Ein Streifzug durch vier Jahrzehnte Verbandsarbeit von Gesa Ebert
„Der schlimmste weibliche Fehler ist der Mangel an Größenwahn.“ Diesen Satz der Schriftstellerin Irmtraud Morgner zitiert Ulla Hahn in ihrem Roman „Spiel der Zeit“.
Eine Hausfrauengewerkschaft zu gründen, das stufte im Herbst 1978 der Deutsche Gewerkschaftsbund wohl auch als Größenwahn ein. Er ließ schon vor der Gründung intern prüfen, ob der DGB dagegen klagen könnte, dass Hausfrauen für ihren politischen Zusammenschluss den Begriff „Gewerkschaft“ verwenden wollten. Der Weg zum Gericht wurde unterlassen, um der „1. DHG e.V.“ keine ungewollte Öffentlichkeit zu verschaffen. Nicht nur der Gewerkschafts-, auch der Hausfrauenbund empörte sich: „Spektakuläre Eintagsfliegen lehnen wir ab“ zitiert die FAZ im Januar 1979 aus dessen Stellungnahme. Die Initiatorin und erste Vorsitzende, Dr. Gerhild Heuer, schrieb in ihrem ersten Rundschreiben 1979:
„Am 25. Oktober 1978 sprach ich zum ersten Mal in der Öffentlichkeit von meiner Absicht, eine Hausfrauengewerkschaft zu gründen. Damit löste ich ein Echo aus, das meine kühnsten Erwartungen übertraf und innerhalb kürzester Zeit mehr als 3.000 Frauen und Männer dazu bewog, spontan ihre Bereitschaft zur Mithilfe zu bekunden! Neben dem ausnahmslos positiven Echo von Seiten der angesprochenen Hausfrauen und Familien kamen ablehnende Stimmen aus den Reihen bereits bestehender Verbände und Gewerkschaften. Eine zunächst in aller Öffentlichkeit für den 31. März 1979 geplante Gründungsversammlung wurde daher vorgezogen, weil Störungen zu befürchten waren, die einen ordnungsgemäßen Versammlungsverlauf verhindert hätten. So fand am 9. Februar 1979 in Kiel die Gründung der Deutschen Hausfrauengewerkschaft statt …“
Ich hatte Frau Dr. Heuer zufällig im Süddeutschen Rundfunk gehört: Die Situation der Hausfrau sei unzumutbar und müsse dringend verbessert werden. Wenn sie bis Februar mit 1.000 Mitgliedern rechnen könne, würde sie die Gründung der Hausfrauengewerkschaft wagen. Schreiben Sie eine Postkarte an … Ich brauchte keine Bedenkzeit. Meine sofort abgeschickte Karte liegt wie die vieler anderer Mitglieder in unserem alten hölzernen Karteikasten im Archiv. Seit der Geburt meines ersten Kindes eineinhalb Jahre zuvor, war ich selbst Hausfrau. Aber viel stärker wirkte bei mir die Situation meiner Mutter: wir waren sieben Kinder. Sie musste, wie so viele Mütter, übermäßig viel arbeiten, 365 Tage im Jahr – für minimalste Anerkennung. Das hatte ich schon als Kind als äußerst ungerecht empfunden.
Andere Frauen oder Männer lasen den Aufruf Gerhild Heuers in der Zeitung. Die Medien berichteten bundesweit, auch im Ausland. Viele Postkarten wurden einfach adressiert an „Deutsche Hausfrauengewerkschaft, Kiel“, ohne genaue Anschrift.
Nach der Gründung der dhg wurde mittels Fragebögen bei den Mitgliedern erkundet, welche Themen ihnen besonders wichtig waren. Altersversorgung sowie Bildungs- und Familienpolitik erwiesen sich als die politischen Hauptprobleme. In den Akten aus der Anfangszeit liegen sehr viele ausführliche Briefe von Mitgliedern mit Schilderungen persönlicher Betroffenheit, mit Dankesbekundungen und der Aufforderung, unbedingt „dran zu bleiben“.
In den Grundsatzprogrammen der ersten Verbandsjahre stehen als Forderungen: Die tatsächliche Anerkennung der Hausfrauentätigkeit als Beruf, Erziehungs- und Pflegejahre in der Rentenversicherung, Erziehungsgeld, Stellung einer Haushaltshilfe bei Erkrankung des erziehenden Elternteils, Öffnung der Unfallversicherung und Kuren für Hausfrauen, Hilfen bei der Rückkehr ins Erwerbsleben und ein ausreichendes Angebot von Teilzeitarbeit. Auch höhere Schadenersatzansprüche bei Schädigung durch Dritte waren ein großes Thema. Im Laufe der Jahre wurde das Programm u.a. ergänzt um die Forderung nach Erfassung der Familienfrauen und -männer als arbeitende Personen in allen amtlichen Statistiken, der Einbeziehung von Haus- und Familienarbeit ins Bruttoinlandsprodukt sowie der Einführung eines Wahlrechts von Geburt an.
