Elterliche Erziehungsarbeit – Stiefkind der Familienpolitik (Fh 2017/1)

von Marita Bergmann und Silke Bürger-Kühn

Unser Verband will es seit 1979 Müttern und Vätern ermöglichen, ihre persönlichen Erziehungsvorstellungen ohne Benachteiligung zu verwirklichen. Das gibt auch unser Grundgesetz so vor, allerdings ist das den etablierten Parteien egal.

Damit Kinder selbstbewusst die Welt erkunden können, brauchen sie Eltern, die sie geduldig und liebevoll großziehen, die Zeit haben, ihnen das Leben jenseits von Schule und Kindergarten zu erklären und auf ihre Bedürfnisse einzugehen, Zeit, sich ihre Gedanken, Ideen und Phantasien anzuhören. Sie brauchen Eltern, die an Plänen Anteil nehmen, Erfolge loben und sich daran mitfreuen.

Dazu brauchen die Eltern selbst ein solides Fundament aus Selbstbewusstsein, Zuversicht, Wissen und wiederum Zeit. Zeit, um sich den rasanten Entwicklungen in Technik, Rechtswesen, sozialem Zusammenleben zu stellen und diese auch weiterzuvermitteln. Die Eltern sind es, die sie auf Nachhaltigkeit prüfen müssen, um ihre Kinder auf die Zukunft vorzubereiten.

Dieses Ziel unseres Verbandes rückt in immer weitere Ferne, weil alle etablierten Parteien, die Wirtschaftsverbände, die Presse und (fast) alle anderen, die öffentlich zu Wort kommen, mit immer wiederkehrendem Getrommel und durch ständiges Nachplappern den bekannten Refrain anstimmen: „Die heutige Frauengeneration will beides haben: Karriere im Beruf und gleichzeitig Kinder.“ Frauen seien „besser ausgebildet“, sprich „zu schade“ fürs Kinderaufziehen. Sie alle, vor allem die noch immer herrschende Männerriege und die Frauen, die der Überzeugung sind, Emanzipation sei gleichbedeutend mit Erwerbskarriere, bilden sich ein, besser zu wissen, was alle Frauen wünschen. Und wenn dann 20% der Bevölkerung diese Überzeugung teilen, wird sie als allgemein gültig erklärt. Wer eine andere Ansicht vertritt, gilt als von vorgestern.

Aber wird das Getrommel wirklich allen Frauen und Männern gerecht? Und warum überhaupt kommen fast nur die Trommler öffentlich zu Wort? Warum werden nur die Themen Fremdbetreuung, Zweiverdiener-Ehe etc. politisch vertreten?

Die Wirtschaft

Die Wirtschaft braucht gut ausgebildete Arbeitskräfte, am liebsten billige. Daher bevorzugt sie Frauen, die sie noch immer günstiger „einkauft“ als die entsprechenden Männer. Zusätzlich braucht sie Frauen, um den angeblich drohenden Fachkräftemangel auszugleichen.

Dieselbe Wirtschaft, die gut ausgebildete Frauen lockt, lässt diese fallen, wenn sie nach 12- bis 36-monatiger Elternzeit wieder in dasselbe Arbeitsgebiet zurückwollen. Und das, obwohl ständig gepriesen wird, dass die durch die Kindererziehung erworbene soziale Kompetenz, Flexibilität und das Organisationstalent so wichtig seien. So fallen die Frauen – und dementsprechend auch Männer – nach einer Erziehungszeit häufig in niedriger qualifizierte Beschäftigungsverhältnisse zurück.

Das Personal von Callcentern oder Einkaufszentren aber bringt kein Gehalt nach Hause, mit dem eine vierköpfige Familie über die Runden kommt. Somit muss der Partner/die Partnerin dazuverdienen. Oft kommt es, selbst wenn beide Elternteile erwerbstätig sind, zu einer Aufstockung aus öffentlicher Hand, damit eine Familie überhaupt wirtschaftlich überleben kann. Bei Alleinerziehenden gibt es kein Zweiteinkommen und das Abgleiten unter die Armutsgrenze ist nicht selbstgemacht, sondern ein Ergebnis unseres Wirtschafts- und politischen Systems, in dessen Kalkulation das Großziehen einer nächsten Generation nicht vorkommt.

