Publik-Forum Dossier: „Raus aus der Geschlechterfalle. Visionen für Job und Familie“

Stellungnahme von Wiltraud Beckenbach, Bundesvorsitzende der dhg, des Verbandes der Familienfrauen und -männer e.V., vom 13.09.2002
Sehr geehrte Frau Baas,

mit großem Interesse habe ich unter der Rubrik “Job und Familie” das Gespräch zwischen Ihnen, Frau von Bönninghausen und Herrn Döge zum Thema “Männer wollen nicht unbequem sein” verfolgt.

VerschiedeneÄußerungen von Frau von Bönninghausen veranlassen uns als Vertretung der Familienfrauen und –männer zu einer Entgegnung. Der Deutsche Frauenrat, der sich als Lobby der Frauen bezeichnet, hat bereits mehrfach unseren Aufnahmeantrag abgelehnt. Nach der letzten Ablehnung entwickelte sich dazu ein sehr aufschlussreicher Briefwechsel (s. Familienarbeit heute 3/2000 S. 8 und 9). Offensichtlich ist die Vertretung der Menschen, die unserem Verband angehören, im Deutschen Frauenrat nicht erwünscht.

Die von Herrn Döge angesprochene Wahlfreiheit durch ein Erziehungsgehalt will der Deutsche Frauenrat nicht für Frauen ermöglichen. Allein die Aussage, dass Frau von Bönninghausen bezweifelt, ob das Kindergeld wirklich den Kindern zugute kommt, ist erschreckend. Welches Familienbild steht dahinter? Ebenso unerträglich ist die ständige Wiederholung der Forderung nach Abschaffung des Ehegattensplittings, weil ein paar Besserverdienende davon große Vorteile haben. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wird davon nicht reich (s. Fh 1/2002 S. 7).

Für uns nicht nachvollziehbar ist die Forderung nach 80 % des letzten Einkommens in der Erziehungszeit und die gleichzeitige Ablehnung der Bezahlung der Erziehungsarbeit, weil sie keine Alternative sei. Ist eine Lohnersatzleistung kein Erziehungsgehalt? Die Forderung nach 80 % vom letzten Einkommen würde die bestehende Ungerechtigkeit bei Männer- und Frauenlöhnen fortschreiben. Aus diesem Grund fordern wir ein Gehalt für Familienarbeit in gleicher Höhe für alle Eltern.

Wer heute noch die Forderung nach einem Lohn für Hausarbeit stellt, ist uns nicht bekannt. Diese Formulierung wird leider immer noch sehr häufig von den Gegnerinnen eines Gehalts für Erziehungsarbeit als Totschlagsargument eingesetzt. Hier wird bewusst der Eindruck erweckt, als würde die Bezahlung für den Haushalt ohne Kinder gefordert.

Unser Verband fordert das Gehalt für Erziehungsarbeit, andere nennen es Erziehungsge-halt, immer aber ist damit die Arbeit gemeint, die erforderlich wird, weil Kinder sich in einem Haushalt befinden. Erst mit diesem Geld in der Hand haben Eltern die Wahlfreiheit. Sie können das Geld für sich verwenden und diese Arbeit selbst leisten oder aber sie ge-ben es an andere Betreuungspersonen weiter, die damit endlich leistungsgerecht bezahlt werden können.
Es stellt sich die Frage, was daran so verwerflich ist, wenn sich mehrheitlich Mütter dafür entscheiden, für einige Zeit ihre Kinder zu erziehen – ihnen Zuverlässigkeit und Nestwärme zu geben, wie Frau Bönninghausen es ausdrückt.

Der Deutsche Frauenrat arbeitet intensiv daran, den Müttern und Vätern, die heute noch ihre Kinder selbst erziehen wollen, diese Möglichkeit zu nehmen. Es ist dann nicht mehr verwunderlich, wenn in Zukunft nur noch fremde Personen durch Arbeit mit Kindern Geld verdienen, wie in der einseitigen Forderung nach Krippen- und Hortplätzen zum Ausdruck kommt (s. dhg-Rundschau 2/96). Das aber sollte nicht unser Ziel sein. Das Problem ist doch, dass diese Arbeit solange nicht wertgeschätzt wird, solange sie unbezahlt bleibt.

