Neue und alte Töne auf dem 38. Kirchentag
von Beri Fahrbach-Gansky
Es ist noch nicht so lange her, dass das Vereinbaren von Erwerbstätigkeit mit häuslicher Kindererziehung oder Alten- bzw. Behindertenpflege als die Lösung aller Probleme galt. Mütter mit mindestens drei Kindern und – versteht sich – trotzdem toller Karriere bevölkerten die Medien. Die Mütter widmeten sich nach getaner Erwerbsarbeit entspannt und gut gelaunt ihren Kindern. Pflegearbeit tauchte schon gar nicht auf. Jede, die freilich nicht alles so locker vereinbarte, musste wohl meinen, sie sei selber schuld und unfähig. Aber der Reihe nach: Im Juni war unser Verband Familienarbeit mit einem Stand auf dem evangelischen Kirchentag vertreten auf dem Markt der Möglichkeiten. Das bot auch die Gelegenheit, an Veranstaltungen teilzunehmen. Ich besuchte zwei Podiumsrunden zur „Care-Arbeit“.
Ich war erstaunt, da ganz neue Töne zu hören. Beim ersten Podium „Zeit für Care in der Familie – wer soll das noch wuppen?“ war gar die Familienministerin, Lisa Paus, persönlich vertreten. Eine ihrer Vorgängerinnen, Ursula von der Leyen, meinte noch sinngemäß, dass sie nicht verstehe, warum die Leute so wenig Kinder bekämen. Mit ein paar Angestellten und bisschen Rücklagen wäre das doch alles kein Problem. Eine Kultusministerin, die mal in unserem Städtchen aufschlug, sagte bei einer Veranstaltung, um Ganztagsschulen schmackhaft zu machen, sinngemäß folgendes: Wenn die Kinder ganztags in der Schule sind, merkt auch die letzte Mutter, dass sie viel Zeit habe und Vollzeit erwerbstätig sein könne. Und: Wenn die Kinder abends fertig beschult nachhause kämen, könne das entspannte Familienleben beginnen. Da muss ich doch irgend etwas falsch machen, dachte ich damals bei mir mit Spott. Ich war als Mutter rund um die Uhr im Einsatz, wohl bemerkt als Vollzeitmutter. Auf dem Podium vom Kirchentag nun war keine Rede mehr davon, dass sich alles ganz easy vereinbaren lässt, dass die Familienarbeit zwischen zwölf und Mittag passt und so wupp wupp nebenherläuft. Tatsächlich waren sich da sämtliche Podiumsteilnehmer einig. Sozusagen haben wir, die Mütter, es jetzt amtlich von höchster Stelle: Care-Arbeit ist Arbeit und braucht Zeit. Wer hätte das gedacht? Und die Frage war: „Wer kann das noch wuppen?“
Sozusagen ist die Gesellschaft in ihren Erkenntnissen jetzt einen Schritt weiter. Ja, die Mütter hätten ihre Ansprüche gesenkt: Sie würden keine Unterwäsche mehr bügeln und, wie eine vorgestellte Studie und eine Befragung des Publikums ergab, sie würden hauptsächlich sich selber vernachlässigen und Zeit an sich selber einsparen.
Ein zweites ist mir aufgefallen. Ein wichtiges Argument dafür, Mütter geradezu zu ihrem Glück zu zwingen, war, dass dadurch die Familien mehr Geld hätten und die Kinderarmut daher reduziert würde. Geradezu aggressiv wurden Alleinerziehende in die Erwerbsarbeit gedrängt. Unter dem Deckmäntelchen ehrenwerter Ziele, nämlich frühkindlicher Bildung und Chancengleichheit, wurde das systematische Propagieren der Erwerbstätigkeit von Müttern, in Vollzeit natürlich, eingefädelt. Namentlich von der OECD, einer wirtschaftlichen Vereinigung, mit ihrem Programm „Starting strong“ (2001). Die Rolle der Eltern: „durch den Einkommenserwerb das Armutsrisiko der Kinder verringern“.1
Auch zu diesem Thema kamen zu meinem Erstaunen ganz neue Töne. Man darf nun nicht erwarten, dass endlich einmal die Ausbeutung der Familien angesprochen würde, die unser Verband Familienarbeit seit Jahrzehnten thematisiert. Es kam keine Erklärung, warum die Kinderarmut zunimmt, obwohl uns doch versprochen wurde, dass sie mit mütterlicher Erwerbstätigkeit beseitigt würde.
