Blick über die Grenze
von Thea Philipp-Schöllermann
An Bänz Friedli, Kolumnist des Migros-Magazins, der als bekanntester Schweizer Hausmann seit neun Jahren über die Leiden und Freuden des Familienarbeitsalltags schreibt, wird im Mai 2015 der „Salzburger Stier“, die wichtigste Auszeichnung für Kleinkunst im deutschsprachigen Raum, verliehen.
Auf die Frage, ob der Hausmann in seinen Texten eine Kunstfigur sei, antwortete er:
Definitiv nicht. Ich schreibe zwar nicht alles. Aber alles, was ich schreibe, ist wahr. Ich war vor der „Hausmann“-Kolumne Hausmann, bin es und werde es bleiben. In der Kolumne habe ich von Anfang an versucht, in der kleinen Welt die große zu spiegeln. Der Hausfrauenalltag ist nämlich nicht banal. Wir treffen dauernd politische Entscheide. Wer Kinder aufzieht, gestaltet die Welt von morgen. Wenn das gesellschaftlich nicht relevant ist, was dann?(1)
Recht hat er. Nur – aus dem Mund von Millionen von Müttern interessiert dies niemanden. Schließlich gilt Erwerbsarbeit als das Maß aller Dinge.
Wir gratulieren trotzdem!
————————————————————————————————————————————Frauenquote, Fairtrade und Familienarbeit
von Ulrike Brandhorst
Obenstehendes Zitat von Bänz Friedli, Hausmann, Autor und Kabarettist, sorgte in der Fh-Redaktion für eine spannende Diskussion. Zum Beispiel, inwieweit Konsumenten überhaupt freie Entscheidungen beim Einkauf treffen können.
„Schaut Euch die wachsenden Regalmeter mit Halbfertig-Ware in den Supermärkten an, die Dosenberge, die Kühlregale, die in Gläsern angebotenen, geschälten und gegarten Kartoffeln. WER kauft das denn? Und wer tut das aus freier Entscheidung? Das Kochen, wenn es überhaupt noch zuhause geschieht, muss schnell gehen. Gelernt wurde es nur in Ansätzen – wenn überhaupt. Wir sollten uns da nichts vormachen in Sachen Freiheit der Entscheidung.“ Ein Argument, das zunächst überzeugend klingt, vor allem, wenn man die von einem weiteren Familienverbandsmitglied eingeworfene Bemerkung berücksichtigt, dass selbst in Bio-Supermärkten, in denen man ja aufgeklärte und engagierte Konsumenten erwartet, die Regale von Convenience-Produkten nur so überquellen. Aber gerade die Richtigkeit dieser Argumente bestätigt Friedlis Ansicht: Nur, wer sich Zeit nimmt für die Haushaltsführung, kann beim Einkaufen die Welt gestalten.
Privathaushalte – Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft
Zeit ist der bestimmende Faktor. Eine Mutter, die nach dem dritten Kind von der Erwerbstätigkeit nach Hause gewechselt ist und deren Kinder nun zu Hause und nicht mehr in der Kita essen, ist erstaunt, wie viel Zeit sie in der Küche verbringt. Wenn man Einkäufe, Zubereitung – und zwar von frischen Lebensmitteln und nicht von Halbfertigprodukten, das Mittagessen selbst und dann noch das Aufräumen danach zusammenrechnet, kommt man locker auf zwei bis drei Stunden pro Tag, die nur für das Mittagessen eingeplant werden können. Dafür haben die meisten tatsächlich keine Zeit, eben weil sie erwerbstätig sind und die Hausarbeit nebenher laufen muss. Die Möglichkeit, einen Haushalt geplant und überlegt zu führen, haben vor allem diejenigen, die dies hauptberuflich tun. Und das beschränkt sich nicht nur auf das Thema Essenzubereitung: Wer zum Beispiel durch seinen Einkauf die Geschäfte vor Ort unterstützen oder im Eine-Welt-Laden einkaufen will, muss auch zu deren Öffnungszeiten dort hingehen können. Die Zeit fehlt den meisten Menschen, die ihren Haushalt als Nebentätigkeit führen.
Im Laufe der Diskussion kam sogar die Überlegung auf, ob dieses „keine Zeit mehr haben für einen kritischen Einkauf“ ein erwünschter Nebeneffekt der Kinder-Kollektiv-Betreuung und der angestrebten Vollerwerbstätigkeit beider Eltern ist, weil das ja „die Wirtschaft“ stärkt. Ob gewollt oder nicht – wer keine Zeit für die Haushaltsplanung hat, kann nur schwerlich kritisch konsumieren. Wobei das Zeit-Haben natürlich auch immer ein Sich-Zeit-Nehmen ist. Nur, weil jemand zu Hause bleibt, wird er nicht gleich zu einem kritischen Konsumenten. Das wird er nur, wenn er diese Entscheidung bewusst trifft. Gleiches gilt für Menschen, die ihren Haushalt nebenher führen: Wenn sie über ein hohes Bewusstsein und eine exzellente Organisation verfügen, wird es auch ihnen gelingen, ihren Haushalt nachhaltig und gesund zu führen. Doch wer schafft das schon?
