von Monika Bunte
Ein berühmter Mann ist früh gestorben. Dr. Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wurde nur 55 Jahre alt. Er bekam viele lobende Nachrufe bezüglich seiner intellektuellen Brillanz und des Aufspürens neuer Themen, aber einige kritische Stimmen waren auch dabei, und den kritischen Stimmen will ich mich zugesellen.
Vor zehn Jahren schrieb ich ihm zu einem seiner Bücher, „Das Methusalem-Komplott“, einen zweieinhalb Seiten langen Brief, engzeilig. In dem Brief spießte ich Sachen auf, die mir im Buch gegen Altersdiskriminierung missfielen.
Schirrmacher schreibt: „Der Generationenvertrag hat funktioniert.“ Dazu meine Erwiderung: der Generationenvertrag hat nie funktioniert. Was wie „Funktionieren“ aussah, geschah auf Kosten der erziehenden Frauen, die keine eigenständige Alterssicherung hatten und insofern schon immer altersdiskriminiert waren.
Ich fahre in meinem Brief fort: Folgender Satz hört sich sehr ungut an: „Denn selbst wenn wir morgen in einem Akt beispielloser Massenzeugung die Geburtenrate steigern sollten …“. Politische Mittel und Wege einer bevölkerungsfreundlichen Familienpolitik gäbe es schon. Meines Erachtens liegt im Ausblenden einer familienfreundlichen Bevölkerungspolitik (oder bevölkerungsfreundlichen Familienpolitik) eine große Schwäche Ihres Buches. Wahrscheinlich sagen Sie: „Das war nicht mein Thema.“ Aber ohne den Hintergrund der negativen Bevölkerungspolitik seit 30 Jahren ist Ihr Buch nicht stimmig. Die mahnenden Stimmen, die vor dreißig Jahren auf Defizite in der Geburtenentwicklung hinwiesen, wurden ignoriert.
Es folgt in meinem Brief eine Anmerkung zu folgendem Satz: „Erwachsene, die ihr biologisches Programm nicht erfüllt haben oder nicht erfüllen konnten …“ – Die Gründe sind nicht wichtig. Tatsache ist: sie haben die Gabe des Großgezogenwerdens genommen und haben nicht gegeben. Sie müssten sich finanziell am Aufziehen fremder Kinder beteiligen. Jetzt liegt das Kind im Brunnen, darf aber immer noch nicht beklagt werden. Stattdessen die große Klage um Altersdiskriminierung.
Da ich eine begeisterte Interessentin der Urgeschichte bin, hat mich folgender Satz besonders geärgert: „Nicht nur unsere Diskriminierung des Alterns ist biologisch bestimmt, auch unsere Vorstellung vom Zusammenleben zweier Menschen, ihrer Fortpflanzung und Familienbildung stammt aus urzeitlichen Verhaltensprogrammierungen.“ Meine Antwort: Nein, nicht aus der Urzeit. Aus dem Patriarchat. Etwa 5.000 Jahre. Mehr nicht.
Kurz vor der hundertsten Seite im Buch steht: „Kinder sind nachwachsender Rohstoff …“ Meine etwas flapsige Erwiderung darauf war: Naja, so naturwüchsig sind sie ja nun wohl auch wieder nicht, aber Ihre Formulierung ist ein schönes Beispiel für meine Sammlung, wie Familienarbeit – überwiegend von Frauen geleistet – bagatellisiert wird.
Ein längeres Zitat aus Ihrem Buch: „Die Natur achtet beispielsweise darauf, dass unsere Körper nicht alle Kalorien in Schönheit, Kraft und Sexualität investieren, sondern genug übrig bleibt, um unsere Kinder großzuziehen …“ – Meine Replik: Das allerdings tut die Natur nicht. Dann gäbe es ja genügend Kinder. Das Dilemma ist ja Überalterung plus Unterjüngung. Für die Unterjüngung gibt es Gründe, die in der Wertschätzung der ARBEIT liegen. ARBEIT ist Erwerbsarbeit und Familienarbeit. Auch Familienarbeit muss für eine Reihe von Jahren bezahlt werden, entweder, weil die Mutter / der Vater die Arbeit selber machen oder weil bei Delegation der Familienarbeit (Outsourcing) die Ersatzkraft finanziert wird.
Entsetzt war ich über folgenden Satz: „Der Versuch, die Alterspyramide wieder auf die Füße zu stellen, kann nur heißen, auf Seuchen, Katastrophen und Kriege zu warten.“ – Stimmt nicht. Ab sofort setzen Sie sich bitte für eine bevölkerungsfreundliche Familienpolitik ein. Ich weiß, ich weiß, es dauert dreißig Jahre. Aber allein der Anblick von mehr Kinderwagen im Straßenbild im Vergleich zu den Rollwägelchen der Älteren würde im Denken etwas ändern.
Aufgebracht hat mich auch der folgende Passus: „Wir wählen (bei Wahlen) den, der uns gefällt und der uns zu Gefallen ist.“ – Das würden womöglich auch die Eltern machen, die stellvertretend für ihre Kinder das ‚Wahlrecht von Geburt an‘ ausübten. Bei einem Gespräch in der Frankfurter Allgemeinen (Otto Graf Lambsdorff / Hans D. Barbier), bei dem Sie moderierten, hieß es beim ‚Wahlrecht von Geburt an‘ (Barbier) wegwerfend: „die wollen ja nur mehr Kindergeld“, und Sie haben nicht widersprochen.
Als Frank Schirrmacher folgenden Satz schrieb, war er etwa 45 Jahre alt: „Ob Mann, ob Frau, diskriminiert werden wir alle.“ – Dazu meine Anmerkung: Frauen werden allerdings anders und zusätzlich diskriminiert, weil sie im Allgemeinen sprachlich nicht vorkommen, sondern „mitgemeint“ sind.
Ein anderer Satz, der mir einen Kommentar wert war: „Es hilft nichts, wir müssen heute handeln.“ – Es war vor zehn Jahren, dass ich daraufhin schrieb: Ja bitte: fangen Sie an, sich für ein sozialversicherungspflichtiges Entgelt für Familienarbeit einzusetzen, damit die Kindererziehung der eigenen Kinder nicht zu Altersarmut führt. Material dazu können Sie bitte bei mir anfordern.
Material wurde mitnichten bei mir angefordert, und die erbetene Antwort auf meinen Brief bekam ich auch nicht.
Quelle:
(1) Frank Schirrmacher: Das Methusalem-Komplott. Blessing Verlag, München 2004. ISBN 3-89667-225-8