SCHLUSS MIT DEM SCHNECKENTEMPO. Ein Blick über die Grenze (Fh 2011/3)

von Thea Philipp-Schöllermann

14. Juni 1991 – Frauenstreiktag in der Schweiz.
Zehn Jahre nachdem am 16. Juni 1981 die Gleichstellung von Frau und Mann in der Schweizer Verfassung verankert worden war, wollten Frauen endlich Taten sehen und machten mit landesweiten, vielfältigen, phantasie- und humorvollen Aktionen auf ihre benachteiligte Lage aufmerksam.
Gesa Ebert und ich brachen damals mit geschmückten Besen (das Streiksignet klebt heute noch auf dem Stiel meines Basler Blindenheim-Rosshaarbesens!) solidarisch nach Basel auf. Dort trafen wir in der Hauptgeschäftsstraße auf eine Gruppe Familienfrauen der Initiative Duffra (Die ungehörten/unerhörten FamilienFrauen). Sie sonnten sich in Liegestühlen und machten durch lautes Topfschlagen auf die mangelnde Wertschätzung ihrer Familienarbeit aufmerksam.
Zuvor hatte ich daheim – ganz automatisch – noch schnell den Frühstückstisch abräumen wollen, was mir folgenden Voll-Treffer meines damals 15-jährigen Sohnes einbrachte: „Mama, bist Du zu blöd zum Streiken ?“

14. Juni 2011 – 20 Jahre später – Schweizer Frauenstreik-Aktionstag unter dem Motto: „Schluss mit dem Schneckentempo bei der Gleichstellung“, organisiert von der Gewerkschaft Unia (1).
Ich treffe mich mit Lisa K. auf dem Theaterplatz in Basel. Sie ist die einzige ehemalige Duffra-Frau, mit der ich seit damals noch in Kontakt stehe. Die anderen glaubten wohl, dass durch Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit das Problem gelöst sei.
Die politischen Reden haben wir leider verpasst, kamen aber um 14:06 Uhr gerade rechtzeitig zum landesweiten Trillerpfeifenprotest gegen das Schneckentempo bei der Gleichstellung.
Danach zog eine Schneckendemo lila gekennzeichneter Frauen zu diskriminierenden Betrieben in der Stadt (darunter Globus, Kantonalbank, Universität, Spitex), vor denen jeweils eine „Anklageschrift“ verlesen wurde, verstärkt durch Überreichen eines symbolischen „Schneckenpokals“ an die Verantwortlichen und untermalt mit dem Singen des Streikliedes „Bello Ciao“.

Zurück auf dem Theaterplatz berichteten auf dem Podium vier Frauen unterschiedlichster Couleur (Gleichstellungsbeauftragte, Studentin, SP-Großrätin, Autorin „Putzen in der sauberen Schweiz“) über ihre „Utopien einer geschlechtergerechten Gesellschaft“.
Eine davon, Rechtsanwältin mit drei Kindern, plädierte für ihre Lösung: eine 70/70-prozentige Teilung des Erwerbsberufs mit dem Partner.
Doch offensichtlich hat sie nie nachgerechnet: 2 x 70 Prozent macht 140 Prozent Einkommen. Geteilt durch fünf Personen ergibt das nicht 2 x 100 Prozent Einkommen, wie es Nicht-Eltern ungehindert erwirtschaften können. Diese Schieflage ist weder Gleichheit noch Lösung!

Damit die Gleichstellung umgesetzt wird, fordern die Schweizerinnen:
1. Lohngleichheit und Mindestlöhne,
2. Elternzeit und kürzere Erwerbsarbeitszeit
(immerhin wurde zwischenzeitlich die Einführung einer Mutterschaftsversicherung erreicht!),
3. Aufwertung der Betreuungs- und Pflegearbeit,
4. bezahlbare Betreuungsplätze von hoher Qualität für alle Kinder,
5. bezahlbare Pflegeangebote von hoher Qualität für pflegebedürftige Menschen,
6. planbare Erwerbsarbeitszeiten und verlässliche Erwerbsarbeitsverhältnisse,
7. Respekt für die Beschäftigten,
8. Schutz der Persönlichkeit vor sexueller und psychischer Belästigung am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit und zu Hause,
9. erleichterten Zugang für Frauen zu Männerberufen,
10. Gleichstellung auch für Migrantinnen,
11. existenzsichernde Altersrenten ohne Erhöhung des Rentenalters,
12. höhere Renten, ohne Erhöhung des Rentenalters,
13. Sozialversicherungen, die auch im Fall von Krankheit, Unfall oder Arbeitslosigkeit, Invalidität, Verwitwung oder Pensionierung ein Leben in Würde ermöglichen,
14. gerechte Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit zwischen Männern und Frauen.
Europaweit wird also auf Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit mit Familienarbeit gesetzt und auf hälftige Teilung der letzteren mit den Männern gepocht und gewaaaaartet !

Immerhin kann ich feststellen, dass in der Schweiz die unbezahlte Familienarbeit stets fest mit in den Blick genommen wird – auch wenn bisher dort unser Ansatz „Echte Wahlfreiheit für Mütter und Väter durch soziale und finanzielle Sicherung bei Familienarbeit“ noch nicht ins Bewusstsein gedrungen ist.
Jedenfalls konnte ich die Stimme unserer schweizerischen Schwesterorganisation „Hausfrauen- und Hausmännergewerkschaft“ (www.hausfrauengewerkschaft.ch) nirgends wahrnehmen.

Hochinteressant ist, dass in der Schweiz bereits eine Großmütter-Revolution mit Förderung durch das Migros-Kulturprozent (2)  (www.grossmuettermanifest.ch) im Gange ist. Das ist nicht verwunderlich, denn was für Mütter gesellschaftlich nicht in Ordnung ist, setzt sich für Großmütter fort!

Ihr Manifest umfasst folgende Forderungen:
* Gesellschaftliche und allenfalls auch finanzielle Anerkennung ihrer Leistungen als Großmütter: Betreuungsspesen, Pflegegutschriften, Besuchsrecht in Scheidungs- und Patchwork-Familien,
* öffentliche oder öffentlich unterstützte Betreuungsangebote für ältere Frauen zu erschwinglichen Preisen,
* Thematisierung der weiblichen Altersarmut,
* Mitsprache bei Einrichtung von adäquaten Betreuungssystemen.

Die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Engagements wird also vorläufig nicht schwinden!

Fußnoten:
(1) Die Gewerkschaft Unia ist mit rund 200.000 Mitgliedern die größte Gewerkschaft der Schweiz. Mehr unter: www.unia.ch
(2) Das Migros-Kulturprozent ist ein freiwilliges Enga­­­gement der Migros in den Bereichen Kultur, Gesellschaft, Bildung, Freizeit und Wirtschaft
Quelle: www.kulturprozent.ch

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