Versorgungs- und Erziehungsauftrag der Eltern
Eine wichtige Grundlage für nachhaltiges Wirtschaften ist das Wissen – neudeutsch: Information. Auch zum Erwerb von Wissen muss man sich Zeit nehmen. Meine Großmutter, die damals noch wegen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umstände in ihre Rolle als Vollzeithausfrau geschlüpft war, füllte diese sehr bewusst aus. Ihr war das Talent zum Nähen, Kochen, Backen, Ordnen, Säubern und für die unzähligen anderen kleinen und großen Tätigkeiten, die die Haushaltsführung ausmachen, nicht in die Wiege gelegt worden. Sie hatte sich dieses Können und Wissen im Laufe der Jahrzehnte angeeignet und es immer auf dem neuesten Stand gehalten. Als wir Enkelkinder zu Vegetariern wurden und viele jüngere oder gebildetere Menschen als meine Großmutter die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, begann diese sich über vegetarische Ernährung zu informieren. Und nachdem sie festgestellt hatte, dass uns keine Gefahr für Leib und Leben drohte, suchte, fand und kochte sie die köstlichsten vegetarischen Mahlzeiten für uns.
Nach ihrem Vorbild habe ich mich, vor allem seit ich Vollzeithausfrau bin, auf zahlreichen Gebieten der Haushaltsführung immer weitergebildet und zahlreiche Bücher über Ernährung, Ordnung und Sorgearbeit gelesen und das Gelesene mit sehr angenehmen Nebeneffekten umgesetzt. Ich bin sehr stolz, wenn eine Freundin mit abgeschlossener Kochausbildung zu mir sagt: „Wenn ich wirklich etwas über ein bestimmtes Lebensmittel wissen möchte, dann komme ich zu Dir.“ Bio ist eben nicht immer bio. Was als „grün“ oder „öko“ angeboten wird, ist nicht immer nachhaltig. Nur nach einem Etikett kann man ein Produkt nicht beurteilen. Recherchearbeit ist angesagt. Meine Kinder sehen mit mir Dokumentationssendungen über Kleiderherstellung, Tierhaltung oder Müllprobleme. Die Kleine versteht das natürlich erst in Ansätzen, aber die Große weiß, warum wir Eier nur beim Bauern hier vor Ort holen, und kauft gerne im Second-Hand-Laden oder bei Oxfam(2) ein. Weil wir Möbel, Kleider und Gebrauchsgegenstände oft aus zweiter Hand kaufen oder geschenkt bekommen, haben wir auch genug Geld, beim Essen auf „regional und bio“ zu setzen, und zwar nicht auf das Discounter-Bio, das den Grundgedanken des ökologischen Wirtschaftens auf den Kopf stellt.
Und so sind wir wieder bei Friedlis Aussage zu Hausfrauen- bzw. Familienarbeit: „Wir treffen dauernd politische Entscheidungen, z.B. beim Einkaufen. Wer Kinder aufzieht, gestaltet die Welt von morgen. Wenn das gesellschaftlich nicht relevant ist, was dann?“
Frauenquote? – Anerkennung von ‚Frauenberufen‘!
Nach allen Überlegungen kann man ihm recht geben. Und damit zu einer weiteren Überlegung gelangen, die ebenfalls Diskussionsthema in der Redaktionsrunde war: Inwieweit ist das Thema Frauenquote relevant für den Verband Familienarbeit?
Vielleicht in dem Sinne, dass in den gesellschaftlich relevanten Berufen schon heute die Frauenquote sehr viel höher ist als der Männeranteil. Frauen sind allen Bereichen der Sorgearbeit – Familie, Kindergärten, Grundschulen, Krankenhäuser, Pflegeheime usw. – überrepräsentiert.(3) Wer eine Frauenquote fordert, allein damit einige „Top-Frauen“ mehr Einfluss gewinnen, hat nichts begriffen. Mehr Anerkennung – auch finanzieller Art – für diejenigen, welche gesellschaftliche relevante Tätigkeiten ausführen, wäre der richtige Ansatz.
Fußnoten:
(1) Quelle: http://www.migrosmagazin.ch
(2) Oxfam ist eine unabhängige, internationale Entwicklungsorganisation, die weltweit Menschen mobilisiert, um Armut aus eigener Kraft zu überwinden. ‚Oxfam‘ steht für Oxford Committee for Famine Relief (engl.: famine relief = dt.: der Hungersnot Abhilfe leisten). Das Komitee wurde 1942 in Großbritannien als Reaktion auf das Leid der Zivilbevölkerung im von Deutschland besetzten Griechenland gegründet. In den derzeit 47 deutschen Oxfam Shops verkaufen ehrenamtliche MitarbeiterInnen gespendete Secondhand-Waren. Die Erträge kommen der entwicklungspolitischen Arbeit von Oxfam Deutschland zugute. Mehr Infos unter http://www.oxfam.de
(3) „Drei Viertel der Erwerbstätigen in Gesundheits- und Pflegeberufen am Zensusstichtag 9. Mai 2011 waren Frauen. Der hohe Frauenanteil wird durch Erwerbstätige mit den Anforderungsniveaus Hilfskräfte, Fachkräfte und Spezialisten geprägt. Bei den Fachkräften waren sogar 85,8 % Frauen.“
Zitat aus: Matthias Eisenmenger, Christiane Loos, Dirk Sedmihradsky: Erwerbstätigkeit in Deutschland – Ergebnisse des Zensus 2011, S. 557. Hrsg. Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, September 2014.
Quelle: https://www.destatis.de