Die Rente ist bis heute eines der drei Hauptthemen. 1979 wurde die Erziehung von Kindern in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) noch als „selbstverschuldete Nichtleistung“ eingestuft, zählte also gar nichts. Und das, obwohl es in unserem System „Generationenvertrag“ ohne die nachwachsende Generation, also Kinder, die in erster Linie zeitaufwendig von den Eltern betreut, versorgt und erzogen werden, keine beitragszahlenden Erwerbstätigen gibt. Niemand zahlt in der GRV Beiträge auf ein eigenes Konto ein, denn die aktuell eingezahlten Beiträge werden zeitgleich an die aktuell Anspruchsberechtigten als Renten ausgezahlt.
Der Generationenvertrag Rente ist seit 1957 ein unfairer Vertrag. Unser Verband fordert seit langem, die Systemrelevanz der Kindererziehungsleistung angemessen zu berücksichtigen, die GRV also grundlegend zu reformieren. 1) Aus unserer ursprünglichen Forderung nach Erziehungsgeld wurde die Forderung „Anerkennung des Berufes Familienhausfrau/-mann durch eigenständiges Einkommen und soziale Sicherung“ – „Gehalt für Familienarbeit einschließlich sozialer Sicherung“ – jetzt „Erziehungsgehalt“ für die Mütter oder Väter, die ihr Kleinkind länger als beim derzeitigen Elterngeldbezug selbst betreuen möchten. 2) Dies wird von einigen Frauenverbänden vehement abgelehnt mit der Begründung, das sei rückschrittlich für die Frauen.
Unser Verband fragt beharrlich nach der Logik in dieser Begründung. Es ist doch merkwürdig, dass der Einwand „rückschrittlich!“ beim häuslichen Pflegegeld nicht gemacht wird, obwohl Frauen auch dafür ihre Erwerbstätigkeit reduzieren müssen. Pflegen dürfen Frauen also ohne Limit. Denn Pflegegeld wird nicht begrenzt für ein oder zwei Jahre bezahlt, sondern solange die Pflegebedürftigkeit besteht. Absurderweise wird es nicht einmal an die pflegende, sondern an die gepflegte Person gezahlt.
Wieso also schadet angeblich Kindererziehung, nicht dagegen die Versorgung alter Menschen dem beruflichen Fortkommen und der Eigenständigkeit von Frauen? Wieso führt angeblich häusliche Pflege nicht zur „Rollenfestschreibung“, wohl aber angeblich häusliche Kindererziehung?
Wieso ist diesen Verbänden und der Politik häusliche Pflege wichtiger als häusliche Erziehung, wieso sind die Interessen alter Menschen wichtiger als die von Kleinkindern? Wieso wurde von Politik, Verbänden und Medien gegen die Zahlung eines „Betreuungsgeldes“ in übelster Weise gehetzt, nicht aber gegen das Pflegegeld? Weil die, die ein Erziehungsgehalt ablehnen, selbst einer eventuellen Pflegebedürftigkeit näher rücken – aber keinesfalls in ein Altenheim wollen? Oder, weil alte Menschen wahlberechtigt sind – Kinder aber bislang nicht?
Unser Verband weist außerdem darauf hin, dass Männer – von Ausnahmen abgesehen – nur dann Familienarbeit übernehmen, wenn sie bezahlt wird. Das ist belegt durch die Statistik zum Elterngeldbezug von Vätern. Das Erziehungsgehalt wäre also ein wichtiger Beitrag zur Änderung der Arbeitsteilung von Paaren und damit zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Ist das dann „rückschrittlich“?
Das eheliche Güterrecht rückte erst 1986 in unser Blickfeld (Kritik an der seit Juli 1958 geltenden irreführenden Zugewinngemeinschaft; Forderung nach gleichberechtigter Verfügung über das Einkommen bzw. Fortentwicklung zur Errungenschaftsgemeinschaft). Ein weites Feld … unsere Verbandszeitungen sind voll von Zustandsbeschreibungen und Lösungsvorschlägen. Die Bundesregierung weiß aus einer selbst in Auftrag gegebenen Studie, dass die meisten Ehepaare gravierend falsche Vorstellungen übers Eherecht haben. Sie klärt die Paare aber bis heute nicht auf, sondern lässt sie auf dem Standesamt einen „Vertrag“ unterschreiben, dessen Inhalt ihnen unbekannt ist! Frauen vertrauen blind, dass der Gesetzgeber die Ehe für beide fair geregelt hat. Aber bei der Zugewinngemeinschaft wird die Familienarbeit im Güterrecht dann – und nur dann – wirksam, wenn die Ehe geschieden wird. Seit einigen Jahren befasst sich nun auch der Deutsche Juristinnenbund mit dem Güterrecht. 3)
Im September 1991 verabschiedeten wir eine Resolution zum § 218: „Lohn für Familienarbeit statt Strafverfolgung bei Abtreibung.“ Darin heißt es u. a. „Die dhg vertritt die Interessen derjenigen, die die Folgen des ‚Ja zum Kind‘ kennen und tragen (…) Jegliches Leben ist schützenswert, nicht nur das Ungeborene.“ Am Ende steht die Forderung, dass Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand werden soll.
