Ausgabe 1/2001
2. Europäischer Kongress für eine Aufwertung der Erziehungsarbeit*
Europäisches Parlament Straßburg – 16./17.11.2000
Bedeutung der häuslichen Arbeit
1905 schrieb Dr. Käthe Schirmacher in ihrem Buch:
Die Frauenarbeit im Hause, ihre ökonomische, rechtliche und sociale Wertung:
"Wenn die Nationalökonomie von "Frauenarbeit" spricht, so versteht sie…
darunter fast ausschließlich die Fabrik- und Werkstättenarbeit der Frauen.
Die Frauenarbeit im Hause wird meist mit einer kurzen Analyse abgetan, die den nicht produktiven Charakter der häuslichen Frauenarbeit betont. Die Frau im Hause, heißt es, konsumiert Werte, verteilt Werte, schafft aber keine Werte. Ich beeile mich hinzuzusetzen, dass letzteres unrichtig ist.
Der Gedanke, den nationalökonomischen Wert der häuslichen Frauenarbeit abzuschätzen, zu prüfen, ob die Frauen für die Erfüllung so zahlreicher Pflichten das gebührendeÄquivalent an Geld, an bürgerlichen und politischen Rechten, an sozialer Wertschätzung erhalten, dieser Gedanke ist den Nationalökonomen nur selten gekommen."
Einhundert Jahre später belegen Urteile, Untersuchungen und Statistiken sehr eindrucksvoll, dass alle Grundlagen für eine gerechte Bewertung der "häuslichen Frauenarbeit", oder wie wir heute sagen, der "Familienarbeit" vorliegen. Es fehlt nur noch die Umsetzung der Erkenntnisse.
Die Bewertung der Familienarbeit
– aus juristischer Sicht
Mit Urteil vom 18.3.1970 (AZ 1 RA 217/69) stellt das Bundessozialgericht fest, dass die Tätigkeit der Hausfrau und Mutter zu den hauswirtschaftlichen Berufen zählt. Der Bundesgerichtshof urteilt am 8.2.1983 (VI ZR 201/81): "Haushaltsührung ist eine der sonstigen Erwerbstätigkeit vergleichbare Arbeitsleistung."
– im Eherecht
BGB § 1360 Satz 2 besagt: Ist einem der Ehegatten die Haushaltsführung überlassen, so erfüllt er seine Verpflichtung durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts. "Damit wird die häusliche Tätigkeit als gleichrangig und gleichwertig mit der Erwerbsarbeit anerkannt." (Erman BGB Handkomm. 9. Aufl. 1993)
– als Qualifikation im Erwerbsberuf
Während der Familientätigkeit erwerben Frauen oder Männer eine breite Palette von Qualifikationen in Fachkenntnissen der Erziehungstätigkeit, der Kranken- und Altenpflege, Haushaltsplanung etc. und sog. Schlüsselqualifikationen wie Entscheidungsfähigkeit, Organisationstalent, Flexibilität und Kooperationsfähigkeit (Bundesfamilienmin. 1991). Die Frauenministerin von RLP, Rose Götte, erweitert dies 1998 noch um die Kriterien Improvisationsfähigkeit, Planungskompetenz, Belastbarkeit und die Fähigkeit, verschiedene Dinge gleichzeitig zu tun.
– im Vergleich mit Erwerbsberufen
liegt die durchschnittliche Qualifikationsanforderung aus Haus- und Familienarbeit in einem Haushalt mit Kindern über den Anforderungen eines Bauingenieurs oder eines Schulleiters und kann teilweise sogar die beruflichen Anforderungen an einen Klinikchef übersteigen. (Költzsch Ruch 1997)
– als Beitrag der Familie zur Humanvermögensbildung in der Gesellschaft
Die Arbeit für Betreuung und Versorgung eines Kindes entspricht einem Gegenwert von mindestens DM 400.000 pro Kind (fünfter Familienbericht 1994).
– wenn der Staat die Erziehung übernimmt
kostet ein Heimplatz zwischen DM 6.000 und DM 12.000 pro Monat. 1999 lebten ca. 75 000 Kinder in Heimen.
Eine SOS-Kinderdorfmutter betreut in der Regel fünf Kinder an fünf Tagen die Woche für ca. DM 5.500 brutto. Eine Dorfhelferin kommt auf einen Stundenlohn von DM 39,60 (Sölden 1996 u. BW 1998).
– in der Statistik entfallen von den 77 Mrd. Stunden der gesamten unbezahlten Arbeit in Westdeutschland 7 Mrd. auf Betreuung und Pflege, 8 Mrd. auf handwerkliche, 3 Mrd. auf ehrenamtliche und soziale und 59 Mrd. Stunden auf hauswirtschaftliche Tätig-
keiten.
Sie sind umfangreicher als die Erwerbsarbeit und um 59 % höher. Mind. zwei Drittel wird von Frauen geleistet (Stat. Bundesamt Zeitbudgeterhebung 1992).