Wie lange lassen Mütter und Väter diese Diskriminierung noch zu? Einmal in der Jugend Gelerntes vergisst weder Frau noch Mann. Die während der Elternzeit erfolgten technischen, wissenschaftlichen oder gesetzlichen Änderungen lassen sich schnell aufarbeiten. Hier steckt ein ungeheures Arbeitskräftepotential, das sein Können nicht in den Windeleimer entsorgt hat. Es liegt brach, weil Arbeitgeber nicht die nötige Flexibilität besitzen, es während weniger Wochen oder Monate wieder auf den neuesten Stand zu bringen.

Die Politik

Nicht erwerbstätige Eltern gelten für den Staat als unproduktiv, obwohl sie viel arbeiten. Ihre Arbeit ist unbezahlt, also auch nicht besteuert. Das ist schon mal nicht gut für den Finanzminister! Zusätzlich entgehen ihm viel Lohn- und Mehrwertsteuern, wenn Familien keine Fertigprodukte kaufen, sondern, viel billiger, nur die Zutaten. Oder Garn und Stoff zum Selbernähen und -flicken, anstatt ständig neue Billigkleidung zu kaufen, die oft schon nach der ersten Wäsche unbrauchbar ist.

Erwerbstätige hingegen lassen Geld in die Rentenkassen fließen, aus denen die heutigen Rentner – deren Zahl und Lebensalter ständig steigen – ihr Ruhegeld beziehen. Ebenso zahlen die Erwerbstätigen Kranken- und Pflegekassenbeiträge zur Unterstützung der immer älter und kränker werdenden Bevölkerung.

Und: Je mehr Menschen immer mehr Zeit in abhängiger Beschäftigung verbringen, umso weniger Zeit bleibt ihnen, Dinge für ihren eigenen Bedarf herzustellen. So wird häufiger in Kantinen oder Restaurants gegessen und auf Fertigprodukte oder Lieferservices zurückgegriffen, Kindergeburtstage zu entsprechenden Anbietern ausgelagert. Das spült Mehrwertsteuer in die Kassen, denn bei jedem Fertigungsschritt – vom Säen über die Ernte, Zubereitung, Auslieferung und den Verkauf – entsteht ein Mehrwert, der jeweils erneut versteuert wird. Der Mehrwertsteuersatz beträgt für Lebensmittel 7%, für die meisten anderen Produkte, auch Pflegeprodukte für Kleinkinder, 19%.

Ein Beispiel für „Unproduktivität“:

Jemand sät selbst gesammelte Samen im Garten aus, pflegt die wachsende Pflanze, erntet die Früchte und bereitet eine Mahlzeit zu. Für keine der Fertigungsstufen schöpft der Staat Mehrwertsteuer ab. Die Absicht, die eigene Familie mit kostengünstigem, unbelasteten Obst und Gemüse zu versorgen, ist für den Staat also un-, wenn nicht sogar kontraproduktiv.

Dies gilt für alle selbst produzierten Waren, seien es Holzspielzeuge oder Strickpullover. Und es gilt natürlich besonders für selbst großgezogene Kinder, die nicht die Kindertagesstätte besuchen, wodurch dem Staat wiederum die Steuern entgehen, die Erzieher/innen und erwerbstätige Eltern gezahlt hätten.

Wofür braucht der Staat die Steuern?

Der größte Teil des Steueraufkommens geht in die Sozialleistungen. An zweiter Stelle steht – trotz derzeitigem Niedrigzinsniveau – die Begleichung der Zinsen für unsere hohe Staatsverschuldung.

Fest steht, dass die Schuldenlast von den jetzt erwerbstätigen Personen nicht abgetragen werden wird, sondern auf Kinder und Kindeskinder übergeht. Außerdem zeigt unser Bruttoinlandsprodukt derzeit ein sehr geringes Wachstum. Also muss der Staat zum Begleichen der Zinslast neue Steuereinnahmequellen finden. Konjunkturfördernd wirkt sich z.B. der Bau und Unterhalt von Kinderbetreuungseinrichtungen, Alten- und Pflegeheimen aus, egal ob von öffentlicher Hand oder privat finanziert und verwaltet. Baustofffirmen, Handwerker, Verwaltungseinrichtungen erwirtschaften Steuern. Und genau dieses versteckte Steuerpotential ist der Motor der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Eine Diskussion über die Fragwürdigkeit dieser Begünstigung unterbleibt. Familienfrauen und –männer glauben an das alleinige Glück durch Erwerbsarbeit, weil es ihnen konstant suggeriert wird und sie für die Kindererziehung keinerlei Wertschätzung durch Politik und Gesellschaft erfahren.

