Salzkörner – Zeitschrift des ZdK – Ausgabe 1/2005

Familien stark machen – Elternkompetenz fördern

Ein Beitrag von Dr. Johanna Graf, Psychologische Psychotherapeutin Universität München,
Institut für Psychologie

"Wenn man Eltern eine echte Entscheidungsfreiheit für die Balance von Familie-Beruf bieten will, muss Familienarbeit auch gesellschaftlich anerkannt werden. Der beste Weg dazu ist die finanzielle Entlohnung der Erziehungsleistung." Eine der Aussagen in diesem Artikel.
Nie zuvor sind so wenige Kinder geboren worden wie heute. Nie zuvor sind so viele Ehen auseinander gebrochen. Kinder entwickeln Verhaltensauffälligkeiten. Eltern fühlen sich überfordert und sind verunsichert. Familien brauchen familienentlastende Angebote in Form von Kindertageseinrichtungen, aber auch in Form von Bildung und Stärkung der Beziehungskompetenz.

Alle Eltern wünschen sich, ihre Kinder zu glücklichen, selbstbewussten und verantwortungsvollen Menschen heranwachsen zu sehen. Schnell merken sie, dass das leichter gewünscht als getan ist. Zweifel, Frustration und Ohnmachtsgefühle beginnen häufig bereits nach der Geburt des ersten Kindes. Leider werden Babys nicht mit Bedienungsanleitung geliefert. Eltern heute haben wenig (positive) Erfahrung und wenig Unterstützung. Es mangelt an Wissen und an konkreten Fertigkeiten, um Kinder kompetent auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Erschöpfung, Verunsicherung, unnötige Fehler und Reibereien sind die Folge. Eltern und Kinder sind die Leidtragenden. 10-20 % aller Kinder und Jugendlichen entwickeln klinisch relevante psychische Störungen, die in der Familie entstehen.

Die ersten Lebensjahre sind entscheidend

Sicher gebundene Kinder haben Eltern, die emotional verfügbar sind und feinfühlig auf ihr Kind eingehen, wenn dieses beunruhigt ist. Sie lernen, dass ihre Gefühle und Bedürfnisse verstanden, respektiert und beantwortet werden. Deshalb drücken sie Kummer, Freude und Erleichterung deutlich aus. Wiederholte Erfahrungen mit den Eltern werden als "innere Bilder" im Gehirn verankert und beeinflussen, wie sich die Gehirnstruktur des Kindes entwickelt. Deshalb sind die ersten Lebensjahre so entscheidend.

Eltern denken oft: "Wenn ich auf den Kummer meines Kindes zu sehr eingehe, wird er noch größer" oder "besser ist es, ich ignoriere den Wutausbruch meiner Tochter, sonst gewöhnt sie sich das noch an!" Doch unangenehme Gefühle verschwinden nicht einfach, wenn sie klein gemacht, abgewertet oder ignoriert werden – auch wenn Eltern sich das noch so sehr wünschen. Das Gegenteil ist der Fall. Emotional verfügbar sein heißt, die Gefühle des Kindes wahrnehmen, sich einfühlen, Verständnis und Solidarität signalisieren. Dadurch lernt es, sich selbst zu beruhigen, was für die körperliche Gesundheit, den Aufbau von Beziehungen sowie für schulischen und beruflichen Erfolg von unschätzbarem Wert ist. Emotionale Vernachlässigung ist dagegen ein Hauptrisikofaktor für spätere gesundheitliche und psychische Probleme.

Partnerschaft als Fundament der Familie

Glückliche Paare, glückliche Kinder – lautet die vereinfachte Formel. Eine glückliche Partnerschaft gibt Eltern Kraft für ihre Erziehungsaufgabe und färbt das ganze Familienklima positiv. Dagegen ist es sehr schwer, geduldig, warmherzig und feinfühlig auf Kinder einzugehen, wenn Partnerschaftsprobleme an den Nerven zerren. Destruktiv ausgetragene Konflikte sind nicht nur tödlich für die Partnerschaft, sondern stellen für Kinder eine sehr große Belastung dar. Viele geben sich die Schuld an den elterlichen Auseinandersetzungen. Wie groß der Stress ist, zeigt sich an ihrer physiologischen Erregung und einem erhöhten Stresshormonspiegel. Spannungen lassen sich vor den Kindern nicht verbergen. Sie sind äußerst sensible Barometer für den inneren Seelenfrieden ihrer Eltern. Deshalb gilt es, Konflikte konstruktiv zu lösen und mit den Kindern darüber zu sprechen Eine glückliche Partnerschaft stärkt auch die Fähigkeit, bei der Erziehung als Team zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen.

