Stellungnahme zu einem Papier des CDU-Landesverbands

Beitragsbild glückliche Mutter mit Kind

von Gertrud Martin aus der fh 1/23

Betr.: Papier des CDU-Landesverbands NRW zur Bildungspolitik vom 25.10.2022

Sehr geehrte Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages,

als Verband Familienarbeit e.V, beobachten wir mit Sorge, dass die Familienpolitik durch Klimadiskussion, Corona und Krieg in der Ukraine immer noch weiter in den Hintergrund gedrängt wird, als das ohnehin schon seit Jahren der Fall ist. Das gilt sowohl für die gegenwärtige Ampel-Regierung als auch für die oppositionelle CDU/CSU. Auch die Antwort der NRW-CDU auf von unserem Verband vor der letzten Landtagswahl versandten Wahlprüfsteine ließ keine Hinweise auf eine zukunftsfähige Familienpolitik erkennen. Unsere gezielten Fragen nach einer Gleichberechtigung von Eltern in unserer Gesellschaft wurden lediglich mit Worthülsen ohne konkrete Aussagen beantwortet. Wir nehmen ein neues Papier der CDU in NRW zur Bildungspolitik (1) zum Anlass, um uns damit näher auseinanderzusetzen. Der NRW-Landesverband der CDU ist mit Abstand der größte Landesverband und macht fast ein Drittel des Bundesverbandes aus. Damit sagt seine Haltung auch etwas über die Bundes-CDU aus.

Der IQB-Bildungstrend 2021 (2) verglich den Ausbildungsstand der aktuellen Viertklässler in den Fächern Deutsch und Mathematik mit dem der Viertklässler von 2011 und 2016. Dabei wurde ein deutlicher Abfall der Leistungen zwischen 2011 und 2016 und nochmal bis 2021 erkennbar. Dieser Abfall begann damit schon vor Corona und lässt sich auch nicht allein mit dem steigenden Migrantenanteil erklären. Wodurch dieser Abfall vor allem verursacht sein könnte, wird im Papier nicht weiter hinterfragt.

Die letzten Jahrgänge der Viertklässler durchlebten ihre ersten Lebensjahre zu Beginn der „neuen Familienpolitik“ mit der zeitlichen Kürzung des zwei-jährigen Erziehungsgeldes zum einjährigen Elterngeld und massiv ausgebautem Krippenangebot für 2- und 3-jährige Kinder. Aus großen Verlaufsuntersuchungen, z.B. der NICHD-Studie aus den USA (3) wissen wir, dass die soziale Entwicklung der Kinder mit umso größeren Risiken verbunden ist, je früher und länger sie in den ersten drei Lebensjahren fremdbetreut wurden. Kinderärzte und besonders Kinderpsychologen weisen heute nahezu übereinstimmend daraufhin, dass die ersten drei Lebensjahre entscheidend für die tragfähige Bindung zu den Eltern sind. Eine enge Bindung zu mindestens einer Bezugsperson ist die beste Voraussetzung für die Selbstsicherheit der Kinder als Grundlage späteren schulischen Lernens. Es ist damit naheliegend, dass auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der „neuen Familienpolitik“ und der Verschlechterung der schulischen Leistungen besteht. Als Verband haben wir bereits darauf hingewiesen, dass hier ein dringender Forschungsbedarf besteht, um diese Zusammenhänge zu klären (4). Es spricht ja ohnehin Vieles dafür, dass sich die „neue Familienpolitik“ vor allem an den Interessen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes und weniger am Kindeswohl orientiert. Aber weder die Antwort auf unsere Wahlprüfsteine noch das neue Papier lassen erkennen, dass sich die CDU-Führung in NRW überhaupt mit den neueren wissenschaftlichen Ergebnissen, die nicht nur aus der NICHD-Studie, sondern auch vielen anderen Arbeiten zu entnehmen sind, auseinandergesetzt hat.

Im Papier der CDU in NRW wird eingangs mit Recht auf den zunehmenden Arbeitskräftemangel aufgrund der „demographischen Fakten“ hingewiesen. Auch den Hinweis im Papier, diese Situation gefährde sowohl den aktuellen Wohlstand als auch im Besonderen unser soziales Sicherungssystem, halten wir für voll berechtigt. Aber trotz dieser zutreffenden Zustandsbeschreibung fehlt eine Analyse der Ursachen. Deshalb ist von dieser CDU auch keine wirklichkeitsnahe Lösungsstrategie zu erwarten. Dem Titel entsprechend befasst sich das Papier ausschließlich mit der Bildungspolitik. Bildung ist sicher wichtig. Aber die beste Bildungspolitik geht ins Leere, wenn es nicht genügend bildungsfähigen Nachwuchs gibt. Wenn eine Gesellschaft weniger Kinder erzieht, können auch nur weniger Arbeitskräfte nachwachsen. Auch Zuwanderung kann da keinen Ersatz schaffen.