Beitrag Publik-Forum Dossier:

»Männer wollen nicht unbequem sein«

Ist die Gender-Politik in Deutschland am Ende? Oder am Anfang?
Ein Streit zwischen den Geschlechtern.
Fragen an Inge von Bönninghausen und Peter Döge
von Britta Baas

Publik-Forum: Frau von Bönninghausen, Herr Döge, die Politik entdeckt – pünktlich zur Wahl – die Familie. Im Jahr 2002 scheint die Liebe zu ihr intensiver zu sein als je zuvor. Warum?

Peter Döge: Hinter dem Familienthema verbirgt sich eine akute Notsituation. Die Bundesrepublik Deutschland hat eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa. Unser ganzes Sozialversicherungssystem ist auf einen Generationenvertrag aufgebaut, der nicht mehr eingehalten werden kann. Man muss also aufpassen, dass hinter der Familienpolitik nicht in Wahrheit Bevölkerungspolitik und Arbeitsmarkt-
politik steckt. Und dann reagiert die Politik natürlich noch auf ein Bedürfnis: Denn wenn es in der Arbeitswelt unsicherer wird, hat die Familienwelt auf einmal wieder einen viel höheren Stellenwert.

Inge von Bönninghausen (ironisch): Ja, wenn draußen der knallharte Konkurrenzkampf tobt, dann soll die Familie das, bitte schön, zu Hause auffangen!

Publik-Forum: Ein Blick in die Parteiprogramme zeigt, wo es langgehen soll. Die Erkenntnis: Niemand will den alten Zopf des Ehegatten-
splittings abschneiden. Keine Partei legt ein Konzept vor, das private Kinderbetreuungskosten steuerlich annähernd gerecht berücksichtigt. Keine spricht noch von einem Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft; keine von einem Gesetz, das familienbedingte Teilzeit möglich machen würde – wie der Frauenrat es fordert. Da drängt sich der Eindruck auf: Die Politik ist auf dem Gender-Auge blind.

Döge: Ja, das ist eine Kritik, die ich vor allem den Bündnisgrünen entgegenhalte: dass selbst sie diese Zwangsverkettung von »Frau und Familie« nicht aufbrechen. Dass Frauenpolitik noch immer und wieder Familienpolitik ist – und umgekehrt. Die Schweden haben es uns anders vorgemacht: Da war Familienpolitik seit Mitte der 70er Jahre nicht nur Gleichstellungs-, sondern auch Arbeitsmarktpolitik. Die Schweden haben auch gesagt: Wir wollen beim Thema Familie mit an die Männer denken. Das läuft bei uns in Deutschland nicht. Wir laborieren da immer noch an alten Bildern herum … Wenn man das schwedische Modell in Deutschland einführen wollte – wo Eltern etwa zwei Prozent ihres Bruttogehalts für eine Elternversicherung zahlen, und das ist auch konsequent – dann würde das der Partei, die das hier fordert, definitiv den Wahlsieg kosten!
Bönninghausen: Beim Beispiel Schweden greifen Sie zu kurz, Herr Döge. Schweden hat – wie auch Norwegen – eine völlig andere Tradition als wir. Alva Myrdal hat das mal in den Satz gefasst:
»Jeder arbeitende Mensch hat auch ein Recht auf Familie.« Und das heißt: Die gesamte Denke ist anders als in Deutschland! Durch die deutsche Brille gesehen sind die Steuersysteme in den skandinavischen Ländern geradezu ehefeindlich, weil sie eben den Einzelnen im Auge haben, gerade nicht die familiäre Position der Erwachsenen. Deshalb gibt es dort auch Individualbesteuerung und Kinderförderung. Schauen Sie sich dagegen Deutschland an: Wer von uns weiß schon, ob zum Beispiel das Kindergeld wirklich Kindern zugute kommt? Ob damit nicht eher die neue Heizung, das Motorrad vom Papa oder der Sportkurs von Mama finanziert wird? Deshalb ist die Strategie des Frauenrats: Wir wollen, dass die steuerliche Begünstigung der Ein-Verdiener-Ehe nicht weiter ausgebaut wird. Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein, aber wir wollen die einzelne Frau, den einzelnen Mann, das einzelne Kind in den Blick nehmen. Deshalb wollen wir auch die öffentliche Kinderbetreuung. Die Pisa-Studie bestätigt uns darin noch mal.

Publik-Forum: Das funktioniert aber nur, wenn Sie die Männer zum Mitmachen bringen. Wie lässt sich die Wahlfreiheit von Männern, wie sie wirklich leben wollen, effektiv erhöhen?

