von Dr. Johannes Resch aus der fh 3/24
Der Begriff „Generationenvertrag“ geht zurück auf den Sozialrechtler Wilfrid Schreiber. Er sprach allerdings noch von einem „Solidarvertrag zwischen den Generationen“. Er entwickelte seine Vorstellungen als Vorschlag für ein soziales Sicherungssystem im Vorfeld der „Großen Rentenreform“ 1957.
Schreibers Idee lag die Praxis in einer herkömmlichen Familie zugrunde: Eltern versorgen ihre Kinder und werden dafür wieder im Alter von ihren Kindern versorgt. Dieses System schaffte aber nur in „intakten Familien“ soziale Sicherheit. Wenn Kinder fehlten oder nur ein Kind vorhanden war, wenn Kinder erkrankten oder vorzeitig starben, konnte dieses System versagen. Schreiber wollte daher die persönliche Solidarität zwischen Kindern und den eigenen Eltern auf die ganze Gesellschaft übertragen. Aus dem bisher ungeschriebenen „Vertrag“ der Solidarität zwischen Eltern und den eigenen Kindern sollte ein „Vertrag“ auf gesellschaftlicher Ebene werden: Die ganze Gesellschaft sollte die finanziellen Kosten der Kinder tragen und die erwachsen gewordenen Kinder sollten die finanzielle Sicherung aller Rentner nach deren Erwerbsleben übernehmen.
Schreibers Plan bestand so aus einer „Dynamischen Rente“ im Alter und einer Absicherung bei Krankheit auf der einen Seite und einer „Dynamischen Kindheits- und Jugendrente“ auf der anderen Seite, die für die Zeit bis zum Abschluss der Schulbildung gezahlt werden sollte. Das Ziel des Systems war der Ausgleich der sozialen Risiken im Lebensverlauf mit Hilfe versicherungsrechtlicher Regelungen. Die üblichen wirtschaftlichen Belastungen im Verlauf der persönlichen Biographie sollten unter allen Bürgern und Bürgerinnen ausgeglichen werden. Die Altersversorgung sollte auch auf gesellschaftlicher Ebene der Lohn für die Erziehung von Kindern sein, wie das von alters her innerhalb der einzelnen Familien galt. Dieses Konzept wurde auch vom bekannten katholischen Sozialrechtler Oswald von Nell-Breuning unterstützt. Wer keine Kinder hat, gleichgültig aus welchem Grund, hat sich an den Kinderkosten zu beteiligen, weil er ebenfalls im Alter eine Rente beziehen kann, die von den dann erwerbstätig gewordenen Kindern bezahlt wird.
Bei der anschließenden politischen Umsetzung durch die Adenauer-Regierung im Jahr 1957 wurde aber etwas ganz anderes verwirklicht. Die „Dynamische Altersrente“ wurde tatsächlich umgesetzt. Die „Dynamische Kindheits- und Jugendrente“, die von Schreiber als Voraussetzung, d.h. als Preis für die gesetzliche Altersversorgung angesehen wurde, blieb dagegen auf der Strecke. Adenauer soll gesagt haben: “Kinder kriegen die Leute immer!“ Statt der gegenüber der Altersrente gleichwertigen „Kindheits- und Jugendrente“ wurde lediglich ein „Kindergeld“ eingeführt, das neben anderen kindbezogenen Leistungen aber nur etwa ein Drittel der tatsächlichen Kinderkosten ausgleicht. Damit wurde ein System geschaffen, das zwangsläufig zu einer mit der Kinderzahl steigenden Verarmung der Familien in einer sonst reicher werdenden Gesellschaft führen musste. Das führte wiederum dazu, dass Familie im Laufe der Jahrzehnte immer weniger attraktiv wurde und die Zahl der Kinder immer weiter sank.
Ein Versuch, dieser Entwicklung entgegenzutreten, bestand in der Propagierung einer „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ in Form einer Vollerwerbsarbeit beider Eltern bei öffentlicher Kinderbetreuung in Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen. Aber dieses Konzept hatte lediglich zur Folge, dass das Familienleben immer weiter ausgehöhlt und die Eltern in ein „Hamsterrad“ aus Erwerbs- und Familienarbeit gedrängt wurden. Aber damit wurde weder die Familienarmut im Vergleich zum kinderlosen Bevölkerungsteil behoben noch das Geburtendefizit verringert, das inzwischen seinerseits die Grundlagen unseres Sozialsystems weitgehend zerstört hat und weiter zerstört.