– nach einer Scheidung wird zwar über den sog. "Zugewinnausgleich" und den Anspruch auf Unterhalt anerkannt, dass Familienarbeit während der Ehe ein gleichwertiger Beitrag zum Unterhalt ist, aber meist sind die Frauen im wahrsten Sinne des Wortes arm dran. Einer Studie der Uni Bielefeld zufolge sinkt das monatliche Pro-Kopf-Einkommen einer
geschiedenen Frau um 44 %, das des geschiedenen Mannes aber nur um 7 %.
Kommentar der FAZ: "Die Männer fühlen sich ärmer, die Frauen sind es."
Trotz dieser eindrucksvollen Zahlen haben Frauen und Männer, die Familienarbeit leisten, Schwierigkeiten mit der Anerken-nung ihrer Arbeit. Das wird vor allem bei der Forderung nach Bezahlung deutlich.
Kindererziehung zu bezahlen, sehen einige noch ein. Sicher denken sie dabei an die Tagesmutter ihres Kindes, die ja "nur" das Kind betreut. Aber wie soll die anfallende Hausarbeit honoriert werden? Für viele Gegnerinnen des Gehalts für Familienarbeit scheint der Gedanke unerträglich, dass hier evtl. auch noch die Hausarbeit bezahlt würde, die sich auf den Ehepartner bezieht. Sie lassen dabei völlig außer Acht, dass die Bezahlung für eine 40-Stun-
denwoche erfolgen soll, aber 70 Wochenstunden keine Seltenheit sind. Dagegen haben diese Frauen kein Problem damit, wenn sich die Haushaltshilfe, die häufig in kinderlosen Haushalten eingesetzt wird, steuermindernd auswirkt.
Die Art der Familienarbeit hat sich im Laufe der Zeit sehr verändert. Die sog. produktive Arbeit ist zurückgegangen. In der Regel wird in den heutigen Haushalten weder Wolle gefärbt, gesponnen und verstrickt, noch werden Kerzen gezogen oder wird Seife gesotten.
Dafür ist jedoch der Anteil der Arbeit, die wir heute als Dienstleistung bezeichnen, enorm gestiegen. Wir nehmen uns viel mehr Zeit für die Kindererziehung. Darin eingebunden sind Gesundheits-, Verkehrs- und Medienerziehung, Grundkenntnisse in Psychologie und Therapie. Kenntnisse im Versicherungs- und Bankwesen sind unerlässlich. Einkäufe in Supermärkten oder Baumärkten setzen umfangreiche fachspezifische Vorabinformation voraus, wollen wir das Richtige einkaufen.
Häusliche Kindererziehung ist immer eine Kombination von Haushaltsführung und Erziehungsleistung. Häufig findet beides gleichzeitig statt. Die Mutter kocht und beaufsichtigt das Kind bzw. bezieht es in ihre hauswirtschaftliche Tätigkeit mit ein.
Erfahrungsgemäß braucht sie dann zwar länger, aber der Wert dieser Erfahrung für das Kind darf nicht unterschätzt werden. Es wird ein Leben lang von den erworbenen Fähigkeiten profitieren.
Diese Möglichkeiten des Lernens haben viele Kinder heute nicht mehr, weil beide Eltern erwerbstätig sind und häufig wenig Zeit dafür bleibt. So verschwindet in vielen Familien elementares Wissen von Generation zu Generation immer mehr.
Wie unvorstellbar die Gleichzeitigkeit von Arbeit selbst für manche "Fachleute" ist, erlebten wir im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen nach dem Unfall einer Mutter.
Es ging um die Bewertung des Arbeitsumfanges in einem Haushalt mit einem Kleinkind. Die Arbeitswissenschaftler addierten alle anfallenden Tätigkeiten in zeitlicher Reihenfolge. Durch das gleichzeitige Arbeiten kamen in der Berechnung plötzlich mehr als 100 % heraus. Das durfte nicht sein. Die Arbeitsanteile wurden der Gesamtzeit eines Tages entsprechend "angepasst". Somit hatte die Mutter eines Kleinkindes weniger Zeit für ihre hauswirtschaftlichen Einzeltätigkeiten zur Verfü-
gung als eine Rentnerin. Entsprechend niedriger fiel der Schadensersatz durch die Versicherung aus.
Im Hinblick auf die Zukunft unserer Gesellschaft ist es notwendig, dass unsere Kinder – Mädchen wie Jungen – eine Grundausbildung in Haushaltsführung und Haushaltsökonomie schon von der Schule aus mitbekommen. Dadurch erhalten Mäd- chen und Jungen gleiche Grundlagen, und die Herren der Schöpfung können sich nicht mehr damit herausreden, sie hätten es ja nicht gelernt. Hier wird jedoch eher abgebaut als zugelegt. Die Folgen sind langfristig katastrophal, wie eine Anhörung des DHB (Deutscher Hausfrauenbund) in Baden-Württemberg in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd deutlich machte. Die Defizite in der Alltagsbewältigung werden immer größer. Haushalte verwahrlosen und Familien verschulden sich. Kinder und Jugendliche werden vernachlässigt. Gesundheitliche Folgen durch falsche Ernährung
kosten die Krankenkassen Unsummen.