Döge: Ich würde das schwedische Vorbild aufnehmen und sagen: Wir machen ein Erziehungsgehalt für drei Jahre – mit einem verpflichtenden Anteil für Väter. Zum Beispiel so, dass sie mindestens die Hälfte davon nehmen müssen. Das stärkt auch denen den Rücken, die das schon lange wollen, deren Chefs es ihnen aber immer noch verbieten. Wir gehen in der Männerforschung davon aus, dass 20 Prozent der Väter Erziehungszeiten nehmen würden; zwei Prozent tun’s tatsächlich. Mit so einem Modell schaffen wir’s, dass Familienangelegen-
heiten nicht Frauenangelegenheiten bleiben.

Bönninghausen: Ich weiß nicht, was Sie da jetzt mit Erziehungsgehalt meinen? Etwa das CDU-Modell?

Döge: Ja, zum Beispiel. Aber da gingen natürlich auch andere Formen – vor allem darf das Konzept nicht die traditionellen Rollenmuster verfestigen. Da muss man bei der CDU schon genau hinschauen. Mir geht es einfach darum, dass Erziehung finanziell akzeptabel gewürdigt wird.

Bönninghausen: Ich finde, das CDU-Modell ist keine gute Lösung! Ich fände es viel besser, zu sagen: In der Erziehungszeit gibt es 80 Prozent des letzten Einkommens als Lohnersatzleistung. Das ist das schwedische Modell …

Döge: Die muss man aber finanzieren! Das sind in Schweden die zwei Prozent vom Bruttogehalt, die jeder zahlt.

Bönninghausen: Ja, damit wird aber gesagt: Die Tätigkeit des Erziehens ist äquivalent der Erwerbstätigkeit. Damit ist klar: Die Erwerbsbiografie wird nicht unterbrochen! Abgesehen vom Geld würde das Zeiten der Kindererziehung ganz anders integrieren.

Publik-Forum: Was ist mit den Frauen? Können die nicht mit der Politik zufrieden sein? Immerhin wollen ihnen alle – wenn auch auf unterschiedlichen Wegen – mehr Geld zuschustern, wenn sie zu Hause die Kinder betreuen.

Bönninghausen: Das ist genau die Krux! Wir vom Frauenrat wollen nicht, dass Familienpolitik gleich Frauenpolitik ist. Da sind wir ja mit Ihnen einig, Herr Döge! Was mir aber auch nicht gefällt ist, dass Frauenpolitik in den familienpolitischen Programmen jetzt gar nicht mehr vorkommt! Da sitzen wir wieder in der Frauenfalle drin …

Publik-Forum: Ist es nicht eher eine Männerfalle? In der alle – Frauen, Männer und Kinder – sitzen? Denn wir leben in einer männerzentrierten Gesellschaft, in der – wie Herr Döge sagt – der »Macht-Mann« und der »Erwerbs-Mann« das Sagen haben. In der genau sie bestimmen, wie das Leben zu funktionieren hat.

Döge: Tja, es kommt nicht von ungefähr, dass selbst Konzepte zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Privatwirtschaft fast nur die Frauen ansprechen. Männer kommen darin meistens gar nicht vor.

Bönninghausen: Aber wollen die denn überhaupt angesprochen werden? Herr Döge, sie tun immer so, als ob wir die Männer beschützen und fördern müssten! Die können sich doch selber wehren!

Döge: Nein, so können Sie das nicht sagen! Wenn Sie keine Diskriminierung von Frauen auf betrieblicher Ebene wollen, dann will ich auch keine Diskriminierung von Vätern! Wir sind gerade dabei, mit der Gewerkschaft ver.di ein Projekt zu entwickeln, das heißt: »Auch Väter haben ein Vereinbarkeits-Problem«. Da geht es darum, Betriebs- und Personalräte für solche Männer zu sensibilisieren, die mit ihrer Motivation, sich mehr in die Familie einzubringen, einfach nicht weiterkommen. Die brauchen Hilfsangebote! Was Sie machen, ist, genau das alte Bild zu befördern: Der Mann schafftŽs schon allein!
Bönninghausen: Ich will es ja jedem Vater erleichtern! Aber schauen Sie: Die Frauen haben mehr als 200 Jahre hinter sich, in denen sie um Alles und Jedes gekämpft haben: um ihre Bürgerinnenrechte, um das Wahlrecht, um den Zugang zu jedem einzelnen Beruf! Es ist in diesen Situationen doch keine Regierung, kein Unternehmen von sich aus hingegangen und hat gesagt: Frauen, ihr braucht Frauenförderung! Es fehlt mir bei den Männern heute der Wille, auch mal unbequem zu sein!