Angesichts unserer aktuellen Situation ist Kindererziehung heute sogar wichtiger als Erwerbsarbeit, wenn unsere Gesellschaft eine Zukunft haben soll. Die im Papier der NRW-CDU geforderte stärkere Förderung der ohnehin weit überbewerteten Erwerbsarbeit durch eine nur erwerbsbezogene Bildungspolitik muss zur weiteren Abwertung der elterlichen Erziehungsarbeit führen und die Probleme weiter verschlimmern. Das wird auch deutlich am Narrativ “Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Was nach außen als Hilfe für Eltern verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein Programm zur Diskriminierung der Eltern und besonders der Mütter. Die „Vereinbarkeit“ ist eine Sonderbelastung für Eltern, denn Erwerbstätige ohne Kinder müssen nichts „vereinbaren“. Die Forderung der „Vereinbarkeit“ überhöht die Erwerbsarbeit weiter zu Lasten der Erziehungsarbeit. Das wird sowohl vom marxistischen wie vom kapitalistischen Denken gefördert. Beides stellt die kurzfristig ertragreichere Erwerbsarbeit in den Vordergrund, während die Kindererziehung kaum beachtet und den Eltern unentgeltlich abgefordert wird. So hat schon die Adenauer‘sche Rentenreform 1957 die Alterssicherung von der Kindererziehung abgekoppelt und an die Erwerbsarbeit gebunden, obwohl die Renten seitdem ausschließlich von den erwerbstätig gewordenen Kindern zu bezahlen sind und nicht etwa von den eigenen Beiträgen der späteren Rentenbezieher selbst bezahlt werden. Das hat die Eltern enteignet und Kinderziehung faktisch zur Fronarbeit für die Restgesellschaft gemacht.

Ein solches Denken führt kurzfristig zu einem höheren Wohlstand, weil bei weniger Kindern viel Geld gespart und für den Konsum frei wird. Das funktioniert allerdings nur so lange, bis sich der Mangel an nachwachsenden Arbeitskräften bemerkbar macht. Dann schlägt das Ganze in eine Wirtschaftsrezession um, was auch durch keine Bildungspolitik ausgleichbar ist.

Eine wirklichkeitsbezogene Bildungspolitik muss neben den herkömmlichen Erwerbsberufen auch die Leistung der elterlichen Kindererziehung im Blick haben. Eine Gesellschaft, die das unterlässt, landet unweigerlich in einer ausweglosen Situation, wie sie sich heute bereits abzeichnet.

Gegen Ende des Papiers wird behauptet, für die CDU bleibe die Wahlfreiheit der Eltern „im Focus“. Tatsächlich übt aber die milliardenschwere staatliche Finanzierung der Fremdbetreuung bei gleichzeitiger Nichtfinanzierung der elterlichen Betreuung eine Sogwirkung aus, die einer Bevormundung der Eltern gleichkommt, was auch mit dem Elternrecht nach Art. 6 (Abs. 2) des Grundgesetzes unvereinbar ist. Besonders schwerwiegend wirkt sich das im U3-Alter aus, weil nach allem, was wir heute wissen, die frühe Trennung des Kleinkindes von den Eltern die Entstehung einer festen emotionalen Bindung behindert, die aber Grundlage für späteres Selbstbewusstsein und Bildungsstreben ist.

Hintergrund ist ein völlig falsches Verständnis von Gleichberechtigung der Geschlechter, das lediglich die traditionell männlich geprägte Erwerbsrolle zum Maßstab nimmt. Die Erziehungsarbeit ist aber für die nachhaltige Funktion einer Gesellschaft ebenso wichtig wie Erwerbsarbeit. Dieses einseitige Denken diskriminiert auf breiter Front alle Eltern und besonders die Frauen. Gleichberechtigung kann niemals durch bloße Gleichstellung im Erwerbsleben erreicht werden, sondern nur durch die ideelle und finanzielle Gleichstellung der elterlichen Erziehungsarbeit mit der herkömmlichen Erwerbsarbeit. Auch die zunehmende Auslagerung der Kindererziehung aus der Familie in Kinderkrippen, Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen ist keine Lösung. Sie verhindert die Wahlfreiheit der Eltern, indem sie diese dazu drängt, schon ihre Kleinkinder in Krippen zu geben, unabhängig davon, ob sie das für richtig halten oder nicht. Wenn wir aber die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen, zwingt das nicht nur die Eltern in ein vorgegebenes Korsett, sondern wirkt sich auch meist ungünstig auf die kindliche Entwicklung aus. Die abfallenden Leistungen der Viertklässler dürften hier einzuordnen sein.

