Bayerns Familienministerin Stewens rügt das Vorhaben der Berliner Kollegin von der Leyen zur Kinderbetreuung
Frankfurter Rundschau vom 13. Januar 2006
Frankfurter Rundschau: Die Frauenunion preist die jüngsten Kabinettsbeschlüsse zur Förderung der Kinderbetreuung als etwas, was Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich erleichtern werde. Schließen Sie sich dem Jubel an?
Christa Stewens: Einigen Eltern dürfte die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit durchaus erleichtert werden; sozial ausgewogen ist das aber nicht.
— Warum nicht?
Die allein erziehende Mutter eines Kindes unter sechs Jahren, die erwerbstätig sein möchte, wird mit den bei uns in Bayern geltenden Monatsbeiträgen für Kindergärten zwischen 75 und 80 Euro nicht über die im Gesetz vorgesehene Selbstbeteiligungsschwelle von 1000 Euro pro Jahr kommen. Sie wird also ihre Kinderbetreuungskosten nicht steuerlich absetzen können. Ich denke gerade an diejenigen, die wenig Geld haben und sich keine Tagesmutter oder kein Kindermädchen leisten können.
— Zu diesem Komplex hat sich ja auch schon das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit geäußert…
Jedes Kind ist gleich viel wert. Wir werden im parlamentarischen Verfahren darauf achten müssen, dass dieses Gesetz verfassungskonform verabschiedet wird. Es gibt aber noch eine weitere Unausgewogenheit: Die 1000-Euro-Schwelle gilt pro Kind – macht bei drei Kindern unter Sechs eine Hürde von 3000 Euro, die bei der Förderung überwunden werden müsste. Mehrkinderfamilien werden also ein Stück weit benachteiligt.
— Können Sie sich eigentlich erklären, warum diese Grenze – zwischen Kindern bis sechs und darüber – eingezogen wurde? Eigentlich ging es doch zuvor beim Streit zwischen der Familienministerin und dem Kassenwart vornehmlich um Haushaltsnöte.
Für mich ist diese Abstufung nicht nachvollziehbar. Der größte Betreuungsbedarf liegt bei den unter Dreijährigen und dann natürlich auch später bei den Schulkindern. Ich bin grundsätzlich dafür, alle Kinder bis zum 14. Lebensjahr steuerlich gleich zu behandeln.
— Halten Sie es eigentlich für erforderlich, dass die Obergrenze der steuerlichen Absetzbarkeit von Betreuungskosten so hoch – bei 4000 Euro pro Jahr – festgelegt wurde?
Nein. Wichtig ist es doch gerade, Frauen nach der Geburt des Kindes den Einstieg ins Erwerbsleben zu erleichtern.
— Also hat Ihre Kollegin von der Leyen eine Regelung für Besserverdienende beschlossen, wie Elternvereinigungen bereits kritisiert haben?
Die Regelung ist auf jeden Fall nicht sozial ausgewogen. Immerhin zehn Prozent unserer ALG-II-Bezieher sind allein erziehende Frauen mit Kindern unter drei Jahren. Diesem Problem müssen wir uns stellen.
— Ist das eine Drohung?
Das Gesetz ist noch nicht ausformuliert, vieles ist noch unklar. Wir werden demnächst unsere Handschrift mit einbringen, und ich werde mich auch noch an Frau von der Leyen wenden. Wir müssen abwarten, was tatsächlich im Gesetz steht, wenn es in den Bundesrat kommt.
— In der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD heißt es, Politik habe "den Menschen nicht vorzuschreiben, wie sie leben sollen". Sehen Sie diesen Vorsatz noch respektiert?
Mit diesem Modell zur steuerlichen Absetzbarkeit wird die Wahlfreiheit junger Eltern zu einseitig interpretiert. Wer sich entscheidet, zu Haus zu bleiben und seine Kinder selbst zu betreuen, muss auch entsprechend gesellschaftlich anerkannt werden. Dem wird der jüngste Kabinettsentwurf nicht gerecht. Wir in der CSU haben diesen Fehler übrigens auch schon mal begangen, indem wir zwar von Wahlfreiheit gesprochen, den Frauen gleichwohl nahe gelegt haben, sie müssten mindestens drei Jahre zu Hause bleiben.
— Ein Bild, das in Teilen der Union doch noch heftig hochgehalten wird, oder?
Die Union hat sich mittlerweile ein gutes Stück nach vorn bewegt. Ich persönlich habe vier Söhne und zwei Töchter. Eine meiner Schwiegertöchter möchte sofort nach der Geburt ihres Sohnes wieder arbeiten; dann soll sie es doch bitte tun! Wir sollten weg kommen von den alten Klischees: von dem der Rabenmütter, die erwerbstätig sind; von dem der Mütter, die lieber daheim bei den Kindern bleiben und deshalb die schlechteren oder ökonomisch leistungsschwächeren Frauen sind.
Interview: Michael Bergius
Interview
Christa Stewens (CSU) ist seit 2001 bayerische Staatsministerin für Arbeit, Soziales, Familie und Frauen. Im Handbuch des bayerischen Landtages wird als Berufsbezeichnung bei der 60-jährigen Mutter von sechs Kindern "Hausfrau" angegeben.
Besonders allein erziehende Mütter seien die Benachteiligten der von der großen Koalition geplanten Regelungen zur steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuung, rügt Stewens.
Die Differenzierung zwischen Kindern unter sechs Jahren und darüber hält sie schon deshalb für "nicht nachvollziehbar", da gerade bei Kindern bis zum dritten Lebensjahr der "größte Betreuungsbedarf" anfalle . mbe