Elternentgelt? – Auf jeden Fall! (Fh 2019/3)

Beitragsbild: Vater mit Babytochter

Schweizerinnen bringen neuen Schwung in die Debatte

von Gesa Ebert

Am 14. Juni 1991 streikten in der Schweiz die Frauen, erwerbstätige wie nichterwerbstätige: „… Weil Frauen niedrigere Löhne haben, Weil die Hausarbeit nicht anerkannt wird, Weil Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie ein Mythos ist, Weil …“, riefen sie wieder zum Streik auf, am Freitag, dem 14. Juni 2019.1) Die in Zürich erscheinende WOZ – Die Wochenzeitung widmete ihre Ausgabe vom 13. Juni komplett den vielfältigen Begründungen für diesen Aufstand. Mein Schweizer Schwiegersohn hat sie mir zugeschickt.

Auf dem Titel der WOZ prangt ganz oben die Aussage von Ruth Dreifuss: „Lohn für Hausarbeit? Das ist doch bürgerlich!“ Die 1940 geborene Schweizerin, die zuerst in verschiedenen Berufen arbeitete, dann Wirtschaftswissenschaften studierte, hatte den ersten Frauenstreik vor 28 Jahren mit organisiert. Von 1994 bis 2002 war sie Bundesrätin, also Mitglied der Schweizer Regierung, Ministerin für das Innere. Bundespräsidentin, d. h. Vorsitzende der Regierung, war sie im Kalenderjahr 1999.

Noemi Landolt und Caroline Baur führten für die Sondernummer der WOZ ein Interview mit dieser verdienten Vorkämpferin.2) Es geht darin auch um ihre Leistung für die gesetzliche Rentenversicherung, die AHV.

DREIFUSS: „… Gemeinsam mit anderen Gewerkschafterinnen haben wir einen Gegenvorschlag zur 10. AHV-Revision entwickelt, der in der Geschichte der Schweizer Politik einmalig war, mit den Forderungen, die wir als Feministinnen eingebracht hatten: das Splitting der Rente zwischen Eheleuten und die Erziehungsgutschriften, die es dringend brauchte, denn das Splitting alleine hätte sich nicht in Franken ausbezahlt. Die Erziehungsgutschriften dienen auch als Anerkennung für die unbezahlte Arbeit: in Form eines fiktiven Lohns, um die Renten von Frauen aufzubessern, die keinen Lohn hatten.“

WOZ: „Sie haben die Erziehungsgutschriften als Anerkennung der unbezahlten Arbeit von Frauen erwähnt. Wie stehen Sie zur feministischen Forderung, Hausarbeit zu entlöhnen?“

DREIFUSS: „Ich bin eher dagegen. Das hätte eine Zementierung des traditionellen Rollenbilds zur Folge. Es scheint mir sinnvoller, bei der AHV Lösungen zu finden und zum Beispiel Freiwilligenarbeit so zu honorieren … In einer Familie Hausarbeit zu entlöhnen, scheint mir aber eine eher bürgerliche Idee zu sein.“

WOZ: „Man könnte die Idee auch als revolutionär begreifen: Lohn für Hausarbeit könnte das Kapital enorm herausfordern, denn es würde sichtbar, dass die Gesellschaft auf Arbeit beruht, die kaum bezahlbar ist, so wie Staatshaushalte und die Wirtschaft momentan aufgebaut sind.“

DREIFUSS: „Und dann? Bricht der Kapitalismus zusammen? Wir wissen, wie teuer diese Arbeit wäre. Wir wissen, dass sie im Grunde genommen mehr kostet als die bezahlte Arbeit. Nochmals: Ich bin nicht dafür.“

Dreifuss‘ einziges ernsthaftes Argument gegen die Entlohnung der Familienarbeit – „Zementierung des traditionellen Rollenbildes“ – können wir aus deutscher Sicht widerlegen. Denn seit der Einführung des hiesigen Elterngeldes, das letztendlich ja nichts anderes ist als „Lohn für Familienarbeit“, lassen sich viel mehr Väter von der Erwerbsarbeit freistellen. Anders ausgedrückt: Erst seit die Arbeit mehr als das frühere Erziehungsgeld bringt, sind sie dazu bereit – nicht weil sie jahrzehntelang darum gebeten wurden, die Familienarbeit mit den Müttern „zu teilen“.

Sicher, knapp 80 % der deutschen Väter nehmen nur die zwei bezahlten „Vätermonate“, die ansonsten verfallen würden. Nicht nur Schwaben fänden das dumm. Dass das Gesetz Eltern aber erlaubt, gleichzeitig Elternzeit zu nehmen, viele Väter also gar nicht in die Situation kommen, tagsüber alleine für Kind und Haushalt verantwortlich zu sein, ist ein weiterer Geburtsfehler des Elterngeldes. Dass nicht wenige junge Paare in dieser gemeinsamen Elternzeit Fernreisen mit dem Säugling unternehmen, kommt hinzu. Einen realistischen Einblick in den Alltag mit Kind gibt das nicht.

