Ein Beitrag von Sabine Allmenröder
Am 7. und 8. Oktober 2005 fand in Gießen eine Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft (1),
der unser Verband angehört, statt.
Worum es unter der überschrift "Zeit als Schlüsselkategorie der Alltagsgestaltung" ging, zeigen die Titel der Diskussionsgruppen: "Auf dem Sprungbrett in die Zukunft – die Zeitver(sch)wendung der 15- bis 25-Jährigen" hieß es in der einen Gruppe. "The rush hour of life – die Lebensphase zwischen 25 und 50 Jahren" in der nächsten. "Aktives Altern – Lebensphase 50 plus. Unsere Gesellschaft des langen Lebens" und "Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen – der Umgang mit und das Erleben von Zeit in der letzten Phase des Lebens" hießen die Foren, die sich mit dem reifen Leben nach der Familienphase befassten.
Ich habe die "rush-hour of life" besucht und fand mich in der Gesellschaft engagierter Frauen wieder, die diese Phase erleben, wie sie betitelt ist: als rush hour (2). Auch Dr. Christine Küster, Mutter von zwei kleinen Kindern und als Wissenschaftlerin tätig, steckt in dieser Phase. Der Wunsch nach Entzerrung war der am häufigsten formulierte: Wie ist es zu schaffen, dass die verschiedenen Aufgaben, nämlich Fürsorge für Kinder und ältere Familienmitglieder, Erwerb des Lebensunterhaltes und persönliche Entwicklung und Fortbildung sich nicht so konzentrieren, dass sie zu einer permanenten überforderung führen?
Der Wunsch nach familienfreundlichen Teilzeitarbeitsplätzen und gleichberechtigter Teilung der Fürsorgearbeit zwischen Männern und Frauen waren ebenso drängend wie die desillusionierende Erfahrung der Realität, die zeigt, dass im freien Wettbewerb um gute Erwerbsarbeitsplätze immer noch das Rennen macht, wer sich mit ganzer Kraft dem Unternehmen widmet. Im öffentlichen Dienst und bei einzelnen Unternehmen, die bewusst die Familie fördern, können jedoch Schritte in die andere Richtung verwirklicht werden. Klar wurde: ohne ergänzende Angebote von hauswirtschaftlichen Dienstleistern und Kinderbetreuung und ohne finanzielle Entlastung der Eltern geht es nicht, wird sich auch in Zukunft nichts an der Entweder-oder-Einstellung der BundesbürgerInnen zum Thema Kinder und Beruf ändern.
Eindruckvolle Analysen zu diesem Thema lieferten die Vorträge des Samstags, die ich aus den Manuskripten wiedergebe: Prof. Dr. Carsten Stahmer (Statistisches Bundesamt, Wiesbaden), stellte unter dem Titel "Zeit für Kinder" ein alternatives Konzept vor, das ich schon aus dem Studium von Prof. Rosemarie von Schweitzer kenne. Es plädiert für die "Halbtags-Gesellschaft" und fordert, dass jede/r Bundesbürger/in in einer 50-Stunden-Woche 25 Stunden bezahlte Arbeit und 25 Stunden soziales Engagement, beziehungsweise Versorgungsarbeit in der Familie leistet. Die Zeit soll, wie das Geld, zu einem Tauschmittel werden: Zeiten sozialen Engagements werden den engagierten Personen durch Zeitgutschriften "entlohnt", die sie später bei eigener Bedürftigkeit gegen Hilfeleistungen von anderen eintauschen können.
Ich war sehr erstaunt, dass unser Bundespräsident Horst Köhler diese Gedanken in seiner Neujahrsansprache referierte. Ich finde: das war ein tolles Signal, unsere sogenannten "gesellschaftlichen Sachzwänge" einmal ganz anders zu denken.
Dass auch die Männer in der Zwickmühle sind, artikulierte Dr. Werner Sauerborn (ver.di Baden-Württemberg und Zeitschrift "Paps") in seinem Vortrag "Zeitalltag und Zeitinteressen von Männern". Der konkurrenzgeprägte Berufsalltag sieht zur Zeit noch ganz anders aus: "Die ungebremste ökonomisierung der Gesellschaft und der allgegenwärtige Konkurrenzdruck führen zu einer Re-Traditionalisierung der Geschlechterrollen und geschlechtsspezifischen Zeitverwendung auch von Männern", stellt er fest und fährt später fort: "Diese modernen Zeitzwänge addieren sich zu den fortbestehenden Strukturen eines patriarchalen Sozialstaates und bilden für die Mehrheit der Männer eine kaum überwindliche Hürde auf dem Weg zu einer neuen Rollenpraxis." Auch der 7. Familienbericht der Bundesregierung befasst sich intensiv mit dem Thema Zeitverwendung. Ziel ist dabei ein "intelligenter und zielgruppengenauer Politik-Mix aus Zeit, Infrastruktur und Geld", wie Prof. Uta Meier-Gräwe in ihrem Vortrag formulierte.
Eine spannende Initiative der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (EAF) wurde von Sigrid Lewe-Esch (Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Haushaltsführungskräfte) in ihrem Vortrag erwähnt: Von der EAF wird ein Elterngeld nach schwedischem Vorbild gefordert, das sich, ähnlich dem derzeit diskutierten Elterngeld der Bundesregierung, an der Höhe des vorherigen Arbeitslohnes orientiert (3).
Quellen
1) Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft e.V.
Postfach 21 51, 49132 Wallenhorst, www.dghev.de
2) dt.: Hauptverkehrszeit, Stoßverkehr
3) www.eaf-bund.de