Steuererhöhungen aber sind wegen der ständig anstehenden Wahlen heikel und unpopulär, da leicht durchschaubar. So ist die Rekrutierung zusätzlicher Arbeitskräfte eine fast unbemerkt zusätzlich sprudelnde Steuerquelle.

Und die Familie?

Erwerbstätige Eltern müssen ihren eigenen Alltag und den der Kinder managen: Wege zu Kita, Schule, Sport, Musik und anderen Aktivitäten, Arztbesuche, Hausaufgaben etc. und den Haushalt. Wo bleibt daneben noch Zeit für familiäres Zusammensein und erzieherisches Stehvermögen? Durch die mehrfache Belastung haben Mütter und Väter wenig Zeit und schon gar keine Geduld für ihre heranwachsenden Kinder. Wer fragt die Kinder, wie es ihnen geht? Vielleicht fühlen sie sich zu Hause nicht gut aufgehoben und verstanden. Möglicherweise laufen sie später „Rattenfängern“ wie Salafisten oder Neonazis nach, um dort Bestätigung und eine „Familie“ zu finden.

Welche Statistik erhebt die Zunahme psychischer und physischer Krankheiten bei Jugendlichen und Müttern/Vätern, die sich zwischen Beruf und Familie zerrieben haben? Es gibt zwar extrem belastbare Mütter und Väter, aber die allermeisten haben keine solche „Rossnatur“.

Karriere?

Was verstehen wir eigentlich darunter? Aufsteigen in Positionen mit höherer Verantwortung und Ansehen? Untergebene? Mehr Geld? Wie viele Stellen gibt es für dieses Klientel? Karriere – ist das nicht doch nur etwas für Wenige?

Die meisten Arbeitsplätze werden von mittelständischen Betrieben gestellt. In Unternehmen von bis zu 20 Mitarbeitern gibt es jedoch kaum Aufstiegschancen und auch keine Gewähr, nach einer Familienzeit wieder an den alten Arbeitsplatz zurückzukehren. Bei Ortswechsel, weil z.B. der Partner in einer anderen Stadt einen Arbeitsplatz erhalten hat, gibt es dafür schon gar keine Garantie. Die Lehrberufe wie Verkäuferin, Kauffrau, medizinische Fachangestellte, Rechtsanwaltsfachangestellte und alle Berufe des Hotel- und Gaststättengewerbes sind die in Hamburg im Jahr 2011 von Frauen am meisten gewählten Ausbildungsberufe. Das gilt tendenziell für ganz Deutschland und hat sich bis heute nicht erheblich geändert. Mädchen entscheiden sich – trotz Girls‘ Day – meist bewusst für einen Beruf, der ihnen auch nach der Erfüllung des Kinderwunsches noch Perspektiven bietet. All diese Berufe bergen jedoch die Gefahr, bei erneuter Aufnahme der Erwerbstätigkeit in Billigjobs gedrängt zu werden, da 450-Euro-Jobs für den Arbeitgeber geringere Lohn- und Lohnnebenkosten bedeuten.

Die Chance, nach einer möglichst kurzen Familienzeit einen ihren Fähigkeiten entsprechenden, gut bezahlten, wohnortnahen Arbeitsplatz zu erhalten, haben derzeit nur Arbeitnehmerinnen in technischen Berufen. Die anderen müssen sich meist mit Arbeitsplätzen abfinden, die sie unterfordern, schlecht bezahlt oder deren Arbeitszeiten nicht familiengerecht sind.

Die daraus resultierende Unzufriedenheit wirkt sich auf die Kinder ebenso belastend aus, wie die Unzufriedenheit sich unausgefüllt fühlender Vollzeitmütter/-väter. Die Wissenschaftlerinnen, Managerinnen, Journalistinnen, Unternehmerinnen, die oft kinderlos sind oder Familie und Beruf problemlos vereinbaren, bilden in unserer Bevölkerung nur einen winzigen Prozentsatz. Wer also propagiert die Vereinbarkeit? Politiker/innen mit Hochschulabschluss, akademisch gebildete Journalist/innen, die mit dem realen Alltag eines Lagerverwalters und einer Kassiererin nicht vertraut sind. Diese Politiker/ innen vertreten uns schon lange nicht mehr.