von Gertrud Martin aus der fh 1/22
Die aktuelle familienpolitische Lage ist gekennzeichnet durch zwei auseinanderstrebende Tendenzen mit ihren jeweils aktiven Unterstützer-Gruppierungen: Dank der neuen Regierungskonstellation steht die linksgrüne Agenda im Vordergrund, die die traditionelle Familie bestehend aus Mutter, Vater, Kind auf den Müllhaufen der Geschichte werfen will, zugunsten einer regenbogenfarbenen Verantwortungsgemeinschaft, in der sich alle zusammenfinden, die ein wenig mitmenschliche Fürsorge schätzen und auch zu geben bereit sind. Spezielle Bedürfnisse von Kindern, z. B. des Anspruchs auf Beachtung einer besonderen Bindungsphase als Grundlage für spätere Bildungsfähigkeit, spielen keine Rolle.
Auf der Gegenseite mühen sich die konservativen Familienfreunde, aufgesplittet in zahllose Kleingruppen mit je eigener „Heilslehre“ darum, eine gemeinsame Plattform zu finden, um den ersteren Paroli bieten zu können.
Innerhalb der konservativen Familienfreunde gibt es zwei Untergruppen, die sich schwer tun, eine gemeinsame Aktionsbasis zu finden. Da sind einerseits die stark christlich orientierten, deren Hauptanliegen es ist, die „Familienwerte“ hochzuhalten und weiterzugeben. Lt. einer Broschüre der Stiftung für Famlienwerte sind das Werte „[…] Treue, bedingungslose Liebe, Gemein- schaftssinn, Aufopferungsbereitschaft, Zusammenhalt, Rücksichtnahme. Doch von wem werden diese Werte, die die Grundlage einer lebenslangen Schicksalsgemeinschaft wie die Familie bilden, weitergegeben?“ Sprich: Wer anders soll dafür in der Pflicht sein als die Eltern und ersatzweise bzw. ergänzend die Großeltern?
Eine solche Definition erregt andererseits – in der zweiten Untergruppe der Konservativen – zunehmend Widerspruch, ausgelöst durch die Überzeugung, dass es in unserem durch Wettbewerb und Marktwirtschaft geprägten System weltfremd und letztlich selbstzerstörerisch sei, allein auf diese ethisch begründeten Werte zu setzen. Sie bestehen darauf, dass Liebe nicht „bedingungslos“ gewährt werde und Aufopferungsbereitschaft einen Gegenwert verlange. Unter ursprünglichen, „natürlichen“ Bedingungen war der Gegenwert für die Liebe zu den Kindern und den damit verbundenen wirtschaftlichen Aufwand an die selbstverständliche Verpflichtung der Kinder für vergleichbaren wirtschaftlichen Einsatz für die alten bzw. kranken Eltern gekoppelt. Das mag nicht so bewusst gewesen sein, war aber sicher im Unterbewusstsein fest verankert und prägte den familiären Zusammenhalt. Erst unsere aktuelle Sozialgesetzgebung hat das Band der gegenseitigen wirtschaftlichen Verantwortung zerrissen, weil die Altersversorgung von der Bedingung „Erziehung eigener Kinder“ gelöst und an Erwerbsarbeit gebunden wurde. Die finanzielle „Investition Kinder“ verblieb ganz überwiegend bei den Eltern, während der wirtschaftliche „Gewinn Kinder“ vergesellschaftet wurde. Dieser „Gewinn“ wurde an Erwerbsarbeit gebunden, an der teilzunehmen Eltern umso weniger Möglichkeit haben, je mehr Kinder sie versorgen müssen. Diese Sozialgesetzgebung hat also die Eltern enteignet und die Familien tendenziell in einer sonst reichen Gesellschaft der Verarmung und zunehmend der Auflösung preisgegeben.
