Beschwerde zum Elterngeldgesetz vom EGMR abgewiesen (Fh 2015/3)

von Johannes Resch

Am 31. Juli 2014 wurde mit Unterstützung des Verbandes Familienarbeit e.V. eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die Berechnung des Elterngeldes nach dem ab 2007 geltenden Elterngeldgesetz (BEEG) eingelegt. Sie wurde durch eine große Spendenaktion der Mitglieder und Freunde unseres Verbandes finanziert.

Beschwerdeführerin war eine Mutter, die nach einer ersten Geburt im Oktober 2004 ein weiteres Kind im August 2008 geboren hatte. Weil sie im Jahr vor der zweiten Geburt wegen der Betreuung ihres ersten Kindes nicht erwerbstätig war, erhielt sie nur den Mindestbetrag an Elterngeld von 300 €/Monat, während eine im Jahr vor der Geburt erwerbstätige Mutter den bis zu 6-fachen Betrag als Elterngeld (1800 €/Monat) erhält. Sie sah eine Verletzung von Art. 3 Abs.1 GG (Gleichheit vor dem Gesetz), wenn ihre Entscheidung, zugunsten der Betreuung ihres Kleinkindes auf Erwerbstätigkeit zu verzichten, zum Anlass genommen wird, ihr Elterngeld auf den Mindestbetrag zu reduzieren. Sie sah weiter eine Verletzung von Art. 6, Abs. 1 und 2 GG (Schutz der Familie, Erziehungsrecht der Eltern), wenn die Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts zu einer Diskriminierung bei der Berechnung ihres Elterngeldes führt.

Diese Auffassungen werden vom Verband Familienarbeit in vollem Umfang mitgetragen, zumal das Elterngeld nicht aus einkommensabhängigen Beiträgen finanziert wird, wie etwa das Krankengeld oder das Arbeitslosengeld, sondern aus Steuern. Eine Kopplung des Elterngeldes an das vorangegangene Erwerbseinkommen ist somit schon grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Das gilt um so mehr, wenn der Verzicht auf Einkommen im Interesse der Betreuung eines Kindes erfolgt.

Die Beschwerdeführerin hatte zuvor den vollständigen „Rechtsweg“ durchlaufen: Widerspruch bei der Behörde, Klage vor dem Sozialgericht, Berufung beim Landessozialgericht, Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht.

Eine besondere Brisanz des Verfahrens besteht darin, dass, nachdem die Klägerin im Rahmen eines Erörterungstermins beim bayerischen Landessozialgericht ihre Zustimmung zu einem Urteil durch den Einzelrichter gegeben hatte, dieser versuchte, die Klägerin zu erpressen, ihre Berufung zurückzuziehen, indem er ihr für den Weigerungsfall eine Strafgebühr androhte. Da sie darauf nicht einging, wurde diese tatsächlich in Höhe von 500,- € verhängt.

Berufungsverhandlungen vor einem Landessozialgericht erfolgen üblicherweise mit mindestens drei Richtern. Der Einzelrichter missbrauchte die gutwillige Zustimmung der Klägerin zu einer Einzelrichterentscheidung zu einem Erpressungsversuch mit anschließender Strafe. Diese erfolgte unter Hinweis auf einen Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in anderer Sache, der aber – im Gegensatz zu Urteilen des BVerfG – für andere Gerichte nicht bindend ist. Die Klägerin wurde also nur deshalb bestraft, weil sie auf ihrem Recht zu einer Fortsetzung ihres Verfahrens bestand. Der Vorwurf der Mutwilligkeit war abwegig.

Trotz dieser Hintergründe ist das BVerfG weder auf das inhaltliche Anliegen eingegangen, noch hat es die offensichtliche Verletzung eines fairen Verfahrens durch die Vorinstanz zur Kenntnis genommen: Die Verfassungsbeschwerde wurde ohne Begründung „nicht zur Entscheidung angenommen“. Damit war der Rechtsweg in Deutschland erschöpft.

Da die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Artikel 8 und 14 ähnliche Bestimmungen enthält wie die Artikel 3 und 6 des  deutschen Grundgesetzes, hat unser Verband nun eine Beschwerde  beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befürwortet und unterstützt. Außerdem wurde die Verletzung des Art. 6  EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) geltend gemacht.

Am 6. Juli 2015 ging beim beauftragten Rechtsanwalt als Reaktion  auf die Beschwerde ein Schreiben ein, das für sich selbst spricht.  Deshalb zeigen wir es hier im vollem Wortlaut. Mit keinem Wort wird auf die Inhalte der Beschwerde eingegangen. Es wird lediglich  behauptet, „dass die in Artikel 34 und 35 der Konvention niedergelegten Voraussetzungen nicht erfüllt waren.“ Nähere Angaben dazu  finden sich nicht. Auch die Art. 34 und 35 EMRK dokumentieren wir in voller Länge. Die dort geforderten formalen Voraussetzungen (Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges, Einhaltung der Frist  u. a.) waren sämtlich erfüllt. Es wird nicht angeführt, welche der Voraussetzungen angeblich nicht erfüllt seien. Die „Entscheidung“ sei endgültig. Eine Berufung sei nicht möglich.

Nachdem das Schreiben keinerlei inhaltliche Aussage enthält und  auch nichts darüber aussagt, welche formalen Fehler vorlägen, hat  der von uns beauftragte Rechtsanwalt inzwischen ein Schreiben an den Präsidenten des  EGMR mit der Bitte um Erläuterung gerichtet. Ob eine Antwort eingeht, ist ungewiss.

