Ein Beitrag von Monika Bunte
Auf Spielplätzen werden neuerdings Wippen mit Gegengewicht installiert, weil sich die Wippe ohne Spielpartner vom Einzelkind schlecht bewegen lässt. –
Dafür bewegt sich viel im Bundesfamilienministerium bei Renate Schmidt. Die Ministerin hat es zurzeit nicht nötig (O-Ton Schmidt), "nackig durch den Reichstag zu rennen", um dem Stichwort Familie Aufmerksamkeit in der öffentlichkeit zu sichern. Die Diskussion um das Demografie-Fiasko hat es mit sich gebracht, dass viele Medienberichte sich den Themen Kinderbetreuung und Elterngeld widmen. Wie sind die beiden miteinander verknüpft und wie sind sie zu bewerten?
Die Prüfaufträge des Familienministeriums sind schon zahlreich, … die Kinder sind es noch nicht. Die Studie (1) von Prof. Bernd Rürup hält fest, dass es bei Akademikerinnen um die zu hohen "Opportunitätskosten" geht. Das sind die Kosten, die durch Erwerbsunterbrechung, Einkommensverlust und Einbußen in der Alterssicherung entstehen. Ferner weist die öffentliche Betreuung der unter Dreijährigen gewaltige Defizite auf, besonders im Westen Deutschlands. Daher wird es ein "Tagesbetreuungsausbaugesetz" geben, dessen erste Lesung der Bundestag schon im September hinter sich gebracht hat. Genau genommen ist es die Aufgabe der Länder und Kommunen, Investitionen in dem Bereich Krippen für unter Dreijährige zu finanzieren. Die Ministerin stellt in Aussicht, die Einsparungen durch Hartz IV (2) bei der Zusammenlegung und Zusammenstreichung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe bei den Kommunen zu belassen, so dass sie Mittel für die Finanzierung der Betreuungsplätze hätten. Hier hakt die CDU/CSU ins Wahlkampfthema der SPD ein und weist darauf hin, wie unseriös diese Art von Finanzierung sei.
Das Tagesbetreuungsausbaugesetz soll bewirken, dass sich mehr junge Paare als bisher vor allem zunächst einmal fürs erste Kind entscheiden. Bislang ist Deutschland führend in der Anzahl der kinderlosen Frauen. Zwanzig Prozent sind es bei den Haupt- und Realschülerinnen, vierzig Prozent bei Akademikerinnen. Letztere gehören zu den "bildungsnahen" Schichten", in denen es nicht nur um Schulbesuch, sondern auch um die Heranführung an Musik, Literatur, Kunst und Kultur geht. Da scheint viel wegzubrechen, wenn der Nachwuchs fehlt. Mit einer zuverlässigen Tagesbetreuung durch Krippe oder Tagesmutter – sagt die Ministerin – kann der Erwerbsberuf beibehalten werden.
Es wird alles ganz famos: die Wirtschaft behält ihre gut ausgebildeten Kräfte im Erwerbsbereich. Die familienpolitischen Leistungen brauchen nicht ausgebaut zu werden, denn wenn die Eltern beide verdienen, können sie die Betreuung gefälligst bezahlen. Sie können sogar noch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Und außerdem gibt es viele neue Erwerbsarbeitsplätze im Betreuungsbereich. In den kommenden fünf Jahren sollen es 90 % sein, davon ein Drittel für Tagesmütter. Da können dann die Startchancen fremder Kinder PISA-gerecht verbessert werden. Leider, leider gibt es zu wenige Männer (3) in den Kindergärten und Tageseinrichtungen. Zu spät im Kinderleben tauchen männliche Bezugspersonen auf. Da gibt es schon wieder nachweisbare Defizite. "Diese Berufe dürfen für Männer finanziell und vom Image her nicht so unattraktiv sein", sagt eine Fachfrau.
Dauernd ist von kinderlosen Frauen die Rede. Die andere Seite der Medaille zeigt, wie schwer sich die Männer mit der Elternschaft tun. Die Datensammler interessierten sich bislang kaum für die "Fortpflanzung" bei den Männern. Mit einer Zusatzumfrage bei einer Studie (4) hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung herausgefunden, dass am Anfang dieses neuen Jahrhunderts ein Drittel der Männer über 20 Jahre kinderlos war. Nun ist das Alter von zwanzig Jahren wahrlich kein Maßstab für lebenslange Kinderlosigkeit. Deshalb ist es aussagefähiger, Männer ab 45 ins Visier zu nehmen. Und siehe da: gut 15 % haben weder Tochter noch Sohn, bei Akademikern sind es fast 50 %. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland: im Osten ist die Zahl der kinderlosen Männer geringer als im Westen. – Es wird wohl so sein, dass der fehlende Kinderwunsch bei Männern für Frauen nicht gerade ermutigend ist, wenn es um die Entscheidung "pro Kind" geht.