Auf den Punkt gebracht: sofern das Umlageverfahren bei Renten- und Krankenversicherung (erwachsen gewordene Kinder zahlen als Erwerbstätige die Renten und Krankheitskosten der Rentner/innen) begründet das die Forderung nach einem elterlichen Erziehungsentgelt (EEE). Der „Verband Familienarbeit e.V. – Verband zur Förderung der eigenständigen finanziellen und sozialen Absicherung häuslicher Eltern- und Pflegearbeit“ fordert dieses seit seiner Gründung im Jahre 1979.
In der familienpolitischen Szene geht es also aktuell darum, Mehrheiten zu gewinnen für eine Sozialgesetzgebung, die der elterlichen Erziehungsleistung wieder ihre ursprüngliche Geltung zuerkennt.
Die verschiedenen Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte bieten eine andere Lösung als die Bezahlung der elterlichen Erziehungsarbeit an. Sie wollen die Eltern vielmehr dadurch entlasten, dass ihnen die Betreuungsarbeit abgenommen wird, so dass beide Elternteile möglichst durchgängig erwerbstätig sein können und dadurch die Verarmungstendenz vermindert wird.
Diesen Bestrebungen setzen wir folgende Argumente entgegen:
• Das Modell der frühkindlichen Betreuung in der Krippe, spätestens ab dem 1. Geburtstag, erschwert die optimale Bindung der Kinder an ihre Eltern, die aber für ihre soziale Entwicklung wesentlich wichtig ist, wie alle diesbezüglichen wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen.
• Sowohl die Krippenbetreuung als auch die Ganztagsfremdbetreuung älterer Kinder nimmt den Eltern nur einen Teil der Betreuungsveranwortung ab, die nachts, am Wochenende und im Urlaub fortbesteht.
• Die einseitige staatliche Finanzierung der verschiedenen Formen der Kinderbetreuung benachteiligt alle Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen bzw. lieber selbst betreuen wollten.
• Damit verstößt die aktuelle Familienpolitik gegen die Gebote des GG zum Schutz der Familie und zum Schutz der Elternrechte nach Art. 6 Abs. 1 und 2 und darüber hinaus gegen das Gleichheitsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG, das auch für Eltern untereinander gilt.
Wir fordern:
Es sind die wirtschaftlichen Bedingungen zu schaffen, um die Präsenz eines Elternteils in der Familie zu ermöglichen, sofern die Eltern sich dafür entscheiden möchten. Dafür ist unweigerlich der Konsens für die Einführung eines EEE Not-wendig! Selbst- verständlich muss dieses Geld bei Wunsch der Eltern dann auch zur Finanzierung einer Fremdbetreuung nach deren Wahl eingesetzt werden.
Beteiligte an dieser Diskussion sind nicht zuletzt die Medien als tragende 4. Kraft im demokratischen Staat. Hier ist allerdings festzustellen, dass auf breitem Terrain der wirtschaftsorientierte Mainstream das Sagen hat, sei er nun von den Gewerkschaften oder den Wirtschaftsverbänden dominiert. Die konservativen Stimmen bleiben leise und zaghaft. Als Ausnahme ist die DIE TAGESPOST zu nennen, die seit 2020 verschiedene Artikel, u.a. eine 8-seitige Beilage „Im Fokus“ der Stiftung für Familienwerte veröffentlicht hat. Bei den Anhängern der Einführung eines elterlichen Erziehungseinkommens (EEE) rufen diese Verlautbarungen über weite Strecken allerdings Widerspruch und Unverständnis hervor, weil die „Familienwerte“ oft weiterhin als losgelöst von finanziellen Bedingungen eingefordert werden, sozusagen „um Gotteslohn“. Sie betrachten den Verzicht auf eine reale familienpolitische Einschätzung als Verrat an der Familie und Selbstaufgabe der Konservativen. Aber gerade die Leugnung der Bedeutung des Geldes für die Familie führt zu deren fortschreitender Abschaffung!