Döge: Das stimmt nicht! Hier ist die Politik einfach nicht offen für progressive Anliegen von Männern. Da liegt das Problem! Die Männer sind da, die Neues wollen. Aber auf sie hört kaum einer. übrigens auch kaum in Frau Bergmanns Ministerium.

Publik-Forum: Verstehe ich Sie richtig, Frau von Bönninghausen? Sie sagen: Die Frauen mussten hunderte von Jahren allein kämpfen, nun sollen die Männer auch mal sehen, wie das ist?

Bönninghausen: Nein. Das würde auch nicht funktionieren. Da greife ich mal auf die Arbeiten des australischen Männerforschers Robert Connell zurück, der sagt: Man kann nicht das Muster des Widerstands Unterdrückter – und da führt er die Arbeiter- und die Frauenbewegung an – auf eine Gruppe übertragen, die an der Macht ist. Die Mehrheit der Männer hat ein großes Interesse am Patriarchat, weil sie davon profitiert. Was ich erwarte: Dass Männer die Tatsache, dass sie überall an den Hebeln der Macht sitzen, nutzen, um ihre eigene Rolle zu reflektieren.

Döge: Das ist mir zu undifferenziert. Die Männer sitzen nicht an den Hebeln der Macht. Genauso wenig, wie es die Frauen gibt, gibt es die Männer. Ein solches Denken nimmt uns – Frauen und Männern – auch die Chance, Bündnisse einzugehen. Das Problem ist vielmehr das Konzept hegemonialer Männlichkeit, das dahinter steht. Die Forderung muss opportun sein, dass man Männern, die etwas anderes wollen, auch eine bestimmte Infrastruktur – etwa von Seiten der zuständigen Ministerien – zur Verfügung stellt! Die Geschlechterpolitik war in Deutschland bisher aber immer Frauenpolitik. Und die war für Männerfragen nicht zuständig!

Publik-Forum: Für wen machen Sie Ihre Männer- und Frauenpolitik überhaupt? Alle Umfragen sagen: In der Generation unter 30 ist die Mehrheit der Frauen überzeugt, dass »man« so was gar nicht mehr brauche, weil jede Frau alles schaffen könne, wenn sie wolle. Und die Mehrheit der jungen Männer gefällt sich wieder in der Rolle des neuen Machos.

Döge: Ich will mehr Wahlfreiheit. Ich will niemandem vorschreiben, Vater zu sein. Ich will auch keinem Mann vorschreiben, morgens aufzustehen und erst mal zehn Minuten zu weinen (alle lachen herzlich). Ich will einfach eine Politik haben, die es ganz normal erscheinen lässt, dass auch ein Vater Erziehungsurlaub nimmt. Oder dass Männer darüber sprechen können, wie oft sie Opfer sind – zum Beispiel von Gewalt. Auf der anderen Seite will ich aber auch nicht – wie es ein Teil der Frauenbewegung offenbar möchte –, dass alle Frauen in die Erwerbsarbeit müssen! Auch Frauen sollten mehr Wahlfreiheit haben! Wir müssen zu einer Politik der offenen Gesellschaft kommen. Das heißt, dass jede und jeder die eigene Biografie so wählen kann, wie sie oder er es will.

Bönninghausen: Niemand will die Frauen in die Erwerbsarbeit zwingen. Aber die Wahl, auch mit Kindern voll berufstätig zu sein, haben sie doch nicht. Und wenn wir die Gesellschaft immer weiter individualisieren, müssen wir auch fragen: Wo sind dann noch Gruppen-Solidaritäten? Wenn Sie das in Gänze umsetzen wollen, Herr Döge, was Sie als Ideal beschreiben, dann müssen Sie alle sozialen Sicherungssysteme von »Arbeit« abkoppeln! Denn klar ist: Wenn ich nicht in diesem Erwerbsprozess bin, dann bin ich unter gegenwärtigen Bedingungen im Alter arm, dann geht es mir bei Krankheit schlecht, dann verurteile ich Kinder in einer Familie gleich mit zum Leben in Armut. Ein solches Konzept ist – mit Verlaub Herr Döge – völlig illusionär! Oder revolutionär … Ich jedenfalls finde es unrealistisch.