Wie kann man Väter dazu bringen, ihre Erwerbsarbeit zu unterbrechen? Renate Schmidt blickt nach Schweden mit seinem Papa-Modell. Mindestens zwei, demnächst sechs Monate muss dort der Vater als zweiter Elternteil übernehmen, wenn das Elterngeld voll ausgeschöpft werden soll. Angeblich wird der Papa-Urlaub besonders gern im September genommen. Dann ist in Schweden Elchjagd.
Das "Tagesbetreuungsausbaugesetz" wird umrankt von überlegungen zu steuerlichen Erleichterungen bei den Kinderbetreuungskosten auf Elternseite und auf Unternehmerseite, sowie den Anstrengungen zum Ausbau von Ganztagsschulen. Dieses Rankenwerk ist insofern begrüßenswert, als es endlich sichtbar macht, wie teuer Kinderbetreuung ist.
Vor allem aber ist folgendes im Busch: die Umwandlung des pauschal gezahlten Erziehungsgeldes in ein einkommensabhängiges Elterngeld. Folgender Vorschlag geht vom Familienministerium aus: die Elternzeit könne bleiben (drei Jahre), die Zeit, in der nach der Lohnhöhe gefördert würde, verkürzte sich auf 14 Monate.
Das bedeutet – wir können es nicht oft genug wiederholen – Männer bekommen für die gleiche Familienarbeit mehr als Frauen, weil sie im Allgemeinen mehr verdienen. Außerdem würde ja eine Kassiererin wesentlich weniger als eine Akademikerin bekommen. Es geht nicht um die Arbeit "am Kind", sondern um die Arbeit an Kasse oder Schreibtisch. Wie aus der Dinosaurierzeit tönt der alte Gewerkschaftsspruch "gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Genau hier bei der Familienarbeit wäre für Frau und Mann gleicher Lohn angebracht, der dem Wert und der Würde der Arbeitenden und der Arbeit angemessen ist, entsprechend unserem "Gehalt für Familienarbeit". Aber davon ist das Elterngeld äonenweit entfernt. Das Argument der Familienministerin ist, dass sich dann Gutverdienende für ein Kind oder Kinder entscheiden können.
Wie sieht die Finanzierung des Elterngeldes aus? Hier wird die ganze Sache zur Luftnummer. Kennzeichnend für Deutschland sind dem Rürup-Gutachten zufolge geringe Ausgaben für die Dienstleistung "öffentliche Betreuung" und hohe Transferzahlungen. Zu Lasten von Kindergeldzahlungen könnten Geldquellen für das Elterngeld und die öffentlichen Betreuungseinrichtungen erschlossen werden. – Kindergeldzahlung ist zu großen Teilen Steuerfreistellung des Existenzminimums. Diese Freistellung ist höchstrichterlich erstritten. Sie steht überhaupt nicht zur Disposition der Familienministerin. Weiß Renate Schmidt das denn wirklich nicht?
Ferner muss einmal knallhart drauf hingewiesen werden, dass es überhaupt keinen eindeutigen, wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen Kinderhaben und öffentlicher Betreuung gibt (5). Ein Bundesland wie Thüringen hat hervorragende
öffentliche Betreuung, aber nicht zwangsläufig mehr Nachwuchs. Bei den europäischen Ländern, auf die immer verwiesen wird (Skandinavien, Frankreich), spielen andere Faktoren eine Rolle bei der höheren Anzahl erwerbstätiger Frauen und der höheren Kinderzahl. Frankreich zum Beispiel hat Familien vom dritten Kind an massiv gefördert. Das sind zu einem großen Teil Einwandererfamilien, worüber man in der Politik nicht gar so glücklich ist. In einer Untersuchung von 2002 zur Rolle der Kinderbetreuung für das individuelle Geburtenverhalten wird formuliert, solche Studien seien selten und lieferten darüber hinaus wenig eindeutige Ergebnisse.