Eltern werden, Partner bleiben

Wie sich Kinder in ihren ersten Lebensjahren entwickeln, lässt sich größtenteils daraus vorhersagen, wie die Partner – vor der Geburt des Kindes – miteinander zurechtkommen. Vor diesem Hintergrund betrachtet, sind die Fakten umso bedenklicher. Etwa ein Drittel der geschlossenen Ehen wird wieder geschieden. Gerade dann, wenn sich Paare die Erfüllung ihrer Partnerschaftsbeziehung erhoffen, nämlich durch die Geburt ihres ersten Kindes, wird die Partnerschaft besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Darauf sind die wenigsten vorbereitet. Eine Flut von Belastungen bricht auf die junge Familie herein. Die dabei auftretenden Schwierigkeiten werden sich, dem Partner oder dem Kind angelastet. Von einem Tag auf den anderen hat das Paar rund um die Uhr ein kleines hilfloses Wesen zu versorgen. War man gerade noch kompetent im eigenen Beruf, ist man nun "Anfänger" in der Elternrolle. Gerade dann, wenn mehr finanzielle Mittel benötigt werden, stehen weniger zur Verfügung. Finanzielle Sorgen und das Ringen um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellen manche Paare vor eine wahre Zerreißprobe. Paaren mit außergewöhnlich guter Beziehung und sehr guten Gesprächskompetenzen gelingt es eher, ihre Partnerschaft aufrechtzuerhalten. Besonders unzufrieden sind Paare, die eine egalitäre Rollenaufteilung anstreben – wegen des "Rückfalls" in traditionelle Rollen.

Was Eltern brauchen

Eltern müssen in der Lage sein, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen und sie brauchen die Zeit und die Kompetenz, um ihre Partnerschaft zu pflegen und sich um ihre Kinder zu kümmern. Mütter, die möglichst bald in ihren Beruf zurückkehren wollen, brauchen dazu die Gelegenheit. Deshalb ist der Ausbau der Kindertagesbetreuung ein wichtiger und sinnvoller Schritt, der aber für sich allein genommen zu kurz greift. Ein quantitativer Ausbau von Krippenplätzen allein ist unzureichend. Alle bisherigen Studien zur Fremdunterbringung von Kindern unter 3 Jahren können ein Entwicklungsrisiko nicht völlig ausschließen. Um die Folgen für Kinder abschätzen zu können, müssen auch weitere Faktoren bedacht werden: Wie feinfühlig gehen Eltern in der verbleibenden Zeit mit ihren Kindern um? Wie qualitativ hochwertig ist die Betreuung?

Was ist mit den Müttern (oder Vätern), die sich selbst um ihre Kinder kümmern wollen? Neben dem schlechten Image der "Nur-Hausfrau" sind es finanzielle Nöte oder der Druck seitens des Arbeitgebers, die Eltern veranlassen, nach der "Gleichzeitigkeit" von Familie und Beruf zu suchen. Ein Unterfangen, das angesichts der zeitlichen Beschränkung eines Tages auf 24 Stunden von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.

Wie steht es um die Familien, in denen die Kinder fremdbetreut werden? Gerade die Eltern, die sich entschließen, ihr Kind in die Krippe zu geben, brauchen für die verbleibende Zeit mit dem Kind die Kompetenzen, um sie auch wirklich wertvoll zu gestalten und nicht in einem Teufelskreis aus Erschöpfung, Quengeln und Schimpfen unterzugehen. Spaß macht, was man kann. Wenn Eltern sich im Umgang mit ihren Kindern kompetenter fühlen würden und die Erziehungsaufgabe gesellschaftlich ebenso hoch bewertet würde wie die Erwerbstätigkeit, würden sich noch mehr Eltern dafür entscheiden, ihren Kindern die ersten wichtigen Jahre ganz zu widmen.

Familiengerechte Familienpolitik

Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Jeder Euro, der in den frühen Jahren eingespart wird, rächt sich später um das Vielfache: durch Ausgaben im Gesundheitswesen, in der Verbrechensbekämpfung, bei Scheidungen und vielen anderen kostspieligen gesellschaftlichen Problemen.

Wenn man Eltern eine echte Entscheidungsfreiheit für die Balance von Familie-Beruf bieten will, muss Familienarbeit auch gesellschaftlich anerkannt werden. Der beste Weg dazu ist die finanzielle Entlohnung der Erziehungsleistung. Wenn der Staat Gelder für Kinderbetreuung ausgibt, warum dann nicht an die Eltern, wenn diese die Betreuung selbst übernehmen? Eltern steht ein Einkommen zu, das dem Wert entspricht, den sie mit der Erziehung ihrer Kinder erbringen. Darüber hinaus brauchen Eltern berufliche Wiedereinstiegsmöglichkeiten, die mehr sind als bloße Lippenbekenntnisse. Mütter und auch Väter sollten sich nicht aus finanziellen Nöten oder aus Sorge um den beruflichen Wiedereinstieg gezwungen sehen, früher und zeitlich ausgedehnter ins Erwerbsleben zurückzukehren als es für sie selbst, ihr Kind und ihre Partnerschaft gut ist. Flexible Arbeitsmodelle stellen einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Vereinbarkeit dar.

Langfristig gedacht rechnet sich Prävention auch auf volkswirtschaftlicher Ebene. Regelmäßiges Zähneputzen ist längst im Alltag verankert. Zum Wohle der Familie und insbesondere der Kinder brauchen wir ein Umdenken auch im Bereich der Familienbeziehungen. Ausgewählte Kursangebote müssen so preisgünstig angeboten werden, dass auch die Bedürftigsten erreicht werden. Ein "Ehe-" und "Eltern-Führerschein"? Warum nicht?

Paare und Eltern brauchen zur Stärkung der Partnerschaft kommunikative Kompetenzen, die sie durch Kurse erwerben können, das nachweislich zu einer geringeren Scheidungsrate, höherer Zufriedenheit und größerer Kinderzahl führt.

Abdruck mit freundlicher Erlaubnis des Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)
Abt. Presse- und öffentlichkeitsarbeit

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