Im November 1995 appellierten wir mit einer großen Briefaktion an den Bundestag, sowie sämtliche Justizministerien und das Bundesfamilienministerium, dass Vergewaltigung in der Ehe endlich Straftatbestand wird. Und zwar ohne die von CDU und FDP gewollte Widerspruchsklausel, der zufolge eine betroffene Ehefrau ihre Strafanzeige wieder zurücknehmen können sollten. „Die Opposition und zahlreiche Frauenverbände, von der Hausfrauengewerkschaft bis zum Katholischen Frauenbund, hatten sich gegen die Klausel gewandt, weil sie darin eine ‚Einladung zur Erpressung‘ der Frauen sahen.“ So schrieb am 16. Mai 1997 die Süddeutsche Zeitung, nachdem das Gesetz dann endlich ohne diese Klausel beschlossen worden war.
1989 wurde eine Dokumentationsschrift der ersten zehn Jahre dhg herausgegeben. 1999 erschien die sehr ansprechende Dokumentation zur Ausstellung „Unbezahlte Frauenarbeit – Basis der Wirtschaft“. Zum 25jährigen Bestehen des Verbandes wurde unter der Federführung der damaligen Bundesvorsitzenden Helga Vetter eine sehr umfangreiche Ausgabe der Familienarbeit heute erstellt (Fh 1-2/2004). Dort findet sich auch eine Auflistung aller Vorsitzenden seit der Gründung. Diese Liste sei hier ergänzt: 9/2003 – 9/2008 Helga Vetter, 1/2009 – 4/2010 Dagmar Margotsdotter-Fricke, seit 10/2010 führt Gertrud Martin den Verband.
Im September 2000 wurde aus der Deutschen Hausfrauengewerkschaft/dhg der „Verband der Familienfrauen und –männer (vffm)“; im Mai 2012 dann der „Verband Familienarbeit“. Über die Diskussion zu den Namensänderungen wurde u. a. berichtet in Fh 2 und 4/2009 sowie 2/2012.
Dies ist nur ein ganz kurzer Abriss. Wir haben ein Riesenpensum an Arbeit geleistet in diesen vier Jahrzehnten, fast ausschließlich ehrenamtlich – aber beileibe nicht umsonst. Ehemals aktive Mitgliedsfrauen haben geschrieben, dass sie sehr viel bei der Verbandsarbeit gelernt haben. In den Akten liegen viele Briefe von Mitgliedern, die unsere Arbeit sehr wichtig finden, die auch schreiben, wie sehr der Verband ihr Selbstbewusstsein stärkt. Dazu tragen sicher auch vermeintliche Kleinigkeiten bei, z.B. dass durch unsere Initiative viele Kommunen in den amtlichen Geburtsanzeigen nicht mehr den Vater an die erste Stelle setzen, sondern das Kind und die Mutter.
Kritik gibt es freilich auch. Meine Selbstkritik: Wir haben uns mit zu vielen Themen gleichzeitig befasst, von Anfang an, wie ich aus den alten Akten ersehen konnte. Das führte notgedrungen zur Überforderung der aktiven Mitglieder.
Ich meine, wir sind diejenigen, die in den vergangenen 40 Jahren am meisten über die unbezahlte Familienarbeit nachgedacht und – außerhalb wissenschaftlicher Forschung und Dokumentationen – geschrieben und diskutiert haben. Wir können in jeder Diskussion zu diesem Thema einschließlich „Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit“ bestehen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Streitgespräche mit uns eher gemieden werden?
Wir haben in der Gesellschaft eine zunehmende Bewusstseins-Änderung erreicht, was die Haus- und Familienarbeit betrifft. Diese gipfelt in der lapidaren Feststellung „Familienarbeit ist Arbeit“. Ja was denn sonst? Aber noch ist vielen nicht klar, dass daraus folgt, dass alle Mütter arbeitende Frauen sind, nicht nur die erwerbstätigen.
Fußnoten:
1) Siehe u.a. „Leistungsgerechtes Rentenkonzept statt Kollaps – Alle von den heutigen Bundestagsparteien diskutierten Rentenkonzepte ignorieren die Ursache der Rentenmisere: das Umlageverfahren in seiner bisher einseitigen Konstruktion.“ In Familienarbeit heute 4/2016, Seite 5 ff, https://familienarbeit-heute.de/?p=4629
2) Siehe u. a. „12 Thesen zum Erziehungsgehalt“ in Familienarbeit heute 2/2018, S. 5/6, https://familienarbeit-heute.de/?p=5257
3) Siehe u. a. „Die meisten Eheleute leben im falschen Glauben“, Familienarbeit heute 3/2016, S. 3/4, https://familienarbeit-heute.de/?p=4606 und „Juristinnenbund fordert Überprüfung der Zugewinngemeinschaft – Über die Lufthoheit in der Ehe“, Fh 3/2013, https://familienarbeit-heute.de/?p=3653