Jede Mutter ist eine arbeitende Frau! (Fh 2012/2)

von Wiltraud Beckenbach

Stellen wir uns vor, es hieße generell: „Erzieherinnen, Familienhelferinnen, KöchInnen, LehrerInnen, PsychologInnen arbeiten nicht“. Ein Aufschrei der Empörung ginge durch unser Land. Aber genau das wird den Elternteilen – überwiegend Müttern – unterstellt, wenn sie ihre Kinder selbst erziehen. Sie arbeiten zu Hause, sollen aber wieder außer Haus erwerbstätig werden, damit sie etwas für ihre Absicherung und Eigenständigkeit tun. Also arbeiten nur Tagesmütter, Familienhelferinnen oder SOS-Kinderdorfmütter, weil sie die Kinder aus fremden Familien großziehen?

Sprachlich korrekt können wir seit langem weder Mohrenköpfe noch Negerküsse oder Zigeunerschnitzel kaufen. Selbst in der Sozialgesetzgebung sind die Hilfsbedürftigen zu Leistungsberechtigten mutiert. Hier wird dem Rechnung getragen, dass eine bestimmte Wortwahl ausgrenzt und beleidigt.
Lediglich die Hausfrauen dürfen weiterhin diffamiert werden. Sie sind „nur“ Hausfrau. Sie finden sich in einer Hausfrauen- oder Versorgerehe wieder. Wobei das Hausfrauen- oder Ernährermodell – eine sprachliche Verunglimpfung für Frauen, die überwiegend Kinder erzogen haben und aus welchen Gründen auch immer nicht wieder erwerbstätig wurden – angeblich ausgestorben ist oder doch möglichst rasch eliminiert werden soll.
Einzig und allein auf der Speisekarte ist der Begriff „Hausfrau“ noch positiv besetzt, wenn wir uns einen „Matjeshering nach Hausfrauenart“ bestellen.

Es ist unerträglich, wie eine Berufsgruppe niedergemacht wird, die den vielfältigsten und verantwortungsvollsten Beruf der Welt ausübt. Wer Kinder großzieht, muss täglich neu hinzulernen, sich informieren über Kindererziehung, Kinderkrankheiten, Ernährung, Psychologie. Kindererziehung berührt alle Facetten des Lebens. Meist muss mit weniger Geld gewirtschaftet werden, weil ein Einkommen wegfällt.
Diese Menschen zu fragen: „Wann gehst Du wieder arbeiten?“, während sie rund um die Uhr Betreuungs- und Erziehungsleistung erbringen, ist an Zynismus nicht zu überbieten.

In der ehemaligen DDR hatten alle Erwerbsarbeit. Die einen waren in Fabriken oder Geschäften tätig, die anderen haben die Kinder dieser Familien bezahlt betreut. Deshalb sind die Frauen dort rentenrechtlich besser versorgt.
Im Westen war Kindererziehung immer privat. Frauen wurden anfangs sogar aus dem öffentlichen Dienst entlassen, sobald sie einen Kollegen heirateten. Bekamen sie ihr erstes Kind, gaben sie in der Regel ihre Erwerbsarbeit zugunsten der unbezahlten Familien­arbeit auf.
Kurz nach dem Krieg ließ die Stadt Hamburg den Zuzug von Ehe­leuten nur zu, wenn die Frau sich verpflichtete, nicht erwerbstätig zu sein.
Noch bis zum Jahr 1976 konnte ein Ehemann beim Arbeitgeber seiner Frau ihre Arbeitsstelle einfach kündigen, wenn er nicht wollte, dass sie erwerbstätig ist.
Wer diesen Menschen vorwirft, sie würden sich versorgen lassen und seien Schuld an ihrer niedrigen Rente, hat die Historie nicht ver­standen.

Im Übrigen ist Familienarbeit gleichrangig mit der Erwerbsarbeit und gilt innerhalb einer Ehe als Beitrag zum Unterhalt! Außerdem ist Hausfrau ein anerkannter Beruf.

Das Wort Mutter und auch Vater findet sich in keinem Parteiprogramm wieder. Die gesellschaftlich häufigste Familienform der Zwei-Eltern-Familie muss alternativen Lebensgemeinschaften weichen. Politik wird zunehmend für Minderheiten gemacht, und dabei wird nicht berücksichtigt, dass die klassische Familie immer noch die Mehrheit bildet und sich über Generationen hinweg bewährt hat. Inzwischen brauchen wir keine Frauenpolitik, sondern eine Mütterpolitik.

Zitat Dr. Kirsten Armbruster: „Der Ansatz heutiger Familienpolitik zielt immer einseitig darauf, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten müssten, um der einseitig mütterlichen Armutsfalle zu entgehen. Beachtet wird aber viel zu wenig, unter welchen immensen Arbeitsdruck Familien dadurch geraten, der oft nur dadurch nicht öffentlich sichtbar wird, weil im Familienhintergrund Großmütter die doppelgestressten Eltern entlasten, die scheinbare Vereinbarkeit von Familie und Beruf also wieder nur durch kostenlose Arbeit von Frauen, von Großmüttern möglich ist. Wenn beide Elternteile heute – wie allgemein üblich – 40 Stunden Vollzeit arbeiten sollen, so bleiben immer noch – wie aus den Zahlen der Studie „Blickpunkt Frauen“ des Statis­tischen Bundesamtes von 2004 zu entnehmen ist – je nach Alter der Kinder – mindestens 30 Stunden zu erledigende Familienarbeit, die sich in Hausarbeit, Betreuungs- und Erziehungsarbeit aufteilt, wobei hier die Pflegearbeit für ältere Menschen noch nicht enthalten ist, so dass in der Realität durchaus von 40 Stunden zu bewältigender Arbeit ausgegangen werden kann.

All dies ist Arbeit, die im Patriarchat als nicht geldwert definiert wurde, wobei heute auf dem Wege ins Postpatriarchat die Kosten dieser Arbeit plötzlich sichtbar werden:
– Die Kosten für eine Haushaltshilfe, die zu Hause die Hausarbeit erledigt,
– die Kosten für eine Betreuung und Erziehung der Kinder in Form von Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen mit Zusatzangeboten im musischen, künstlerischen und sportlichen Bereich in Verbindung mit einer adäquaten Essensverpflegung und mit entsprechend gut qualifiziertem Personal, und
– schließlich noch die Kosten für die Betreuung und Pflege der älteren Generation.“(1)

Fußnote:
(1) Das Zitat (Abdruck mit Genehmigung der Autorin) ist ein Ausschnitt aus Kirsten Armbruster: Patriarchatskritik statt Feminismus – Der lange Weg zum Postpatriarchat. Erschien am 02.02.2011 als Gastbeitrag im Blog der Frankfurter Rundschau unter www.frblog.de/patriarchat/ sowie unter www.edition-courage.de

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