Aber es wird ein Blick auf das soziale Netzwerk riskiert: die Nähe einer Großmutter hat in Westdeutschland einen signifikanten positiven Einfluss auf die Geburt des ersten Kindes: "Wohnt die Mutter der Befragten im selben Ort, erhöht sich die übergangsrate zum ersten Kind um etwa 30 %."
Es ist wie bei anderen Themen auch: wenn die Fragen anders gestellt werden, fallen die Antworten auch anders aus. Die Frage könnte auch lauten: Fürchten die zukünftigen Mütter den Verlust der finanziellen Eigenständigkeit und die finanzielle Abhängigkeit vom Partner? Oder, um beim Thema des vorigen Absatzes in den verwandtschaftlichen Zusammenhängen zu bleiben: Sind die Generationen einer Familie in Deutschland geografisch vielleicht weiter auseinander gerückt als in anderen Ländern Europas? Wo wohnen die Omas?
Kinderkrippen sind nach wie vor eine kaum akzeptierte Alternative zur elterlichen Betreuung. Auch Kinderärzte und Neurologen männlichen und weiblichen Geschlechts richten den Blick voller Skepsis auf die "Bindungsfähigkeit" der kleinen Mädchen und Jungen. Häufig wechselnde Bezugspersonen verwirren.
Ganz aktuell ist die Allensbach-Studie (6) des Landes Baden-Württemberg über die Einflussfaktoren auf die Geburtenrate vom Oktober 2004. Danach wünscht sich die große Mehrheit der Deutschen eigene Kinder. Ausschlaggebend für die Realisierung dieses Kinderwunsches sind weniger die garantierten Betreuungsmöglichkeiten, sondern persönliche, berufliche und finanzielle Gründe. (Verblüffenderweise stellt Allensbach beim Thema "Hilfe für Familien" nicht die Frage nach einem Entgelt für Erziehungsarbeit.) Da in Deutschland die "Familienphase" auf Ausbildung, Studium und Berufseinstieg folgt, wird der Kinderwunsch immer weiter hinausgeschoben. Kinder sind dann vorgesehen, "wenn sie sich mit den übrigen Plänen gut vertragen". Nach Ansicht von Ministerpräsident Teufel sind Betreuungsplätze nicht die einzige Lösung. Es müsste auch kürzere Ausbildungs- und Studienzeiten geben, um das enge Zeitfenster zu
erweitern. Die Wirtschaft müsste bessere Möglichkeiten finden, um Frauen einen
beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, obwohl sie Familienaufgaben haben. – In den Augen der Familienministerin Renate Schmidt spricht die Allensbach-Studie nicht gegen den Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung.
JA, es muss mehr Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige geben. Wenn es für Erwerbstätige und für Nicht-Erwerbstätige ein Gehalt für Familienarbeit gibt, kann damit der Betreuungsplatz finanziert werden. Er braucht dann nicht öffentlich subventioniert zu werden. Für die nicht erwerbstätige Person ist es die Bezahlung der eigenen Leistung. JA, der Wunsch, die Erwerbsarbeit beizubehalten, ist legitim. JA, es muss mehr Ganztagsbetreuung während der Schulzeit und auch während der Ferien geben. JA, es muss mehr Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann bei der Familienarbeit geben. JA, aber … es muss auch Wahlfreiheit geben für die, die auf
der Basis eines Gehalts für Familienarbeit das Verfassungsrecht beanspruchen, ihren Betreuungs- und Erziehungsauftrag selbst wahrzunehmen. Diese Mütter (und wenigen Väter) mit ihren Kindern sind es, die im Regen stehen, während auf die öffentlich subventionierten Krippenplätze, die die Abwesenheit der Eltern von ihren Kindern ermöglichen, die Sonne scheint.
Quellenangaben:
1) "Nachhaltige Familienpolitik", Studie Bernd Rürup für das Bundesfamilienministerium 2004
2) "Mehr als nur Geld", DIE ZEIT, 23.9. 2004
3) "Männer in die Kindergärten", Süddeutsche Zeitung, 10.9. 2004
4) "Die Regionen driften auseinander", Dt. Institut für Wirtschaftsforschung, Sommer 2004 und
FAZ, 2.1. 2004
5) "Kinderbetreuung und Fertilität in Deutschland", Dt. Institut für Wirtschaftsforschung 2003
6) "Einflussfaktoren auf die Geburtenrate",
Allensbach-Studie Oktober 2004