„Social Freezing“ – neue Freiheit oder neue Gängelei? (Fh 2014/3)

von Susanne Angermund

Ein neuer Trend zeichnet sich ab: „Social Freezing“ – das Einfrieren von Eizellen, um Frauen ein Aufschieben des Kinderwunsches zugunsten der Karriere zu ermöglichen. US-amerikanische Firmen wie Facebook und Apple wollen künftig die Kosten übernehmen, wenn ihre weiblichen Angestellten „ihren Kinderwunsch auf Eis legen“. Die deutsche Intellektuellenzeitung Die Zeit brachte einen umfassenden und kritischen Artikel zum Thema unter dem Titel „Dürfen Firmen Familien planen?“. Auch andere Tageszeitungen und Magazine beschäftigen sich – vorwiegend kritisch – mit dem aktuellen Phänomen.

Mich ängstigt und schockiert die Idee des „Social Freezing“ aus vielen Gründen: Ich wünsche mir, in einer menschlichen Gesellschaft zu leben, die dafür eintritt, dass Kinder einen unbezahlbaren Wert haben, dass sie zu dem für sie richtigen Zeitpunkt ins Leben kommen dürfen und von uns allen als dazugehörender Teil der Gesellschaft gewünscht sind. Das bedeutet, dass wir als Kollegen und Arbeitgeber Eltern nach der Familienpause selbstverständlich und reinen Herzens bei der Wiedereingliederung in den Beruf unterstützen bzw. verständnisvoll akzeptieren, dass erwerbstätige Eltern bei manchen Aspekten der Berufstätigkeit wie Flexibilität, Vollzeit, Schichtdienst u.a. über einige Jahre nicht mithalten können und deswegen von den (Noch-) Kinderlosen und Erwerbstätigen mit hinreichend großen Kindern entlastet werden. In solch einem Umfeld können sich Mütter – und auch Männer, die ihr Vatersein bewusst leben wollen – zu dem Zeitpunkt, an dem ihre Kinder alt genug sind, beruflich weiterentwickeln, statt wie so oft heute auf dem Abstellgleis zu landen.

Eine solche Veränderung der gesellschaftlichen Haltung gegenüber Familien wäre zur Steigerung der Geburtenrate sehr viel hilfreicher als eine einseitige medizinisch-technische Maßnahme wie das Social Freezing: Mit der reinen Verlegung der Mutterschaft auf ein höheres Lebensalter unter ansonsten gleichbleibender Arbeitsmarktsituation fehlen weiterhin etliche Jahre an Karriereentwicklung und Rentenerwirtschaftung im Vergleich zu Kinderlosen. Die mütterliche Karriere scheint zwar später als bisher, aber dafür noch unwiderruflicher mit der ersten Geburt zu Ende zu sein.

Und wer denkt weiter? Zum Beispiel daran, was für Auswirkungen eine späte Mutterschaft für die betroffenen Kinder hat? Ich wollte alle meine Kinder vor meinem 40. Geburtstag bekommen, um genügend Zeit zu haben, ihnen meine Lebenserfahrung weiterzugeben und ebenso, um ihnen die Chance zu geben, vor meinem Renteneintritt – oder gar Tod – finanziell unabhängig zu werden. Es ist gefährlich, nur das technisch Machbare im Auge zu haben, und die menschlichen Aspekte einer neuen Technologie auszublenden. Und diese menschlichen Aspekte beinhalten nicht nur die Zeit der Mutterschaft: Wenn ich mir vorstelle, dass die Eizelle, aus der ich entstanden bin, aus dem warmen schützenden Körper meiner Mutter herausgezogen, schockgefrostet gelagert und ich Jahre später in einem künstlichen Akt daraus gemacht worden wäre, wird mir eiskalt. Wäre irgendein zukünftiges Kind über diese lieblose Entstehungsweise glücklicher?

Fazit für mich selbst ist, statt des heutigen verstandesbestimmten „Alles-ist-möglich“-Dogmas bewusst zu wählen, was mir und meiner Seele gut tut, das heißt, was mir hilft, ein sinnstiftendes Lebensziel zu erreichen. Denn wenn ich an meinem Lebensende hinter dem stehen kann, was ich getan habe, werde ich mein Leben viel leichter loslassen können, als wenn ich dann – zu spät – feststelle, dass ich nicht das getan habe, was mir wichtig war, sondern zum Beispiel dem Zeitgeist hinterhergelaufen bin.
Ein solches Leben loszulassen fällt viel schwerer, womit wir beim Thema „friedvolles be-gleitetes Sterben“ vs. „künstliches Verkürzen eines qualvollen Todes nach einem nicht erfüllten Leben“ wären. So ist meines Erachtens die Sterbehilfdebatte genauso wie die Überlegungen zu Social Freezing die Folge davon, dass wir Menschen spüren, dass wir mit unserer Art zu leben nicht glücklich sind. Allerdings ist die noch stärkere Technisierung eigentlich natürlicher Lebensvorgänge ein weiterer Schritt in die bisherige, unglücklich machende Richtung.

Eine bewusste Wahl, wie ich mein Leben leben will, fällt leichter, wenn Menschen sich von einer Gesellschaft getragen fühlen können, in der Werte wie Nachdenklichkeit, Ganzheitlichkeit und – ganz wichtig – auch Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen Lebensentwürfen als dem eigenen gelebt werden. Zu dieser Bewusstseinsbildung und zu dieser Art von Gemeinschaft leiste ich gerne meinen Beitrag.

Über die Autorin:
Susanne Angermund ist Ärztin und seit 11 Jahren Vollzeitmutter von vier Kindern. Das Großziehen ihrer Kinder ist für sie unverzichtbarer Bestandteil ihrer Lebensaufgabe und eine große Herausforderung, durch die sie beständig wächst.

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