Aber immerhin: Keine Rede mehr davon, dass es die mütterliche Erwerbstätigkeit braucht, um Kinderarmut zu verhindern. Wie denn auch. Diese Forderung lässt sich ja nicht beliebig steigern und ist vielleicht schon ausgereizt. Es wurde offiziell zugestanden, dass diese Kinderarmut besteht und zugenommen hat.
Bei der Präsentation der Lösungen dieser Probleme fühlte ich mich dann doch z.T. in uralte Zeiten zurückversetzt. Irgendwie waren doch wieder die Eltern selber schuld. Eine besondere Verantwortung treffe die Väter. Es schien klar, wenn die mal bisschen mehr anpacken würden, ja, dann könne man das wuppen. Und die Mütter müssten eben abgeben und delegieren lernen. Also auch selber schuld?
Ein Vater auf dem Podium erzählte, dass ihre täglichen Absprachen sich bewährt hätten. Eine Buchführung mache für den Partner das Getane sichtbar. Schön, wenn das bei dieser Familie so klappt. Aber ich schätze, dass Vereinbarkeit bei vielen Familien statt zur Erotik eher zu Streitereien beiträgt.
Was unser Verband schon lange betont: Die Familienarbeit wird weder durch Vereinbarung noch durch Aufteilung zwischen den Eltern weniger. Arbeit bleibt Arbeit. Es ist ja auch nicht unbedingt so, dass die Väter soviel Zeit auf dem Sofa verbringen. Es wird nun einfach gefordert, dass sie auch Ansprüche senken und noch mehr an sich Raubbau betreiben, usw. Ausdrücklich wurde gesagt: Wenn auch Väter wegen kranker Kinder in der Firma fehlten, dann wäre Muttersein kein Grund zur Benachteiligung am Erwerbsarbeitsplatz mehr. Das ist insgesamt eine unverschämte Argumentation: Den Vätern soll es auch nicht besser gehen! Ob das die Attraktivität von Kindern-haben und Care-Arbeit steigert?
Auffallend fand ich, dass von Steigerung der Geburtenrate keine Rede mehr war. War das nicht lange ein Hauptargument für durchgehende Fremdbetreuung ab einem Jahr?
Frau Paus nannte Ziele für ihre Familienpolitik:
1. Verlässliche Betreuung
Gemeint war natürlich Frembetreuung und die Betonung lag auf „verlässlich“. Es wurde zugestanden, dass es nicht optimal lief. Aber man habe es erkannt und es wurde eifrig so getan, als wäre man dabei, das zu beheben.
An Oberflächlichkeit ließ sich das nicht mehr überbieten. Es ist wohl nach wie vor nicht gewollt, genauer hinzuschauen. Dazu zwei Beispiele:
– Wir Mütter sind die Puffer für alles. Sämtliche Krankheitsstände, Unfälle und andere Sonder- und Notfälle (Lockdowns), werden von uns Müttern und Großmüttern abgefangen. Das müsste dringend thematisiert werden. Es ging auf dem Podium eigentlich nur darum den Alltag zu wuppen. Wer soll noch die Außnahmezustände wuppen?
– Bei einer Fremdbetreuung von U-3-jährige Kindern sollte eine Erzieherin auf 3-4 Kinder kommen, vorausgesetzt man wollte einen Betreuungsschlüssel, der nicht auch noch die kognitive Entwicklung schädigt. Ist das realistisch?
Wo genaue Analysen ignoriert werden (z.B. von der Soziologin Arlie Hochschild2) oder ganz fehlen, kann man auch nicht erwarten, dass die Politik besonders erfolgreich sein wird, die Missstände zu beheben.
2. Grundsicherung für Kinder wolle sie auf den Weg bringen
Wie gesagt, die eigentlichen Ursachen der „Kinderarmut“ wurden nicht benannt. Frau Paus bräuchte nur mal in den Schubladen ihres Ministeriums schauen, was da alles drin verschwunden ist, z.B. an Gerichtsurteilen. Man muss wohl unterstellen, dass das Angehen der Ursachen politisch nicht gewollt ist.
Das zweite Podium „Who cares? – Private Sorge- und Pflegearbeit sichtbar machen“ weckte gemischte Gefühle und Gedanken.
