Ein Plädoyer von Birgit Kelle
Der berufstätigen, kinderlosen Frau liegt die Welt zu Füßen. Die nächste Frauenbewegung wird sich um die Mütter kümmern müssen.
Frauen und Kinder zuerst – was auf hoher See noch gelten mag, ist spätestens an Land nur noch eine Phrase. Der Sinn der Frage „Wen rette ich zuerst?“ entstammt dem einst geltenden Grundsatz, dass es für das Überleben einer Gesellschaft wichtig ist, diejenigen zu schützen, die den Fortbestand der Generationen sichern: potenzielle Mütter und Kinder. Fallen sie weg, hat auch die Gesellschaft der Männer keinen Bestand.
Zumindest vordergründig kümmert sich die deutsche Familienpolitik aufopferungsvoll um die Frau in unserem Land. Wir haben Tausende von Frauenbeauftragten, den Girls Day, Mentoring-Programme für Frauen- und Mädchenförderung, so weit das Auge reicht. Doch Frau ist nicht gleich Mutter. Nur diese aber kann das Leben weitertragen.
Gleichzeitig macht uns der Fachkräftemangel zu schaffen. Die Human Resources sind so weit ausgereizt, dass Mutti es jetzt auch hier richten soll. Kinder müssen also her, sollen aber zu Hause nur noch als Durchlaufposten betreut werden, um den Weg für die Arbeitskraft ihrer Mütter frei zu machen. Längst steht im Fokus der Frauenpolitik nicht mehr die Mutter, die sich um den Fortbestand der Generationen kümmert, sondern die Frau in der Arbeitswelt. Frauenquoten, Widerstand gegen das Betreuungsgeld, Frauenförderung in der Wirtschaft, flächendeckender Kita-Ausbau und sogar das Elterngeld, das als „Lohnersatzleistung“ für den Schadensfall Kind definiert wird – alles Instrumente zur Förderung der berufstätigen Frau. Schön, klug und vom Manne unabhängig – so soll sie sein. Dafür hat der Feminismus jahrelang gekämpft. Endziel: Frauen-Vollbeschäftigung. Statistisch bringt Frau jedoch immer weniger Kinder zur Welt, je mehr sie beruflich tätig ist und je höher sie auf der Karriereleiter steigt. Damit ist das Dilemma perfekt.
Wir brauchen keinen Feminismus mehr in unserem Land. Wir haben schon seit Jahren eine gesetzliche Gleichstellung der Frau. Was wir brauchen, ist eine neue Mütterpolitik, denn Mütter sind als Verliererinnen der Frauenbewegung zurückgelassen worden. Schon seit Simone de Beauvoir gilt die Mutterschaft als Last, die man ablegen sollte. Als Hindernis auf dem Weg zur Selbstbestimmung. Deshalb kämpfte man ja auch für das Recht auf Abtreibung. Das Kind als Klotz am Bein.
Kinderlosen Frauen hingegen liegt heute gerade auf dem Arbeitsmarkt die Welt zu Füßen. Sie sind gut ausgebildet und flexibel. Wer da nicht vorankommt, muss den Fehler nicht mehr im System suchen, sondern bei sich selbst. Emanzipation kann der Frau nicht hinterhergetragen werden, sie muss sie sich schon holen. Das Deutsche Institut der Wirtschaft (DIW) in Köln kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen mit sehr kurzen Erwerbsunterbrechungen nur noch einen Verdienstabstand von vier Prozent zu den Männern aufweisen, der statistisch nicht mehr signifikant sei. Sprich: Eine Frau, die ihr Arbeitsleben nicht wegen Kindern unterbricht, hat ein gleiches Einkommen wie ein Mann.
Erst mit den Kindern und dem Muttersein kommen die Probleme. Der Lohnausfall, der Rentenausfall, die Altersarmut, die Vereinbarkeitsproblematik, die Doppelbelastung, die fehlende Anerkennung, der schwierige Wiedereinstieg in den Beruf. Weil man der Frau zwar einerseits zutraut, die Welt retten zu können, gleichzeitig aber annimmt, dass sie einen Großteil ihrer Hirnzellen am Wickeltisch verloren hat. Menschheitsgeschichtlich betrachtet haben wir es innerhalb kurzer Zeit geschafft, Kinderreichtum von einer Alterssicherung zum größten Armutsrisiko werden zu lassen. Stück für Stück wurde der soziale Status einer Frau, die sich um Familie und Haushalt kümmert, finanziell ausgehöhlt. Ihre Alterssicherung ist ein Witz, und das neue Unterhaltsrecht lässt sie im Regen stehen.
Es ist eine Kapitulation der Frauenpolitik, dass sie sich bei all diesen Problemfeldern den Regeln der immer noch männlich geprägten Wirtschaftswelt unterworfen hat, anstatt einen spezifisch weiblichen Weg auch und gerade finanziell zu ermöglichen. Ein Weg, bei dem ein Hintereinander von Familienphase und Karriereweg möglich ist, anstatt etwas einzufordern, was wir von keinem Mann verlangen: ständig auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen.
Nüchtern betrachtet wird das Leben einer Frau dann als erfolgreich betrachtet, wenn sich ihr Lebenslauf dem des Mannes am meisten angeglichen hat. Zwar sprechen wir viel und gerne über Vielfalt in unserer Gesellschaft, wenn es aber um das unterschiedliche Geschlecht von Mann und Frau geht, hört der Spaß auf. Dann ist der gegenderte Einheitsmensch plötzlich das Ideal, weil es ja keine Unterschiede mehr geben darf zwischen Mann und Frau. Es ist trauriges Erbe eines verfehlten Feminismus, dass ein spezifisch weiblicher Lebensweg als nicht mehr erstrebenswert gilt. Dass Mutterschaft – die ureigenste Domäne der Frau – nur noch ein Problem darstellt, das es zu organisieren gilt. Haben wir Frauen wirklich nichts anderes anzubieten, als ein besserer Mann zu werden?
Die Fronten in dieser Debatte verlaufen schon lange nicht mehr zwischen Mann und Frau, sondern zwischen Frauen untereinander, die um die Deutungshoheit über das eine, richtige Frauenleben ringen. Ich dürfte mich doch gerne dem feministischen Kampf anschließen, bekam ich zu hören, als ich für die Rechte von Müttern eintrat. Was die Dame nicht verstanden hatte: Ich bin längst Teil der Frauenbewegung, ich laufe aber in eine andere Richtung. Das ist im Frauenkollektiv nicht vorgesehen, sondern Hochverrat. Weil Emanzipation angeblich erst beginnt, wenn Frau die Haustür von außen schließt. Es ist eine Tragödie, dass man als Frau früher gegen die Männer ankämpfen musste, um aus einer traditionellen Rolle treten zu dürfen, und heute gegen Frauen ankämpfen muss, um in der gleichen Rolle bleiben zu dürfen.
Zumindest de Beauvoir hat einst schon gewusst, dass sie nicht für alle Frauen spricht. Denn von ihr stammt nicht nur der berühmte Satz, dass man nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht wird, sondern auch dieser: „Nein, wir wollen den Frauen gerade nicht die Wahl lassen zwischen Berufstätigkeit und Mutterdasein, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil zu viele Frauen sich für die Mutterschaft entscheiden würden.“ Wäre ich ein Mann, ich würde mich amüsiert zurücklehnen.
Quelle: FOCUS Online vom 12.03.2012