Publik-Forum: Was schlagen Sie also vor, Frau von Bönninghausen?

Bönninghausen: Ich schlage vor, ganz praktisch zu handeln. Zum Beispiel, wenn ich erkenne, dass Frauen in Deutschland im Durchschnitt noch immer 25 Prozent weniger verdienen als Männer. Und dass die Einkommensschere immer weiter auseinander geht, je höher der Bildungsgrad ist. Wenn ich außerdem erkenne, dass Menschen in so genannten Frauenberufen – etwa in der Pflege – noch immer massiv unterbezahlt sind. Da muss ich auf die Tarifpartner zugehen, um das zu ändern! Als bekennende Pragmatikerin will ich an solchen Punkten ansetzen! Natürlich mit dem Ziel der von Herrn Döge proklamierten offenen Gesellschaft – da bin ich schon mit ihm einig.

Publik-Forum: Herr Döge, wollen Sie die soziale Sicherung von der Erwerbsarbeit abkoppeln?

Döge: Ja, natürlich! Sie müssen sehen: Jede Gesellschaft hat ihren eigenen Arbeitsbegriff. Unsere Gesellschaft hat einen männlich geprägten: Wir verstehen unter Arbeit Erwerbsarbeit. Und dann haben wir noch eine besonderte Wertung: Alle Tätigkeiten, die weiblich konnotiert sind – wie zum Beispiel die Pflege alter und kranker Menschen –, sind weniger wert als männlich konnotierte. Arbeit ist aber mehr als Erwerbsarbeit. Vor diesem Hintergrund gibt es ja seit Jahrzehnten Diskussionen etwa um Lohn für Hausarbeit oder um ein garantiertes Grundeinkommen. Ich finde, dass wir in der Tat dringend zu einer Neubewertung von Familien- und Erwerbsarbeit und auch zu einer Neubewertung von Ehrenämtern kommen müssen. Jetzt haben wir die Chance dazu! Nämlich vor dem Hintergrund der anstehenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt. Warum können Menschen, die offiziell arbeitslos gemeldet sind, nicht ein Grundeinkommen erhalten, wenn sie 20 Stunden die Woche in einem gemeinnützigen Verein tätig sind?

Bönninghausen: Oh Gott! Das ist ja frauenfeindlich bis zum Abwinken!

Döge: Die Idee ist nicht frauenfeindlich. Die muss natürlich ge-gendert werden! Solche Jobs dürfen keine unterprivilegierten Frauenjobs sein, das ist ja klar. Und im übrigen: Was ist denn mit dem Arbeitsmodell, das wir heute in dieser Gesell-
schaft haben? Das ist doch viel frauenfeindlicher! Es muss doch mal jemand sagen dürfen: Ich will 20 Stunden in meinem erlernten Beruf arbeiten und nebenher noch 10 Stunden ehrenamtlich tätig sein. Aber dann hat er ein Recht darauf, dass die Gesellschaft ihm dafür etwas bezahlt! Wir reden alle von Zivilgesellschaft, aber wir fördern sie nicht.

Publik-Forum: Wer sorgt dafür, dass dieser Mensch nicht unter die Armutsgrenze rutscht?

Döge: Wir müssen eben endlich zu einer steuer-
finanzierten Grundsicherung kommen. Oder eine radikale Arbeitszeitabsenkung auf unter 30 Stunden. Das sind die zwei Wege, die ich sehe. Das Modell, das wir heute haben – nämlich das einer auf Erwerbsarbeit basierenden sozialen Sicherung – ist ein uraltes Modell, das mit dem Industrie-
kapitalismus entstanden ist. Das gehört endlich verändert.

Bönninghausen: Was Sie da vorschlagen, bedeutet, einen riesigen Niedriglohnsektor zu schaffen! Nicht umsonst wird Lohn für Hausarbeit von Frauen vehement abgelehnt!

Döge: Es ist aber doch nur eine politische Frage zu klären, wie hoch die Grundsicherung angesetzt sein soll. Das muss nicht im Niedriglohnsektor enden.

Bönninghausen: Warum halten Sie denn so wenig von der Erwerbsarbeit? Sie hat doch immerhin den Aspekt, dass ich darin verwirklichen kann, was ich gelernt habe. Da kann doch das bezahlte Bügeln, Kochen und Putzen keine Alternative sein!

