Justitia, nicht nur blind, sondern auch taub und stumm? (Fh 2016/1)

von Johannes Resch

Unter Bezugnahme auf den Beitrag Beschwerde zum Elterngeldgesetz vom EGMR abgewiesen geben wir auszugsweise das Schreiben unseres Rechtsanwalts wieder, auf das dort hingewiesen wurde. Im Bescheid aus Straßburg wurde behauptet, es seien formale Voraussetzungen für ein Verfahren vor dem Gericht nicht erfüllt gewesen, ohne dass dazu weitere erklärende Angaben gemacht wurden. Die angeführten formalen Voraussetzungen nach Art. 34 und 35 EMRK waren jedoch erfüllt. Dies wird in nachfolgendem Schreiben nochmals betont. Eine Antwort ist bisher nicht eingegangen. Den Namen der Beschwerdeführerin haben wir anonymisiert.

Auszug aus dem Schreiben unseres Rechtsanwalts an den Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 29.09.2015:

Sehr geehrter Herr Präsident,

namens und in Vollmacht meiner Mandantin, (Name und Anschrift) möchte ich Sie über einen in den Augen meiner Mandantin unerträglichen Vorfall in der Rechtsprechung Ihres Gerichtshofs unterrichten und um entsprechende Abhilfe bitten.

Meine Mandantin hatte unter dem 31.07.2014 eine Individualrechtsbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt, die später unter der Beschwerde-Nr. xxxxx registriert wurde. Mit dieser Beschwerde wurde unter Einhaltung aller verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der EMRK die Verletzung des Art. 6 EMRK durch deutsche Gerichte, insbesondere die Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens gerügt. Ferner wurde die Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem. Art. 8 EMRK und ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK und des allgemeinen Diskriminierungsverbots gem. Art. 1 Abs. 1 des 12. Zusatzprotokolls geltend gemacht. Im Einzelnen dürfen wir zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dort vorliegende Beschwerdeschrift verweisen, die eine exakte Begründung der gerügten Verstöße enthält. Zusammengefasst geht es um einen eklatanten Verstoß gegen die Gewährleistung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung durch ein deutsches Landessozialgericht und zugleich gegen einen schon unerträglichen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, in dem eine einfache Klägerin in einem sozialgerichtlichen Verfahren schlicht überfahren wurde. Weiterhin ist eine Verletzung des Art. 8 EMRK – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens – durch die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, ein erweitertes Elterngeld für nicht erwerbstätige Mütter zu versagen, unter umfassender Heranziehung der Rechtsprechung des EGMR exakt begründet worden. Zusätzlich sind Tatbestände dargelegt worden, die einen klaren Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 14 EMRK und auch gegen Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls belegen.

Unter dem 18.06.2015 erhielt die Klägerin dann die völlig überraschende Mitteilung des EGMR, die von einem „Rechtsreferenten A. Müller-Elschner“ unterschrieben war. Darin heißt es wörtlich:

„Hiermit teile ich Ihnen mit, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwischen dem 28. Mai 2015 und dem 11. Juni 2015 in Einzelrichterbesetzung (H. Keller, unterstützt von einem Berichterstatter in Übereinstimmung mit Art. 24 Abs. 2 der Konvention) entschieden hat, die Beschwerde für unzulässig zu erklären. Diese Entscheidung erging am zuletzt genannten Datum. Soweit die Beschwerdepunkte in seine Zuständigkeit fallen, ist der Gerichtshof aufgrund aller zur Verfügung stehenden Unterlagen zu der Auffassung gelangt, dass die in Art. 34 und 35 der Konvention niedergelegten Voraussetzungen nicht erfüllt waren. Diese Entscheidung ist endgültig und unterliegt keiner Berufung an den Gerichtshof sowie an die Große Kammer oder eine andere Stelle.“

Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass keine weiteren Auskünfte über die Beschlussfassung des Einzelrichters gegeben würden und auch kein weiterer Schriftverkehr in dieser Angelegenheit geführt werde.

Der Hinweis auf Art. 34 und 35 der Konvention ist schlicht unverständlich, da in der Individualbeschwerdeschrift vom 31.07.2014 umfangreiche Ausführungen zur Einhaltung der Voraussetzung dieser Norm unterbreitet wurden. Durch die offensichtlich rein formularmäßige Mitteilung des Rechtsreferenten vom 18.07.2015 dürften die Organe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte selbst gegen das auch für sie geltende Menschenrecht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen haben. …

Die Hinweise in dem Formularschreiben des EGMR vom 18.06.2015 auf Art. 34 und 35 der EMRK sind zudem in keiner Weise nachvollziehbar. Art. 34 EMRK besagt nur, dass der Gerichtshof von jeder natürlichen Person etc. mit einer Beschwerde befasst werden kann, wenn diese Person behauptet, durch einen Konventionsstaat in den durch die Konvention oder die Protokolle gewährten Rechten verletzt zu sein. Die diesseits eingelegte Beschwerde vom 31.07.2014 berücksichtigt vollständig die vom EGMR hierzu aufgestellten Anforderungen. Da die Formularmitteilung des Rechtsreferenten keinerlei Begründung enthält, ist die getroffene Entscheidung schlicht unverständlich.

Dem Schreiben des Rechtsreferenten vom 18.06.2015 – das in unserer Kanzlei erst am 06.07.2015 eingegangen ist – ist zudem zu entnehmen, dass angeblich auch die Voraussetzungen des Art. 35 EMRK nicht eingehalten worden sein sollen. Auch hierzu wird keinerlei Begründung gegeben. In der Menschenrechtsbeschwerde der Frau xxxxxxx vom 31.07.2014 sind hingegen sowohl das Gebot der Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe eingehalten worden (Art. 35 Abs. 1 EMRK) als auch die Beachtung der Negativ-Voraussetzungen des Art. 35 Abs. 2 EMRK dargelegt worden, wonach der EGMR sich nicht mit anonymen Beschwerden befasst oder eine Befassung ausscheidet, wenn gleichartige vom Gerichtshof geprüfte Beschwerden vorliegen. Hierfür gibt es nach Auswertung der Rechtsprechung des EGMR keinerlei Anhaltspunkte. Auch die in Art. 35 Abs. 3 EMRK genannten Sonderfälle liegen eindeutig nach dem Inhalt der Beschwerdeschrift vom 31.07.2014 nicht vor. …..„

Mit freundlichen Grüßen

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Rechtsanwalt