Viel Lärm, aber keine naheliegenden Konsequenzen

Beitragsbild: Familie in Armut

von Gertrud Martin aus der fh 4/23

Ende August wurde in der Presse unter dem Titel: „Die Psychiatrien für Kinder sind voll“ und „Klein – und in Not“ darüber berichtet, dass es in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sehr lange Wartezeiten gebe und die Notfälle wie die Einweisungen suizidaler Kinder „stark zugenommen haben“.

Außer der Feststellung, die Auslöser für die Ängste der Kleinsten in unserer Gesellschaft seien „vielfältig“, vermögen die Autoren mit ihrer Ursachenforschung keineswegs zu überzeugen. Genannt werden „multiple Krisen wie Corona, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Klimazerstörung sowie das überstrapazierte Bildungssystem. Aber auch Armut, psychische Erkrankung der Eltern oder Schulprobleme, besonders das Mobbing gelten als große Risikofaktoren für seelische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.

Nicht gedacht wird hingegen daran, dass die seit ca 2006 bestehende „Krippenoffensive“ die Bindung der Kinder zu ihren Eltern erschwert, was spätere psychische Fehlentwicklungen begünstigt. Aber alles, was auf der Linie der Regierungspolitik und der dahinter stehenden Ideologie liegt, darf von vornherein gar nicht hinterfragt werden. Entsprechend dieser aus Sicht des Verband Familienarbeit e.V. zwar richtigen aber lückenhaften Analyse fallen auch die empfohlenen Hilfsmaßnahmen mangelhaft aus: Das Bundesfamilienministerium hat ein neues Projekt ins Leben gerufen, mit dem es im kommenden Schuljahr mehr Sozialpädagogen an den Schulen geben soll. Die unterfinanzierten Kindergärten, Schulen, Ausbildungsstätten, Freizeit- und Gesundheitsangebote sollen finanziell besser ausgestattet werden: „Dort muss künftig viel mehr investiert werden. Es reicht nicht mehr, Kindern und Jugendlichen nur ab und zu zuzuhören. Es braucht schlicht „mehr Geld“, so das Fazit des Leitartikels im Schwarzwälder Boten vom 21. August 23.

Die Frage sei erlaubt: Mehr Geld, ja, aber dann wofür? „Mehr Geld“ sollten vor allem die Eltern erhalten, damit sie ihren Kindern die zeitliche Zuwendung geben können, die ihnen zusteht.

Sollte man nicht wieder mal an die Wurzel der Probleme gehen und prüfen, warum offenbar viele Eltern überfordert sind mit der Aufgabe ihren Kindern Geborgenheit, Wärme und emotionale Sicherheit zu gewähren? Die Doktrin, Gleichberechtigung von Mann und Frau durch Gleichstellung im Erwerbsleben erreichen zu wollen, ist ein Denkfehler. Gleichberechtigung der Geschlechter ist nur möglich durch Gleichbewertung der elterlichen Erziehungsarbeit gegenüber der Erwerbsarbeit. Der Staat tut das Gegenteil, indem er die Angebote der Fremdbetreuung, vor allem der Krippen und Kindergärten massiv bezuschusst, die selbst betreuenden Eltern aber leer ausgehen lässt. Zusätzlich werden die Eltern darüber belehrt, dass sie die Betreuung ihrer Kinder nicht so professionell zu leisten imstande seien wie es wünschenswert sei und von gelernten ErzieherInnen angeboten werde. Dabei kommt es in den ersten drei Jahren weniger auf Professionalität an, als auf die Empathie gegenüber den Kindern, zu der die Eltern am besten geeignet sind.