Die Idee, Care-Arbeit sichtbar zu machen, setzt ja voraus, dass man davon ausgeht, es gebe da etwas, dass sichtbar gemacht werden kann. Und es klang so, als sei es die Care-Arbeit sogar wert, sichtbar gemacht zu werden. Soweit so gut. Anderseits ärgerte mich dieser Ansatz. Die Bundesregierung hat vor allem in den letzten Jahren bewiesen, dass sie alles propagieren kann, da sie die Medien unter ihrer Kontrolle hat. Unser Verband kann ein Lied davon singen, dass unerwünschte Meinungen keine Chance in den Mainstreammedien haben. Geleakte Papiere zur Ukrainekriegberichterstattung beweisen gezielte Meinungsmache und Zensur. Die neue Satzung der WHO nennt ganz unverhohlen, andere Meinungen zu unterdrücken usw.
Wäre also eine Sichtbarmachung der Sorge- und Pflegearbeit erwünscht, wäre es ein leichtes, ähnlich anderen Dingen, das so oft und penetrant in den Medien zu bringen, bis die Care-Arbeit für den Letzten nicht mehr zu übersehen wäre.
Insofern muss ich wohl davon ausgehen, dass es mit der Forderung der Sichtbarmachung nicht so ernst gemeint ist.
Andere Arbeit ist auch nicht sichtbar und wird trotzdem entlohnt. Und selbst wenn die Fürsorgearbeit dann sichtbar gemacht wäre, was dann? War es das dann?
Wir sind einen Schritt weiter. Sicher hat auch unser Verband dazu beigetragen. Aber es bleibt alles beim Alten. Es gibt also noch viel zu tun.
Quellen:
1 Ilona Ostner: „Auf den Anfang kommt es an“ – Anmerkung zur „Europäisierung“ des Aufwachsens kleiner Kinder, RdJB1/2009
2 Arlie Russell Hochschild: Keine Zeit, wenn die Firma zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet. VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006
Bericht vom 38. Evangelischen Kirchentag in Nürnberg vom 07. bis 11.06.2023
von Franz Stuhrmann
Unter dem Leitwort „Jetzt ist die Zeit“ fand vom 07.06. bis 11.06.2013 der 38. Evangelische Kirchentag in Nürnberg statt. Als Besucher des Kirchentages hätte man bei Betrachtung des Leitwortes durchaus erwarten können, dass jetzt die Zeit da ist, sich dem Thema der gerechten Entlohnung der Familien- und Pflegearbeit gebührend zu widmen. Wer daran glaubte, in den Messehallen des Kirchentages weitergehende Informationen über das Thema zu erhalten, wurde maßlos enttäuscht. Neben unserem Stand war kein weiterer Informationsstand zu entdecken, der sich dem Thema der finanziellen und sozialen Absicherung häuslicher Eltern- und Pflegearbeit widmete. Das ist völlig unverständlich, da gerade der Kirchentag – auch wenn er keine Veranstaltung der Amtskirche ist – für solche prädestiniert gewesen wäre. Stattdessen lag die Gewichtung neben den allgemeinen Glaubensfragen vorwiegend auf den Themen „Gender, Klima und Krieg in der Ukraine“. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Kirchentag angesichts der aktuellen „Weltunordnung“ realpolitischer geworden ist.
Unser Stand befand sich in der Messehalle 4 mit der Nummer B20, unmittelbar zwischen den Ständen „Selbstvertretung wohnungsloser Menschen“ und „Bayerisches Kulturzentrum der Deutschen aus Russland“. Als unser Standpersonal agierten die Verbandsmitglieder Ursula Kornfeld, Beri Fahrbach-Gansky, Wiltraud Beckenbach, Dr. Dorothea Asensio, Franz Stuhrmann und als Nichtmitglied Eva Annette Erös.
In den vielen Gesprächen, die wir mit den Besuchern zum Thema „Familien- und Pflegearbeit“ führten, zeigte sich die enorme Bedeutung unseres Verbandes. Grundweg alle Gesprächsteilnehmer waren der Auffassung, dass die Familien- und Pflegearbeit in den politischen Gremien nicht genügend gewürdigt würde. Für die gegenwärtige Forderung der Politik und der Wirtschaft, Eltern sollten Familie und Beruf unter einen Hut bringen, zahlen diese einen hohen Preis, so die Gesprächspartner. Und dieser Preis gehe zu Lasten der Kleinsten, unserer U3-Kinder. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Arbeit und Zielsetzungen unseres Verbandes von allen Gesprächspartnern als notwendig und gut erachtet wurden. Auch wenn wir nicht direkt Mitglieder werben konnten und daraus nicht unmittelbar einen finanziellen Erfolg aufweisen können, so war dennoch die Teilnahme an dem Kirchentag mit all den entstandenen Kosten gerechtfertigt. Der Bekanntheitsgrad unseres Verbandes konnte auf jeden Fall gesteigert werden.