Ist konservatives Denken blind für die Grundlagen der Familie? (Fh 2013/2)

von Johannes Resch (1)

In einem viel beachteten Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 6. Mai 2013 beklagt Norbert Blüm den Verfall der Familie. Kernsätze sind: „Kinder werden vom Staat betreut – und der Gesetzgeber fördert das“; „Der neue Mensch wird nie und nirgends von der Liebe berührt“; „Die Gesellschaft verliert ihren Zusammenhalt“.(2) Über die Ursachen dieser Entwicklung ist aber nichts zu lesen.

Was Blüm schreibt, entspricht der Wirklichkeit. Aber er verschweigt oder ist sich dessen gar nicht bewusst, dass er selbst wie kaum ein anderer dafür mitverantwortlich ist. Als Arbeitsminister vertrat er über 16 Jahre lang (1982 bis 1998) eine Sozialpolitik, die der Familie regelrecht die Grundlage entzogen hat. Sähe er das ein, wäre seine Erkenntnis ein großer Gewinn. So aber sind seine Gedanken nur ein Schulbeispiel weltfremden konservativen Denkens, das den Zusammenhang zwischen veränderten gesetzlichen Regelungen und neuen, daraus folgenden Wertvorstellungen nicht begreift. – Während Erwachsene auch bei geänderten Bedingungen dazu neigen, ihre erlernten Wertvorstellungen beizubehalten, stellt sich eine neue Generation auf die neue Situation ein.

Blüm schreibt: „Ehe und Familie sind die großen Stabilisatoren der Evolution“. Er übersieht, dass sich diese Stabilität aus der „Liebe“ speiste, die Folge des Gebens und Nehmens zwischen Eltern und Kindern war. Eltern sorgten für ihre Kinder und wurden im Gegenzug im Alter wieder von ihnen versorgt. Erst die Sozialpolitik Adenauers (Stichwort Rentenreform 1957), die von Blüm konsequent fortgeführt wurde, hat diese Beziehung zerstört. Erst durch die Bindung der Alterssicherung an Erwerbsarbeit wurde Kindererziehung zum Frondienst für die ganze Gesellschaft. Aus der seit Jahrtausenden für größtmögliche soziale Sicherheit sorgenden Familie wurde in wenigen Jahrzehnten ein Hort zunehmender Armut gemacht.

Der heutige „Familienlastenausgleich“ be­trägt höchstens ein Drittel dessen, was den Eltern durch die gesetzlichen Versicherungen entzogen wird. Bleibt diese Enteignung bestehen, wird Familie auch in Zukunft nicht lebensfähig sein – dank der Politik Adenauers, Blüms und von der Leyens. Die Linken und die Feministinnen brauchten nur Beifall zu klatschen.

Hier soll keineswegs gegen eine gesetzliche Absicherung von Alter, Krankheit und Pflege für alle polemisiert werden. Aber wenn diese im Umlageverfahren von den Kindern zu finanzieren ist, muss es als Gegenleistung ein vergleichbares Umlageverfahren für die Erziehungs- und Sachkosten der Kinder zugunsten der Eltern geben. Das gegenwärtige System führt zwangsläufig zur Zerstörung der Familie, der „Liebe“ zwischen Eltern und Kindern, des Sozialsystems und letztlich zur Zerstörung unserer Gesellschaft überhaupt.

Fußnoten:
1) Auf der Homepage des Autors finden sich viele weitere Texte zum Thema, z.B. eine Power-Point-Präsentation zum Generationenbetrug: „Die Enteignung von Eltern und Jugend“.
Siehe www.johannes-resch.de
2) Norbert Blüm: „Von der Liebe bleibt der moderne Mensch verschont“. Süddeutsche Zeitung vom 6.5.2013.

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