Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir

Brauchen wir ein Pflichtfach Alltags-Management an allgemeinbildenden Schulen?
von Sabine Allmenröder

Endlich ist er da: Der Ruck, der durch Deutschland gehen soll! Was Roman Herzog nicht erreicht hat, gelang der PISA-Studie im Handumdrehen. Der Amoklauf von Erfurt machte dann vollends ein Erd-
beben aus dem einst so heiß ersehnten Ruck.
Jetzt fragt das Magazin "GEO": "Was ist die ideale Erziehung?"1, die "Zeit" fordert in ihrem Leitartikel nach dem Blutbad, dass Eltern gefälligst zu interessieren hat, was in den "Kinderzimmern" ihrer erwachsenen Söhne läuft und Moderator Günther Jauch fordert im "Spiegel" das Ende des "Wattekartells" zwischen Schule und Elternhaus.2 Dem beliebten Moderator kommen dabei so erleuchtende Sätze von den Lippen wie: "Manche Eltern halten die Schule für eine pädagogische Dienstleistung, welche häusliche Defizite korrigieren soll. Sie können aber eine vernünftige und liebevolle Erziehung nicht "outsourcen".

Mit den Konsequenzen häuslicher Defizite schlägt sich nicht nur die Schule herum. Seit Jahren weisen Deutschlands Schuldnerberatungen darauf hin, dass bei ihren Klienten einfachste hauswirtschaftliche Techniken nicht beherrscht werden: "Verarmte Schuldner leiden nicht selten an Unter- und Mangelernährungserscheinungen, Kenntnisse über gesunde Ernährung sind nicht vorhanden. (…) Es werden nur wenige Rezepte beherrscht."3 Einkaufsplanung und das Steuern der eigenen Konsumwünsche müssen trainiert werden. Häusliche Defizite beklagen auch die Krankenkassen und Schulpsychologen. Die Kassen haben zunehmend mit übergewichtigen Kindern und ernährungsbedingten Krankheiten bei Erwachsenen zu tun. Bei den Schulpsychologen landen Kinder, die nicht mehr über die einfachsten Regeln im Zusammenleben mit anderen Bescheid wissen und sich weder ausdrücken, noch selbst kontrollieren können.

Durch das plötzliche Medieninteresse tritt an den Tag, wovor die Fachleute schon seit vielen Jahren warnen: Mädchen wie Jungen werden heute im Zuge der Gleichberechtigung nur noch in erwerbswirtschaftlich wichtigen Fertigkeiten ausgebildet. Wie sie ihren Alltag bewältigen, interessiert niemanden.

Professor Rosemarie von Schweitzer sprach auf dem Aktionstag des Bildungswerkes Hauswirtschaft im Oktober letzten Jahres von "Hauswirtschaftlichen Analphabeten in der Wissensgesellschaft"4. Vor fast zwanzig Jahren schrieb sie bereits: "Wir meinen, jeder könne einen Haushalt führen, wenn er es müsse. An dieser Grunderfahrung ist etwas Wahres dran. So wie "der Teufel in der Not Fliegen frisst", werden wir alle in der Not, selber einen Haushalt führen zu müssen, ohne dies gelernt zu haben, sehr bescheiden in den Ansprüchen und erfinderisch in der Weise, unsere Ansprüche zu befriedigen. Unsere private Daseinsvorsorge entspricht dann aber nicht unseren Möglichkeiten, sondern nur unseren nicht ausgebildeten bescheidenen Fähigkeiten. Das mag angehen, wenn jemand nur für sich selbst die Verantwortung trägt. Aber schon ein Leben zu zweit und erst das einer Familie verlangt die übernahme von Verantwortung, vor allem auch für die Folgen einer chaotischen Haushaltsführung. Sie kann krank machen, die Ehe zerrütten, Kinder belasten und in die Verhaltensstörung treiben und nicht zuletzt die Lebenskultur und das Lebensglück im privaten Bereich schmälern oder gar zerstören. (…) Unsere Lebensqualität hängt maßgeblich von den Leistungen in der Haushaltsführung ab, die von Frauen und Männern in Partnerschaft zu erbringen sind."5

Professor Uta Meier, die an der Justus-Liebig-Universität Gießen Wirtschaftslehre des Haushalts und Familienwissenschaft lehrt, fordert in ihren Veröffentlichungen, dass Alltagskompetenzen Mädchen und Jungen gleichermaßen und systematisch vermittelt werden müsse. Sie fordert dies für die allgemeinbildenden und die Berufschulen6. Nur so lasse sich die permanente Geringschätzung dieser Aufgabenfelder durch Jungen und Männer durchbrechen. Nur so werden Männer und Frauen gleichermaßen in die Lage versetzt, ihren Anteil an den unbezahlten innerhäuslichen Arbeiten zu übernehmen.

Die dgh – Dt. Gesellschaft für Hauswirtschaft e.V., hat im vergangenen Herbst ein Memorandum für eine haushaltsbezogene Bildung herausgegeben7. Darin wird gut begründet auf die Notwendigkeit einer haushaltsbezogenen Bildung in allgemeinbildenden Schulen, Berufsschulen und in Weiterbildungseinrichtungen hingewiesen. Das Memorandum zeichnet ein klares Bild der vielfältigen Aufgaben, die private Haushalte zu leisten haben und enthält in seinen "Empfehlungen für haushaltsbezogene Bildung in Deutschland" schon Ansätze eines Lehrplans. Sich diesem Memo-
randum anzuschließen, wäre eine Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Frauenverbänden in dieser Frage an einem Strang zu ziehen. Der Gegenwind für dieses Vorhaben wird heftig sein. Die Schulpolitik steht seit PISA ohnehin mit dem Rücken an der Wand und die Vorurteile gegen hauswirtschaftliche Bildung sitzen tief.

Das traditionelle hauswirtschaftliche Bildungssystem der Vergangenheit wird heute "mit Recht als eine wesentliche Fessel der Frau an ihre Hausfrauenrolle erkannt" schreibt Rosemarie von Schweitzer5. "Die hauswirtschaftliche Bildung wurde deshalb seit 1970 systematisch abgebaut, anstatt sie entsprechend den Leitbildern von Partnerschaft und Ehe, Familie und Haushaltsführung auszubauen und nunmehr für Mädchen und Jungen in die Aus- und Schulbildung einzubauen."

Wenn wir wollen, dass diese Fehlentwicklung korrigiert wird, sollten wir uns mit den Frauen in den Hauswirtschaftlichen Verbänden solidarisieren. Wir müssten zusammen dafür sorgen, dass "die hauswirtschaftlichen Bildungsgüter nicht nur wieder gleichwertig, sondern auch gleichrangig in die Aus- und Schulbildung aller Jugendlichen einzubauen wären.5

Wir müssten alle zusammen darauf hinarbeiten, dass in unseren Schulen wieder sinnvoller gelernt wird. Wir müssten dafür sorgen, dass die unbezahlte Arbeit in unserer Gesellschaft nicht einfach wegfällt, sondern gerecht verteilt von Männern und Frauen geleistet wird und wir müssen immer wieder betonen, dass Leben und Arbeiten zu einem ganz wesentlichen Teil auch außerhalb des Erwerbslebens stattfindet.

Literaturhinweise:
1 GEO Nr. 4, April 2002
2 Der Spiegel, Nr. 20/2002, S. 124
3 Handbuch Schuldnerberatung, Groth,
Schulz-Rackoll, 1994, S. 214
4 fundus 4/2001, S. 32
5 Haushaltsführung, Schweitzer, Rose-
marie von, Stuttgart 1983, S.10
6 Haushalt und Bildung 4/2001, S. 4
7 Kompetent im Alltag! zu beziehen
über: Deutsche Gesellschaft für
Hauswirtschaft e.V., Mühlenstraße 8,
52080 Aachen-Haaren

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