Aus dem Plan Schreibers eines „Solidarvertrags der Generationen“ war ein gewaltiger Generationenbetrug zum Nachteil von Eltern und nachfolgender Generation geworden.
Wenn unsere Gesetzliche Alterssicherung (Gesetzliche Rentenversicherung und Beamtenversorgung) erhalten bleiben soll, ist sie um eine „Gesetzliche Kindheits- und Jugendversorgung“ zu ergänzen, wie es Wilfrid Schreiber vorgesehen hatte. Dazu gehören ein angemessener Ausgleich der Sachkosten, der heute durch das Kindergeld nur z.T. erfolgt sowie eine angemessene Honorierung der Betreuungs- und Erziehungsarbeit unabhängig davon, ob diese durch die Eltern selbst oder außerhalb der Familie in besonderen Einrichtungen oder durch eine Tagesmutter erfolgt. Die heutige einseitige Finanzierung der Fremdbetreuung bevormundet die Eltern und ist auch mit unserem Grundgesetz (Art. 6, Abs.2) nicht vereinbar, das die Kindererziehung in die Hände der Eltern legt. Für die ersten drei Lebensjahre eines Kindes ergibt sich z.B.: Alle Eltern von U3-Kindern erhalten pro Monat 1200 € als Honorar, das sie auch zur Finanzierung einer Krippenbetreuung verwenden können. Das ist etwa der Betrag, den der Staat heute zur Finanzierung des garantierten Krippenplatzes aufwendet. Die Wahlfreiheit der Eltern ist für diese drei Jahre besonders wichtig, weil hier die Grundlage für eine feste Bindung zwischen Kindern und Eltern gelegt wird oder eben nicht gelegt wird mit den inzwischen bekannten Risiken für die weitere soziale Entwicklung der Kinder.
Fazit:
Die heutige einseitige Verpflichtung der Erwerbstätigen gegenüber den Rentnern ist zu einem Vertrag auf Gegenseitigkeit zwischen den Generationen zu ergänzen, die die junge Generation im Vergleich zur Rentnergeneration als gleichwertig behandelt, so wie es Wilfrid Schreiber und Oswald von Nell-Breuning schon vor etwa 70 Jahren vorgeschlagen hatten. Erst dann ist der Begriff „Generationenvertrag“ wirklich gerechtfertigt.
Nun lässt sich fragen, warum eine Erkenntnis, die schon vor 70 Jahren von Fachleuten als zwingend logisch erkannt wurde, in der Folgezeit wieder in Vergessenheit geraten konnte. Die Erklärung besteht darin, dass die Politik nicht unbedingt von Sachzwängen geprägt, sondern von Interessengruppen bestimmt wird. Die spezifischen Interessen der Eltern und der Kinder haben aber auf gesellschaftlicher Ebene bisher keinen Einfluss, der sich gegenüber den Interessen der Arbeitnehmer und der Wirtschaft durchsetzen kann. Sowohl die Vertreter der Arbeitnehmer wie die der Wirtschaft sehen die Erwerbsarbeit als entscheidende Wertschöpfung an, während die Betreuung und Erziehung von Kindern als Leistung weitgehend ignoriert wird, zumindest soweit sie von den Eltern erfolgt. Dabei schwingt nach wie vor eine Minderbewertung von Frauen mit. Die Betreuungs- und Erziehungsarbeit ist aber für das Gedeihen einer Gesellschaft ebenso wichtig wie die herkömmliche Erwerbsarbeit. Solange die sozialen Belange wie Versorgung von Kindern und Alten noch ausschließliche Aufgaben der Familien waren, war die systematische Benachteiligung der Familien durch den Staat gar nicht möglich. Erst die Übernahme eines Teils der sozialen Aufgaben durch den Staat hat die Überbewertung der Erwerbsarbeit gegenüber der Familienarbeit möglich gemacht. Der Einfluss der Organisationen von Arbeitnehmern und Wirtschaft hat zur systematischen Aufwertung der Erwerbsarbeit zu Lasten der Familienarbeit geführt. Das wird am Begriff „Generationenvertrag“ besonders deutlich, der heute einseitig als Verpflichtung der Erwerbstätigen gegenüber den Alten definiert wird, obwohl eine solche Verpflichtung nur aus der vorangehenden Kindererziehung ableitbar ist. Wird diese Beziehung ignoriert, handelt es sich in Wirklichkeit um einen „Generationenbetrug“.