Unermüdlich gegen „ignorante Politik“ (in: Sonntag aktuell, 22.2.2004, S. 4)

Obrigheim.“Erziehungsgeld ist zu wenig“, sagt Helga Vetter kämpferisch. Mütter und Väter müssten endlich die freie Wahl haben, erwerbstätig zu sein und die Erziehung ihrer Kinder zu delegieren oder selbst die Familienarbeit zu leisten ohne dafür ins wirtschaftliche oder soziale Abseits zu geraten.

Die Obrigheimerin Vetter ist seit September Bundesvorsitzende des Verbands der Familienfrauen und männer. Die unabhängigen Organisation, die sich aus der 1979 in Kiel gegründeten Deutschen Hausfrauengewerkschaft (DHG) entwickelt hat, feierte am Valentinstag in Trier selbstbewusst aber keineswegs selbstzufrieden ihr 25. Jubiläum – Helga Vetter sieht noch viel Arbeit für die Zukunft.
Seit 1988 feile die DHG an der Konzeption eines Gehalts für Familienarbeit. Es soll sich am Durchschnittseinkommen aller Versicherten orientieren und denjenigen gezahlt werden, die ihre Kinder im eigenen Haushalt erziehen, bis das Jüngste sechs Jahre alt ist. Da das Entgelt nach der Vorstellung des Verbandes auch die Sozialversicherungsbeiträge enthalte, würde die Familienzeit zu einer nennenswerten eigenen Rente führen. Finanziert werden könnte es über den umgewandelten Solidaritätsbeitrag, zuzüglich der dann nicht mehr benötigten Mittel aus Erziehungsgeld, Ehegattensplitting, Sozialhilfe und anderen Leistungen, erläutert Vetters Amtsvorgängerin, die Ehrenvorsitzende Wiltraud Beckenbach aus Grünstadt.

Die Idee des Familienarbeitsgehaltes stammt bereits aus den 70er Jahren, damals propagiert als „Lohn für Hausarbeit“. Doch aufgrund „unglaublicher Ignoranz“ von Seiten der Politik sei sie bislang nicht umgesetzt, so Beckenbach. Helga Vetter nennt ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: „Im September wollte ich der Sozialministerin Ulla Schmidt unsere Sammlung von rund 10.000 Unterschriften für das Familienarbeitsentgelt vorlegen. Bis heute habe ich keinen Termin bekommen.“
Immerhin schon im Bundestag diskutiert wird dagegen das vom Verband seit Jahren geforderte „Gläserne Ehekonto“. Dabei geht es um einen Rechtsanspruch der Haushalt führenden Person auf Auskunft über das Einkommen des erwerbstätigen Ehepartners. Neben dem dauernden Kampf um eine gerechtere Ehe-, Steuer- und Sozialgesetzgebung, bemüht sich die auch umÄnderungen im Sprachgebrauch. Wieso werde von „Nur-Hausfrauen“ geredet, wo sie doch so ein breit gefächertes Aufgabengebiet zu bewältigen hätten?, fragt Vetter. „Warum wird von beruflicher ,Wiedereingliederung“ der Familienfrauen und -männer gesprochen? Wer hat sie denn ausgegliedert?“ Zum Glück sei der „Erziehungsurlaub“ 2001 in „Erziehungszeit“ umbenannt worden.

Diese Teilerfolge sind es wohl, die die Mitstreiter motivieren, sich unermüdlich für ihre Ziele einzusetzen. „Die Gewerkschaft würde aus der ehrenamtlichen Tätigkeit unserer Bundesvorsitzenden drei Arbeitsplätze machen“, sagt Beckenbach. Helga Vetter nickt und blickt auf die zahlreichen Papierstapel in ihrem Wohnzimmer. Oftmals gehe sie nachts um 2 Uhr ins Bett und sechs Stunden später klingele schon wieder das Telefon, erzählt die 53-Jährige.

Nicht nur Gespräche mit Verantwortlichen in Politik, Verbänden und Kirchen, sowie mit Journalisten stünden auf dem Tagesprogramm. Veranstaltungen müssten organisiert, Vorträge ausgearbeitet, Briefe und Broschüren entworfen, sowie die Internet-Homepage gepflegt werden. Zudem ist Vetter seit 1999 Redakteurin der Mitgliederzeitschrift „Familienarbeit heute“.

Wie schafft man das? „Es gehört sehr viel Idealismus dazu und ein Ehepartner, der das Ganze mit trägt“, erläutert die studierte Katechetin. Als der jüngste ihrer drei Söhne das Haus verlassen hatte, habe sie einen „enormen Energieüberschuss“ verspürt. Nach einem langen „Gärungsprozess“, wie Vetter sagt, sei sie 1996 der dhg beigetreten, die mit den angeschlossenen Verbänden wie den Mütterzentren und dem Arbeitskreis Familienhilfe inzwischen etwa 9000 Mitglieder zählt.

Bei ihrer Tätigkeit habe sie sehr viel gelernt, so die Pfälzer Bundesvorsitzende. Sie tue jetzt Dinge, die sie sich früher nicht zugetraut hätte. Zudem seien zahlreiche Freundschaften in ganz Deutschland entstanden. „Die machen das Ehrenamt erträglich“, meint Vetter.
Anja Benndorf
Internet: home.t-online.de/home/mysoft/dhg/dhg_inf.htm

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert