Was macht eine Tätigkeit zum Beruf? (Fh 2015/2)

Ein Plädoyer für eine gerechtere Vereinbarkeit und Wertschätzung von Erwerbs- bzw. Familienarbeit und gegen staatlichen Gender-Dirigismus
© Dr. Albert Wunsch

Diskussionen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind ein Dauerbrenner, auch wenn sie trotz vehementer Positionsverdeutlichung häufig recht wirkungslos bleiben. Dabei prallen nicht selten politische Programmatiken, Arbeitsmarktinteressen, finanzielle Implikationen, Konsumansprüche und lautstark eingebrachte Gender-Mainstream-Ideologien aufeinander. Welche Wirkung die zu treffende Entscheidung auf die Erziehungs- und Bildungsqualität der Kinder hat, wird dabei entweder ausgeklammert oder viel zu wenig berücksichtigt. Parallel dazu findet – manchmal recht emotional – eine Auseinandersetzung darüber statt, wer denn von den Ehe- oder Lebenspartnern in welchem Umfang für das finanzielle Einkommen bzw. für das familiäre Auskommen zu sorgen hat.
Da gibt es die lautstark vertretene Richtung: ‚Raus aus dem Haus, nur eine Berufstätigkeit gibt Zufriedenheit und Anerkennung‘.
Die stillere Variante lautet: ‚Kinder brauchen über den Tag verteilte, kontinuierliche Beziehungszeit‚ berufliche Karriere ist nicht alles, aber die Bedingungen für die Familientätigkeit sind massiv zu verbessern‘.

Immer häufiger gipfelt die Kontroverse in der Entscheidung, meist zum Leidwesen der Kinder, dass Väter und Mütter – selbst schon von Säuglingen – ganztägig einem Job nachgehen. Dass Eltern zu oft von einem Einkommen nicht leben können, wirft auch die Frage auf, wie Familien eine bessere finanzielle Grundausstattung ermöglicht werden kann. Um aus dieser vertrackten Polarisierung herauszukommen, steht neben verbesserten Wiedereinstiegschancen nach Erziehungsphasen und familienfreundlicheren Rahmenbedingungen innerhalb des Erwerbslebens auch eine Neubewertung innerhäusiger und außerhäusiger Arbeit von Vätern und Müttern an.

Nur wenn mehr oder weniger kräftig der Euro rollt, ist Arbeit etwas wert
Zu Letzterem ist jedoch viel Denkakrobatik notwendig, denn es gilt, die bisher nicht geklärte und in politischen Diskussionen gezielt ausgeklammerte Knobelfrage zu beantworten, durch was Arbeit zum Beruf wird:

  • Putzen in einer Reinigungskolonne, Haushaltsführung in der Managervilla, in der Kita Kinder erziehen, im Altenheim kranke Menschen pflegen, dies sind eindeutig Berufstätigkeiten.
  • Werden im eigenen Haushalt Zimmer gesäubert, schmackhafte Malzeiten aufgetischt, Kinder erzogen, die Großmutter gepflegt, so ist das – auch eindeutig – keine Berufstätigkeit.
  • Werden von zuhause Versicherungen gemakelt oder Werbekonzepte für Firmen erstellt = klare Berufstätigkeit.
  • Werden außer Haus Wohltätigkeitskonzerte oder die tägliche Lebensmittelausgabe für Nichtsesshafte und andere Bedürftige organisiert: klar, keine Berufstätigkeit.

Die Fakten sprechen für sich, das Grübeln kann eingestellt werden, die Antwort ist eindeutig. Auch wenn häufig die ach so erfüllende Berufstätigkeit im Gegensatz zur Hausarbeit unterstrichen wird, nicht die Aufgabenstellung bzw. Tätigkeitsart, sondern Gehaltsüberweisungen oder Honorarrechnungen entscheiden, ob man/frau berufstätig ist.
Wer jedoch – wie der grüne Bundespolitiker Fritz Kuhn – die für das Familienleben zu erbringende Arbeit in die Kategorien: „einer verdient, einer putzt“, aufteilt, um der sogenannten „Hausfrauen-Ehe“ den Garaus zu machen, diskriminiert aufs Gröbste die für das Zusammenleben wichtigen Aufgaben im Bereich Kindererziehung, Haushaltsführung bzw. Familienmanagement und gehört schnellstens von der politischen Ebene hinweg geputzt.
Dazu ein Zitat von ZEIT-Redakteurin Susanne Gaschke: „Familienpolitiker sollten aufhören, in etwas fahrlässiger Weise den Aberglauben zu propagieren, eine totale Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei sowohl mach- als auch wünschbar.“ Sie unterstreicht, dass Familie und Beruf sich fast gegenseitig ausschließen, da beide Sphären einen zu grundlegenden Anspruch für sich erheben. So ist es nicht verwunderlich, dass das am 8.4.09 in Berlin vorgestellte ‚Generationen-Barometer’ verdeutlicht, dass die elterliche Erziehung zwar hohen Anforderungen zu entsprechen habe, dass aber deren gesellschaftliche Anerkennung viel zu gering sei. Das von Susanne Garsoffky und Britte Sembach – im Medienbereich tätige Mütter von je 2 Kindern – verfasste Buch: „Die Alles-ist-möglich-Lüge“ belegt recht eindrucksvoll, „wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind.“ (Siehe dazu den Beitrag „Lügen über das Vereinbaren …“ Seite 4 dieser Ausgabe sowie Buchbesprechung in Fh 3/2014.)

Gender-Ideologen outen sich als moderne Diktatoren
Aber die tonangebenden Politiker scheinen ihr Hirnareal für die Aufnahme solcher Fakten gesperrt zu haben. So forderte 2002 der Europäische Rat in Barcelona eine Intensivierung der Beschäftigungsstrategie, die laut seinem Beschluss 578/2003 unter dem Titel „Gleichstellung der Geschlechter“ zum Ziel hat, dass sich bis 2010 schon 60 Prozent der 15–64 jährigen Frauen in einem Beschäftigungsverhältnis befinden sollen und 33 Prozent der Kinder unter drei Jahren und 90 Prozent der Kinder über drei Jahren außer Haus betreut werden. Das „Barcelona-Ziel“ ist aber nur zu erreichen, wenn die „traditionellen, familiären Strukturen und Rollenmuster“ aufgelöst werden. ‚Dazu muss der Mensch selbst geändert werden, und zwar mit der Methode des nebulösen Begriffs Gender Mainstreaming’ (aus: Barbara Rosenkranz: MenschInnen, Gender Mainstreaming, Auf dem Weg zum geschlechtslosen Menschen. Graz 2008).
Die Zielsetzung der Politik, dass durch politische Maßnahmen die Beschäftigungsfähigkeit von Müttern an das Niveau ihrer kinderlosen Geschlechtsgenossinnen heranzuführen sei, ist im Zusammenhang der hier verdeutlichten Aspekte als kontraproduktiv zu bezeichnen (siehe SPIEGEL Nr. 15, 2009). Wie kommen – sich demokratisch gebende – Politiker eigentlich zu einem solch diktatorischen Politikverständnis? Handeln sie nach der Devise: ‚In Freiheit gewählt, um anschließend die eigene Ideologie, wie Menschen als Geschlechtswesen und als Familie zu leben haben, per Zwang umzusetzen’? – ‚Oh, was soll eine solche Kritik’, werden viele Politiker brüskiert einbringen, – ‚wir wollen nur erweitere Wahlmöglichkeiten schaffen. Und um beim dummen oder unentschlossenen Volk nicht zuviel Entscheidungs-Unsicherheit entstehen zu lassen, werden die favorisierten Lebensmodelle halt mit kräftigen Subventionen oder Prämien attraktiv gemacht.’
Nein, solche Denkansätze und Handlungsweisen stehen nicht nur eindeutig im Widerspruch zu unserer Verfassung, sondern sind auch ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte. Um aus diesem staatlichen ‚Ich schreibe Dir vor, wie Du zu leben hast’-Dirigismus herauszukommen, ist stattdessen die durch Väter und Mütter zu erbringende Erziehungsleistung gezielt im Rahmen eines angemessenen Erziehungsgeldes bzw. -gehaltes mit entsprechenden Rentenansprüchen zu honorieren. Und schon hätten wir – zur Freude aller Statistiker – mit einem Schlag Millionen von Menschen ins Berufsleben integriert. Da müssten doch alle Politiker, welche sich seit Jahren für eine volle Berufstätigkeit der Frauen einsetzen, wahre Luftsprünge machen und auch die leidige „Herdprämien-Diskussion“ hätte sich erübrigt.
Die Familie ist die ‚Erneuerungszelle der Gesellschaft in biologischer, moralischer und kultureller Hinsicht‘, so der Wiener Sozialethiker Johannes Messner (in: Das naturrechtliche Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik, S. 578–580). Aber hier wird keinesfalls ein äußerst sorgsamer Umgang mit diesem ‚Humankapital’ deutlich, sondern Politiker und Unternehmer betrachten die Familie in der Regel als unwirtschaftliches Abschreibe-Gut, das nur kostet und nichts bringt. Dieser folgenschwere Trugschluss offenbart ein beschränktes Verständnis von Produktionszusammenhängen.
Würde berücksichtigt, dass Familien durch die Erziehung nachwachsende Produzenten und Konsumenten ‚schaffen‘, müsste in diesen Bereich genauso investiert werden wie in die Entwicklungs- oder Personalabteilungen von Betrieben. Denn neben preiswerten Rohstoffen oder gut funktionierenden Maschinen kommt den Menschen als ‚Human Ressource‘ die größte Bedeutung zu. Ob Produktion, Handel oder Dienstleistungen, die Existenz aller Unternehmen hängt von leistungsfähigen Menschen ab, einerseits als effektiven Mitarbeitern und andererseits als zahlungsfähigen Käufern.

