Was ich meinen Enkelkindern sagen möchte …

Brief einer Großmutter an ihr Enkelkind
Autorin möchte nicht genannt werden

Liebes Enkelkind,

Sokrates sagte einst: „Sprich, damit ich dich sehe“.
Deshalb lass mich dir von einer besonderen Frau und deren Arbeit erzählen und dir ihre Wichtigkeit bewusst machen.
Sie hat Wunderbares in deinem Leben bereits geleistet, wenn du diese Zeilen liest:

Sie hat dich 9 Monate getragen und dir das Leben geschenkt.
Schon als Säugling gab sie dir Schutz und Fürsorge. Liebevolle Zuwendung, Zeit, Zärtlichkeit, Geborgenheit brauchtest du als wichtige Grundlage, um dein Urvertrauen auszubilden – es ist lebens- und überlebenswichtig, um tragfähige Bindungen im späteren Leben eingehen zu können.
Durch ihre Mimik, Gestik, Sprache, Stimme lerntest du, sie regten deine Sinne an.
Tag für Tag arbeitete sie daran, dir das Gefühl zu geben: Du bist einmalig – du bist wertvoll – du bist geliebt.
Spannend und aufregend war diese neue Zeit für dich und du hast Tag um Tag mehr wahr genommen und gelernt. Mit allen Sinnen: Sehen, Hören, Tasten, Schmecken fingst du an, die Welt zu begreifen, die ersten Laute und dann Worte zu formen, zu laufen.
Die gemeinsamen Spaziergänge in die Natur, wo es so viel Neues zu entdecken gab, waren die Grundlage zum sorgsamen Umgang mit der Natur als schützenswertem Gut.
Löcher hast du ihr in den Bauch gefragt mit all den vielen „Warum“-Fragen, die deinen großen Wissensdurst signalisierten.
Spielen und Basteln waren herrliche Möglichkeiten, deine Feinmotorik zu trainieren und dich stolz zu machen auf selbst hergestelltes Kunsthandwerk- ein Stück gehörige Arbeit für Dich.
Als du dann in die Schule gekommen warst, wie oft hörte sie dir am gemeinsamen Mittagstisch zu. Unzählige Male ermutigte sie dich, tröstete, ermahnte weiter zu machen und bot dir ihre helfende Hand, wenn etwas nicht gleich klappte, denn sie wusste, dass jemand, der oft getadelt wird, leicht das Vertrauen in sich selbst verliert.
Sie lehrte dich, dass es nicht schlimm ist, wenn man im Leben einmal hinfällt – sondern nur wichtig, den ersten Schritt danach wieder selbst zu tun.
Auch als du deine vorerst größte Lebenskrise, die Pubertät erreichtest, blieb sie dir stets mit ihrer Fürsorge und Liebe zugewandt. Es war unermüdliche Arbeit, dir Bildung und Kultur näher zu bringen, dich rationales, ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften zu lehren und dir gesunde Ernährung schmackhaft zu machen. Die vielen Diskussionen halfen dir bei der Meinungsbildung und ermutigten dich zu Zivilcourage
Ihrem unermüdlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass das soziale Leben miteinander gut gelang: das Miteinander am Tisch zu pflegen, aufeinander Rücksicht zu nehmen, zuzuhören und bei Streitfragen nachhaltige Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Sie pflegte das Brauchtum, organisierte die Familienfeste und kümmerte sich rund um die Uhr um dich, wenn du krank warst. Während deiner Entwicklung arbeitete sie sich in viele Wissensgebiete ein, um dir all die vielen Fragen und Widersprüche des Lebens halbwegs verständlich zu machen.
Ganz besonders hervorheben möchte ich dir ihre unbezahlbare, Werte schaffende Erziehungs- sowie Orientierungsarbeit durch ihre Betreuungsleistung. Allein im ersten Jahr nach deiner Geburt war sie rund um die Uhr im Dienst mit deiner Pflege. Das entspricht eigentlich der Pflegestufe 3.
Deine Mutter – sie trug am Arbeitsplatz zu Hause viele Jahre unentgeltlich die Hauptverantwortung für deine Erziehung und sorgte für euer aller Wohl.

