesteuert werden, wie das in der DDR der Fall war. Der Inhalt des Buches ist gerade hinsichtlich der aktuellen Politik ein Weckruf, ist also nicht nur von historischer Bedeutung.