Dies alles ist ein Beweis dafür, dass in den Familien bislang weitaus mehr an Wissen ohne großes Aufsehen vermittelt wurde als offiziell wahrgenommen.
Erst jetzt, wo das Defizit in steigenden Kosten der öffentlichen Hand (für soziale Leistungen, Schuldnerberatung etc.) deutlich wird, kommt man auf Ursachen. "Der wirtschaftliche Wert der Arbeit zeigt sich dort, wo sie nicht mehr erbracht wird, und dafür Dritte – häufig aus Steuermitteln finanziert – eintreten müssen", stellte schon der 5. Familienbericht der Bundesregierung 1994 fest. Konsequenzen für die dort Tätigen hatte diese Erkenntnis keine.
Kindererziehung kombiniert mit Haushaltsführung ist auch für die Eltern ein
– häufig schmerzlicher – Lernprozess. Nichts läuft geregelt. Der Haushalt mit kleinen Kindern lässt sich nicht lückenlos planen. Störfaktoren sind vorprogrammiert, bei kleinen Kindern eher häufig und in geringen Dosen, bei älteren Kindern weniger häufig, aber dafür meist heftiger.
Eltern müssen über den Umgang ihrer Kinder mit Freunden oder Gruppen informiert sein, wollen sie den Kontakt zu ihnen nicht verlieren. Sie müssen sich der körperlichen und geistigen Entwicklung der Kinder vom Kleinkindalter zum Jugendlichen
stellen, sich mit ihren Kindern weiterentwickeln, sich ständig neues Wissen aneignen. Während die Erziehung in Kindergarten, Grund- und Hauptschule und Gymnasium immer nur Erziehungserfahrung in
bestimmten Lebensabschnitten der Kinder abdeckt, können Eltern nicht "stehenbleiben". Hierin sind sie den "Professionellen" überlegen. Das alles ist vergleichbar mit Fortbildung in Erwerbsberufen. Es ist lebenslanges Lernen, so wie es zunehmend auch von den "traditionellen" ArbeitnehmerInnen gefordert wird.
Eltern mit kleinen Kindern sind arbeitsmäßig voll ausgelastet. Ihnen politisch gewollt noch eine zusätzliche Erwerbsarbeit andienen zu wollen, kann nur als Hohn empfunden werden. Die sog. "Vereinbar-
keit" klappt nur, wenn andere Personen Kindererziehung und hauswirtschaftliche Tätigkeiten übernehmen. Und auch das bedeutet ein enormes Pensum an Planung, neudeutsch: Logistik.
Wer sich dieser Doppel- und Dreifachbe-
lastung für ein Einkommen nicht aussetzen will, verzichtet ganz auf Kinder. Kindererziehung kann niemand nur nebenbei erledigen. In ihren Anforderungen ist sie einer vollwertigen Erwerbstätigkeit vergleichbar. In der Kleinkindphase sind es von der Stundenzahl her sogar zwei Arbeitsplätze.
Aber immer noch wird die Leistung der Haus- und Familienfrauen kleingeredet, allenfalls bezahlbar dann, wenn andere sich dieser Leistung bedienen. Das am häufigsten gebrachte Argument gegen die Bezahlung ist das der Rollenfestschreibung. Ein Argument, das dann nicht mehr überzeugt, wenn alle Eltern für die Kindererziehung generell bezahlt werden und sie selbst entscheiden, wer diese Arbeit macht, Mutter und/oder Vater, in Kombination mit Erwerbsarbeit oder durch Bezahlung Dritter.
Natürlich ist heute in der Regel die Tätigkeit der Familienfrau keine lebenslange Aufgabe mehr, ähnlich wie bei Europaabgeordneten oder demokratisch gewählten Präsidenten auch. Wenn die Kinder heranwachsen, ist ein Berufswechsel von den Erziehenden durchaus erwünscht und sollte ebenso möglich gemacht werden wie jeder andere Berufswechsel auch.
Sinnvoll während der Erziehungszeit ist die Möglichkeit beruflicher Qualifikation bzw. Weiterbildung. Das kann im Familienarbeitsbereich sein, aber auch für einen beruflichen Umstieg in einen ganz anderen Beruf oder in die Tätigkeit, die vor der Kindererziehung ausgeübt wurde.
Hier können und müssen wir noch viel Kreativität und Phantasie entwickeln.
Eines muss jedoch immer klar sein, Familienarbeit ist eine Arbeit, die wichtig ist, Werte schafft und Anerkennung braucht. Die Aufwertung der Familienarbeit hat Auswirkungen auf die Bewertung aller vergleichbaren Berufe, und ihre leistungsgerechte Bezahlung würde auch die Lohndis-
kriminierung von Frauen in der Erwerbsarbeit abbauen.
Gekürzte Fassung eines Vortrags der Autorin beim Forum: "Familie als Beruf – Arbeitsfeld der Zukunft".