Sie wird, wenn sie älter ist, deine Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit nötig haben.
Ihr Leben war Arbeit und Liebe – wenn du kannst, üb auch du Liebe an ihr.

Diese mehr als unschätzbare noch immer unbezahlt geleistete Betreuungsarbeit an Kindern, Behinderten und alten Menschen ist unverzichtbar und die wichtigste Arbeit überall in der Welt, weil die Gesellschaft ohne sie nicht funktioniert.

Das mussten dein Großvater und dein Urgroßvater schmerzlich feststellen, als sie beide meinten, deine Großmutter „arbeite nichts“, obwohl sie 19 Jahre die Geschicke des Mehrgenerationenhaushaltes erfolgreich führte: ich streikte!
Mein Hausfrauenstreik schaffte Fakten. Nichts lief mehr! In der Folge musste ich jedoch die Entsolidarisierung beider erleiden. Was die Fürsorgearbeit an deinem Urgroßvater anbelangte, delegierte ich die Arbeit an die restliche Familie. Seit dieser Zeit ist meine früher geleistete häusliche Arbeit personell täglich sichtbar. Sie wurde auf 5 Personen verteilt, die ins Haus kommen und dort ihre Arbeit tun, selbstverständlich jetzt bezahlt.

Aus eigener Betroffenheit konnte ich feststellen, wie wichtig die Forderung des Verbandes der Familienfrauen und -männer nach einer eigenständigen finanziellen und sozialen Absicherung, sowie der Anerkennung der Erziehungs- und Pflegearbeit und deren Anrechnung auf die Renten und Pensionen für familienarbeitende Mütter und Väter ist.
Seit 1979 setzt er sich hierfür ein und hat auch prozessierende Frauen vor Gericht unterstützt.

Du siehst, welch langer Atem notwendig ist, um politisch etwas zu bewegen. Auch in Zukunft kämpfen Mütter und Väter für die Durchsetzung dieser elementar wichtigen Forderungen.

Zum Schluss will ich Dir noch ein paar wichtige Dinge mit auf den Weg geben:

1. Als Erstes: Prüfe stets und versuche, die Wahrheit der Dinge zu ergründen, denn in der Politik wird es zunehmend schwieriger, zwischen Wahrheit und Irreführung zu unterscheiden.
2. Übernimm Verantwortung für dich und andere – davon lebt eine funktionierende Gesellschaft.
3. Übe Menschlichkeit – damit wird die Zukunft für alle lebenswert.
4. Achte jeden Menschen und sei du selbst, damit du vor dir bestehen kannst.
5. Bleib neugierig auf das Leben, auch im hohen Alter.
6. Freu dich an den kleinen Dingen und halt dich an die, die mit dir lachen können.
7. Gib niemals auf!!!!!

Die Welt, in die du hineinwächst, wird von eurem Geist und eurer Verantwortungskraft viel brauchen.

Diese Welt braucht dich und deine Einfälle, damit etwas bewegt werden kann.

Freu dich auf das Leben, das vor dir liegt, ergreife seine Chancen und Möglichkeiten und lass dich von Rückschlägen nicht entmutigen: Das ganze Leben besteht darin, Probleme zu lösen – nur wer gefordert wird reift.

Ich wünsche dir, dass du dich frohen Herzens und ohne jegliche Nachteile für Kinder entscheiden und in einer Gesellschaft leben kannst, die alle Lebensformen und alles Leben achtet! Und solange das noch nicht der Fall ist, ist es wichtig, sich einzumischen und dafür zu kämpfen. Wir in unserer Lebenszeit, ihr in der euren.
Unser Ziel ist erst erreicht, wenn Mütter und Väter für ihre Haushalts- und Pflegearbeit Brot und Rosen erhalten.

Grüsse deine Mutter von mir und bitte sie, falls sie es vergessen haben sollte, den letzten Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen:
Einen wunderschönen Strauß roter Rosen für die Frau, die ihr als letzte in ihrem Leben Fürsorge und Liebe zukommen lässt. Sie soll eine Karte mit folgendem Text hineinstecken: „Danke – ich war reich, weil du da warst“.

Ich umarme dich.

In Liebe – deine Großmutter

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