Comments

  1. Marion Ulherr schreibt:

    Gestern habe ich im ZDF die Talkshow von Thomas Lanz verfolgt.
    Der Hauptteil der Sendung drehte sich um das Thema Integration von Migranten.
    In der letzten halben Stunde ging es um die prekäre Lage in deutschen Kitas, die aufgrund von Personalmangel nicht mehr in der Lage sind ihr Betreuungsangebot in dem Umfang aufrecht zu erhalten, wie es für berufstätige Eltern erforderlich wäre.
    Dazu war eine Expertin für Kindheitspädagogik eingeladen. Es wurde viel darüber gesprochen, wie wichtig ein qualitativ hochwertiges Angebot an Betreuungsplätzen gerade auch für Kinder mit Migrationshintergrund ist und wie sehr die Wirtschaft Deutschlands aufgrund des steigenden Fachkräftemangels auf die Arbeitskraft auch von Müttern kleiner Kinder angewiesen ist, die häufig immernoch lediglich in Teilzeit oder vielleicht sogar überhaupt keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Von Hernn Lanz wurde die Frage in den Raum gestellt, ob nicht sogar eine Kita-Pflicht eingeführt werden sollte, vor allem um angeblich unwillige Migranteneltern dazu zu bewegen, ihrem Kind durch den Besuch einer Kita die Integration und den Spracherwerb zu erleichtern. Herr Lanz scheint anzunehmen, daß in unseren Kitas massenhaft Plätze frei sind, die nur gefüllt werden können, wenn man Eltern zwingt ihre Kinder doch nun endlich anzumelden.
    Ihm scheint entgangen zu sein, daß es genau umgekehrt ist. Eltern wünschen sich Kita-Plätze und kriegen keine, weil die Kitas voll sind und überall Personal fehlt. Darauf hat ihn die Kindheitspädagogin dann auch hingewiesen.
    Was mich sehr nicht überrascht aber doch zunehmend frustriert hat war, das Kinder in dem Zusammenhang wieder nur als anonyme „Verschiebemasse“ wahrgenommen wurden. Natürlich ist es für Kinder aus Familien, in denen kein deutsch gesprochen wird wichtig, schon vor dem Schuleintritt mit unserer Sprache vertraut zu werden und Kontakt zu deutschsprachigen Gleichaltrigen zu haben, das will ich keinesfalls bestreiten. Wobei ich nicht glaube, daß es aus diesem Grund zwingend erforderlich ist, Kinder schon unter drei in die Krippe zu geben. Ein Kindergartenbesuch ab drei Jahren für drei, vier oder fünf Stunden täglich würde da immernoch völlig ausreichen.
    Aber um das, was für kleine Kinder gut wäre, geht es bei diesen Debatten sowieso nie. Es geht ausschließlich um unseren „Wohlstand“, um die „Gewinnung zukünftiger Fachkräfte“, „Gleichberechtigung von Frauen“ und um „frühe Bildungschancen“. Das ist ja zweifellos alles richtig und wichtig und natürlich hängt das zukünftige Wohlergehen unserer Kinder auch stark von der Berücksichtigung dieser Themen ab.
    Und dennoch empfinde ich diese Diskussionen immer als sehr abstrakt und weit weg von meiner alltäglichen Wahrnehmung.
    Ich sehe den gut Einjährigen, der gerade seine ersten selbständigen tapsigen Schritte macht. Der sich morgens müde die Augen reibt und sich nur widerwillig aus Mamas Armen löst, um der Krippenerzieherin übergeben zu werden. Ich sehe die Zweijährige, deren Eltern beide ganztags berufstätig sind und die am späten Nachmittag immer von der Oma abgeholt wird, weil Mama und Papa noch in der Arbeit sind. Sie hat in letzter Zeit angefangen, sich immer wieder Haare auszurupfen.
    Ich sehe verschnupfte, hustende Kleinkinder, die eigentlich Ruhe bräuchten, aber die Eltern können nicht „schon wieder“ und „noch länger“ auf Arbeit fehlen. All diese Bilder habe ich im Kopf, wenn ich „Experten“ und „Fachleute“ über Bildungsgerechtigkeit, Integratioin, Fachkräftemangel, Wirtschaftswachstum und Wohlstandserhalt fabulieren höre und ich frage mich, was der Einjährige, der mit den ersten tapsigen Schritten, wohl dazu sagen würde, wenn er es könnte.
    Sicher würde er sagen: „Ja Mama (oder Papa), ich sehe ein, daß ich mich zur Sicherung unseres künftigen Wohlstandes zu dieser frühen Stunde von dir trennen muß, obwohl ich viel lieber noch ein wenig mit dir gekuschelt hätte und ich habe kein Problem damit, daß du mich heute erst um halb fünf abholen kommst, weil das Meeting in der Firma immens wichtig ist. Kein Problem. Bestimmt würde er das antworten.
    Oder nicht? Zum Glück fragt ihn keiner.
    Am meisten erschüttert mich, daß nicht mal die sog. Kindheitspädagogin auch nur ein Wort dafür übrig hatte, daß vielleicht nicht ausnahmslos alle Kinder uneingeschränkt von den Segnungen unseres modernen Bildungs- und Erziehungssystems profitieren.
    Es lebe der heilige Fortschritt. Amen.

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