Döge: Nicht alle können sich in der Erwerbsarbeit verwirklichen. Zudem wird mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission der Qualitätsschutz noch mal zurückgenommen. Wäre es da nicht besser, dass beispielsweise eine erwerbslose Sozialwissen-
schaftlerin auf der Basis eines Grundeinkommens eine Studie machen kann – für ein Frauenhaus? Und so gemäß ihrer Qualifikation tätig ist?

Bönninghausen: Ich komme noch mal auf die Wahlfreiheit zurück: Die kann für mich nicht darin liegen, dass das Zuhausebleiben bezahlt wird, Herr Döge! Junge Frauen, die heute Mütter werden, haben alle eine Ausbildung. Und die möchten mit dieser Ausbildung auch was machen! Deshalb ist ein Familiengeld à la CDU – oder Lohn für Hausarbeit, wenn Sie es so nennen wollen – keine Alternative! Die Alternative ist die steuerfinanzierte öffentliche Kinderbetreuung! Ich möchte, dass diese Betreuung von 0 bis 16 Jahren kostenfrei ist und allen Kindern zur Verfügung steht. Und dass diese Betreuung so attraktiv ist, dass Eltern sagen: Das Beste, was ich für mein Kind tun kann, ist, es an diesem Angebot teilnehmen zu lassen. öffentliche Kinderbetreuung – gekoppelt mit der von ihnen geforderten Arbeitszeitreduzierung: Da gehe ich mit Ihnen mit!

Döge: Aber wenn die Eltern sagen: Wir wollen unsere Kinder lieber zu Hause betreuen? Die Wahlfreiheit müssen wir ihnen doch lassen! Die Norweger haben zum Beispiel vor vier Jahren ein Gutscheinsystem entwickelt – für Eltern, die ihre Kinder nicht in die öffentliche Kinderbetreuung geben wollen.

Bönninghausen: Ich sehe aus jahrelanger Erfahrung: Wenn ich anfange, solche Modelle umzusetzen, gehen sie hier zu Lande auf Kosten der Frauen. Denn Sie werden eines nicht schaffen, Herr Döge: Gleichzeitig die Familienarbeit aufzuwerten und die deutsche Mütter- und Familien-Ideologie zu überwinden. Schon gar nicht in einer globalisier-
ten Wirtschaftswelt, die verlangt, dass Beschäftig-
te immer mobil, immer flexibel mal hier, mal dort, mal sonntags, mal nachts arbeiten. Da dürfen Sie mal raten, wer dann mit Gutschein oder Familien-
geld zu Hause Kindern Zuverlässigkeit und Nestwärme gibt!

Dr. Inge von Bönninghausen, 63, ist Vorsitzende des Deutschen Frauenrats. Die langjährige WDR-Journalistin prägte über 20 Jahre die Sendereihe »Frauen-Fragen«, später »frau-tv«, die sie auch moderierte. Auch außerhalb des Funkhauses engagierte sie sich für Frauen; unter anderem als Gründungsmitglied des Journalistinnenbundes. Der Frauenrat ist Dachorganisation von 57 bundesweit aktiven Frauenverbänden

Dr. Peter Döge, 41, ist Politologe, Buchautor und Politikberater mit Schwerpunkt Gender-Main-
streaming. Er ist Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des Berliner Instituts für anwendungs-
orientierte Innovations- und Zukunftsforschung. Jüngstes Buch: »Geschlechterdemokratie als Männlichkeitskritik. Blockaden und Perspektiven einer Neugestaltung des Geschlechterverhältnisses«

Aus: »Raus aus der Geschlechterfalle. Visionen für Job und Familie.« Publik-Forum Dossier, 8 Seiten, Bestell-Nr. 2698, Einzelpreis 1 EUR, ab 10 Ex. je 0,80 EUR, ab 20 Ex. je 0,70 EUR, ab 50 Ex. je 0,60 EUR, ab 100 Ex. je 0,50 EUR. Bei einem Bestellwert unter 25 EUR zzgl. Versandkostenanteil 2,50 EUR. Zu bestellen bei: Publik-Forum, Postfach 2010, 61410 Oberursel; Tel.: 06171/700310, Fax: 06171/700346, E-Mail: Buecherdienst@Publik-Forum.de, Internet: www.publik-forum.de/shop

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