Politische Bewertung

Auf den unbefriedigenden Umgang der deutschen Justiz einschließlich des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit dem Elterngeldgesetz wurde in „Familienarbeit heute“  bereits mehrmals eingegangen (Grundgesetz auf dem Abstellgleis,  Fh 1/2013; Leben wir in einem Rechtsstaat ?, Fh 3/2014). In einem  Beschluss (1 BvR 1853/11; im Internet unter http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2011/11/rk20111109_1bvr185311.html zu finden) hatte sich eine Kammer des Gerichts  (drei Richter/innen) kritiklos der Gleichstellungsideologie der Bundesregierung angeschlossen, die unser Verband für unvereinbar mit  Art. 3 und Art. 6 des Grundgesetzes hält.

Zitat aus Randnummer 18 des obigen Beschlusses: „Die mittelbar angegriffene Regelung (Anm. Red.: des Konzepts  des Elterngeldes als Lohnersatz) ist zudem im Hinblick auf den Verfassungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt. Art. 3 Abs. 2  Satz 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchzusetzen  und überkommene Rollenverteilungen zu überwinden (stRspr; vgl.  BVerfGE 92, 91 <112 f.>). … “

Diese Formulierung ist unmissverständlich. Ins Umgangsdeutsch übersetzt kann das nur heißen:  Wer als Mutter (oder Vater) seine Kinder selbst betreuen will, verwirkt das Recht auf Gleichberechtigung.  Jede/r hat sich an der Gleichstellungsideologie zu orientieren, nach  der eine gleiche Verteilung der „Rollen“ auf beide Geschlechter  zu erfolgen hat. Die Kammer versucht diese Bevormundung sogar  noch durch die „ständige Rechtsprechung“ zu stützen. Das angegebene Urteil bezieht sich aber auf die Benachteiligung von Männern durch eine Feuerwehrabgabe nur für Männer. Es hat also zu der hier  gegenständlichen Aufteilung von Erwerbs- und Erziehungsarbeit innerhalb einer Familie gar keinen Bezug.

Aber was ist nun eigentlich die Grundlage für diese krude Gleichstellungsideologie, die inzwischen auch im BVerfG zur Richtschnur geworden ist ? Als ideologischer Hintergrund kann nur das tief in der Vergangenheit wurzelnde Überlegenheitsgefühl der Männer angesehen werden, nach dem alles, was überwiegend die Frauen tun, „weniger wertvoll“ ist. Nach dieser Logik ist dann Gleichberechtigung  nur möglich, wenn die „weniger wertvollen“ und die „wertvollen“ Arbeiten zwischen den Partnern gleich verteilt werden. Aber selbst,  wenn diese Logik zuträfe, würde durch dieses Konzept lediglich die Benachteiligung der Mütter durch die Benachteiligung beider Eltern ersetzt, die ja der vorgeblich „weniger wertvollen“ Erziehungsarbeit  nicht ausweichen können.

Obwohl diese Ideologie heute bevorzugt von oft kinderlosen Karrierefrauen vertreten wird, ist doch ihr patriarchaler Ursprung unverkennbar. Auch die deutsche Familienministerin tut alles, um sie zu  untermauern. Sie übersieht aber, dass die Fremdbetreuung schon der einjährigen Kinder als Voraussetzung für die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ für viele Eltern eine Zwangsjacke ist. Sie ist  unvereinbar mit dem verfassungsrechtlich garantierten Elternrecht,  über die Art der Kindererziehung selbst zu bestimmen. Leider sind  viele Eltern nicht mutig genug, sich gegen diese Gängelei zu wehren, was freilich nur auf politischem Weg möglich ist.

Aber was hat das alles mit der von uns mitgetragenen Beschwerde in Straßburg zu tun? Der EGMR ist ein Gericht des Europarates, in  dem auch Länder vertreten sind, in denen die Gleichstellungsideologie deutscher Prägung noch nicht so stark  verankert ist. Es war also nicht von vornherein abzusehen, dass wir auch beim EGMR  wieder auf dieselbe gleichstellungsfixierte  Voreingenommenheit stoßen würden, wie  wir das inzwischen in Deutschland gewohnt sind. Wir haben uns also keine Vorwürfe zu machen, dass wir das Risiko eingegangen sind. Erst durch die Beschwerde in Straßburg konnte geklärt werden, dass auch auf diesem  Weg eine Gleichberechtigung der Eltern, die ihre Kinder länger als  ein Jahr selbst betreuen wollen, derzeit keine Chance hat.

Was lernen wir daraus?

Es bleibt für uns kein anderer Weg, als uns auf politischer Ebene weiter mit der regierungsamtlichen und von unserem Rechtssystem  gestützten Gleichstellungsideologie, die Eltern bevormundet und ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt, auseinanderzusetzen. Wir müssen das noch deutlicher als bisher tun, zumal viele Eltern noch gar  nicht begriffen haben, wie ihre Grundrechte immer weiter eingeschränkt werden.

Die gegenwärtige deutsche Gleichstellungsideologie gibt vor, mehr Gleichberechtigung durch gleiche Teilhabe aller Eltern am Erwerbsleben zu erreichen. Tatsächlich werden Mütter und  Väter aber durch entsprechende Gesetze und einseitige, massive Förderung der Fremdbetreuung bevormundet, das Kindeswohl gefährdet sowie der familiäre und gesellschaftliche Zusammenhalt untergraben. Fazit: Gleichberechtigung ist nur durch die  finanzielle Gleichstellung elterlicher Erziehungsarbeit mit herkömmlicher  Erwerbsarbeit erreichbar.

Auf Wunsch können alle Schriftstücke des Verfahrens in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt werden.