Familien sind keine bedürftigen Bittsteller
Daher bitten Familien nicht um Almosen, sondern sind als Basis der Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschlands so zu behandeln, wie im Geschäftsleben mit Kapitalgebern oder Ressourcen-Bereitstellern umgegangen wird: zuvorkommend, Talente fördernd und auf Nachhaltigkeit achtend. Kurz: Zukunftsorientierte Unternehmer und Politiker werden die Entwicklung der ‚Produktionsstätte Familien-GmbH‘ gut im Auge behalten und aus gesellschaftlichem Eigennutz optimal fördern wollen.
In auffallendem Kontrast zur Bedeutung der Familie steht jedoch der im öffentlichen Handeln ablesbare niedrige Stellenwert in einer markt- und erwerbszentrierten Gesellschaft. ‚Diese vernachlässigt weithin sträflich die Belange von Familien und Haushalten und geht mit dem familialen Leistungspotential eher ausbeuterisch als stärkend um’, so Max Wingen in seinem Buch: „Familienpolitische Denkanstöße“ (S. 18, zitiert nach Frauenrat NRW und Familienbund NRW S.10). Setzt hier kein Kurswechsel ein, geraten noch mehr Kinder mitsamt ihrer vielfältigen Bedürftigkeit auf den Verschiebebahnhof zwischen Elternhaus, Fremdbetreuung und Selbstüberlassung als Ausdruck der nonverbalen Kernaussage: ‚Du bist mir nicht so wichtig‘! Aber ein Kinderlächeln lässt sich nicht in Gold aufwiegen, und es gibt auch keine zweite Chance für originäre Beziehungszeiten mit dem eigenen Nachwuchs.

Über den Autor:
Dr. Albert Wunsch ist Psychologe, Diplom-Sozialpädagoge, Diplom-Pädagoge und promovierter Erziehungswissenschaftler. Bevor er 2004 eine Lehrtätigkeit an der Katholischen Hochschule NRW in Köln (Bereich Sozialwesen) begann, leitete er ca. 25 Jahre das Katholische Jugendamt in Neuss. Im Jahre 2013 begann er eine hauptamtliche Lehrtätigkeit an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen/Neuss. Außerdem hat er seit vielen Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf und arbeitet in eigener Praxis als Paar-, Erziehungs-, Lebens- und Konfliktberater sowie als Supervisor und Konflikt-Coach (DGSv). Er ist Vater von 2 Söhnen und Großvater von 3 Enkeltöchtern.
Seine Bücher: „Die Verwöhnungsfalle“ (auch in Korea und China erschienen), „Abschied von der Spaßpädagogik“, „Boxenstopp für Paare“ und „Mit mehr Selbst zum stabilen ICH – Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung“ (vorgestellt in Fh 1/2014). Weitere Infos: www.albert-wunsch.de.