Bei vorurteilsfreier Betrachtung könnte man vermuten, das CDU-Papier stamme von der rot-grün-gelben Bundes-Regierung. Die Rolle der Familie für die Zukunft der Gesellschaft und das Glück der Menschen werden hier wie dort ignoriert. Damit ist dieses Papier keine Alternative zu vergleichbaren Papieren der Ampelregierung und ebenso wenig zukunftsfähig.

Fazit

Wir müssen eine Familienpolitik anstreben, die weder die Krippen-Politik der DDR weiterführt, noch die Familie als Reservoir für Arbeitskräfte für die Wirtschaft nutzen will. Es ist vielmehr die Gleichbewertung der Erziehungsarbeit mit Erwerbsarbeit zu fordern und zwar unabhängig davon, ob die Erziehungsarbeit durch die Eltern selbst oder außerhalb der Familie erfolgt. Wenn der garantierte Krippenplatz für das 2. und 3. Lebensjahr den Staat etwa 1200 €/Monat kostet, steht dieses Geld auch den selbst betreuenden Eltern zu. Die grundgesetzlich verbriefte Wahlfreiheit der Eltern erfordert, dass dieses Geld den Eltern ausgehändigt wird, damit sie selbst entscheiden können, ob sie damit die Eigenbetreuung oder eine Fremdbetreuung ihrer Wahl (Kinderkrippe, Tagesmutter, Großmutter u.a.) finanzieren.

Das gilt zumindest für die ersten drei Jahre, für die es keine sachliche Begründung für eine Höherbewertung der Krippenbetreuung gibt. Gesichtspunkte des Arbeitsmarktes dürfen nicht höher bewertet werden als Kindeswohl und Elternrecht.
Von einer solchen Politik ist eine höhere Geburtenzahl zu erwarten. Gleichzeitig würde zwar der gesellschaftliche Wohlstand vorübergehend etwas gedämpft, weil mehr Ressourcen durch die Kinder in Anspruch genommen würden. Aber es ist der einzige Weg, auf lange Sicht die demographische Schieflage zu korrigieren und damit auch den Mangel an nachwachsenden Arbeitskräften zu beheben. Wenn sich Eltern in einer wirtschaftlich entspannten Situation um ihre Kinder kümmern könnten, ohne auf Kinderkrippen angewiesen zu sein, würde das nicht nur der Wahlfreiheit der Eltern dienen, sondern auch die Erziehungsbedingungen für die Kinder verbessern. Schlussendlich würde es Kinder und Eltern glücklicher und zufriedener machen, ihre Gesundheit fördern und auch dadurch unser Sozialsystem entlasten.

Die Idee der sogenannten „frühkindlichen Bildung“ in der Krippe ist angesichts der notwendigen Bindung der U3-Kinder an die Eltern wirklichkeitsfremd. In den ersten Jahren ist die Sprachentwicklung von besonderer Bedeutung. Diese wird aber nicht im Kontakt mit anderen Kleinkindern gefördert, sondern durch die enge Beziehung zu erwachsenen Bezugspersonen.

Mit freundlichen Grüßen

Gertrud Martin
im Auftrag des Vorstands

 

Quellen:

1 „Nordrhein-Westfalen zum Bildungsland Nummer 1 machen“,Aachener Erklärung der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen vom 25. Okt 2022
2 IQB-Bildungstrend2021, Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im dritten Ländervergleich
3 NICHD Study of Early Child Care; Längsschnitt-Studie ab 1991; Hier wurden über 1300 Kinder ab Geburt bis zum Alter von 15 Jahren begleitet.
4 Pressemeldung des Verband Familienarbeit vom 27.10.2022, https://familienarbeit-heute.de/beeintraechtigt-die-krippenbetreuung-von-u3-kindern-deren-spaetere-schulische-entwicklung-elternverband-fordert-klaerung 5 Study of Early Child Care

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