Positiv ist aber festzustellen, dass durch die bezahlte Elternzeit Männer weniger Ausreden vorbringen können, warum sie auf keinen Fall die Erwerbsarbeit unterbrechen könnten. Frauen haben eine viel bessere Verhandlungsposition. Dadurch, und durch die Bezahlung, ist auch das Selbstbewusstsein der Mütter gestiegen. Ergo: Frauen werden nicht geschwächt durch eine Bezahlung, sondern massiv gestärkt. Das Rollenbild wird also nicht „zementiert“ durch eine Entlohnung der Familienarbeit. Es löst sich auf!

Das gilt auch, wenn die Mutter oder der Vater die Familienarbeit in Vollzeit übernimmt, also nicht gleichzeitig erwerbstätig ist. Der Status der familientätigen Person ist mit Bezahlung ein völlig anderer als derzeit ohne.

Ganz nebenbei würde dadurch auch die finanzielle Situation der Alleinerziehenden gravierend verbessert, denn ein Erziehungsgehalt wäre nicht an den Familienstand gebunden, sondern an das zu betreuende Kind.

Genau diese Effekte hat unser Verband schon 1987 vorhergesagt, als wir die Forderung nach einem „Lohn für Familienhausarbeit“ erhoben. Wir forderten nie „Lohn für Hausarbeit“, weil wir nur jene Hausarbeit bezahlt haben wollen, die mit der Erziehung von Kindern und Pflege von Angehörigen verbunden ist. Das Modell wurde über die Jahrzehnte mehrmals weiterentwickelt. Einzelheiten stehen in den „12 Thesen zum Erziehungsgehalt“.3)

Es gibt viele Schweizerinnen, die zur Familienarbeit eine differenziertere Meinung haben als Ruth Dreifuss. Sogar die Jusos befassen sich ernsthaft damit. In Deutschland weitgehend unbeachtet, wird in unserem Nachbarland die Debatte über eine Entlohnung geführt.

„Wirtschaft ist Care oder: Die Wiederentdeckung des Selbstverständlichen“, so lautet der Essay, den Ina Praetorius, Schweizer Germanistin und promovierte Theologin, 2015 bei der Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht hat.4) Sie fragt darin: „Wie lassen sich Care-Tätigkeiten – lohnförmig oder anders – so honorieren und sichern, dass gutes Leben in bezogener Freiheit für alle Realität werden kann?“ Viele ihrer Texte sind auch bei www.bzw-weiterdenken.de zu finden.

Der von ihr mit gegründete Verein „Wirtschaft ist Care“, WiC, macht viele Veranstaltungen und Kampagnen (Postkarten) zum Thema und bereitet die Siebte Schweizer Frauensynode 2020 mit vor. Brandneu ist der Kurzfilm „Wirtschaft ist Care“.5) WiC ist Partnerorganisation der „Care Revolution“.

Ina Praetorius war im März 2006 Referentin auf einem Seminar unseres Verbandes Familienarbeit e.V. in Königswinter. Sie hält in der ganzen Schweiz Vorträge, aber z.B. auch bei der IG Metall Kassel am 17. Okt. 2019: „Die große Wirtschaft und das bisschen Haushalt oder – wie seltsame Weltbilder sich auf unsere Alltage auswirken.“

„Feministinnen fordern einen Lohn für Hausarbeit“, so ist ein Artikel der Online-Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 15. April 2019 überschrieben: „… Ein Thema beschäftigt die Aktivistinnen besonders: die unbezahlte Arbeit von Frauen im Haushalt und in der Familie. Im März hat eine nationale Streikversammlung einen Appell mit Forderungen unterzeichnet. Im Appell heißt es: ‚Wir fordern eine Wirtschaftspolitik, die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit ins Zentrum stellt und diese finanziert.‘ … Eine Gruppe von Feministinnen aus Bern lässt nun eine Forderung aus den 1970er Jahren wiederaufleben: Lohn für Hausarbeit … Anja Peter ist Historikerin, Mutter, Hausfrau und zu 70 Prozent als Projektleiterin angestellt. Sie mobilisiert für den Frauenstreik und ist in einem feministischen Netzwerk aktiv, das sich hauptsächlich mit Sorgearbeit befasst…“6)

„Frauen sollen heute möglichst viel Erwerbsarbeit leisten, um ökonomisch unabhängig zu sein. Meine Erwerbsarbeit leiste ich auf Kosten schlecht bezahlter Frauen, die meine Kinder betreuen und meine Wohnung putzen. Trotzdem bleibe ich abhängig, weil mein Lohn nicht reicht, um mich und meine Kinder zu versorgen.“ So zitiert Bettina Dyttrich in einem WOZ-Artikel vom 20.09.2018 Anja Peter („Wir haben schon entschieden, der Streik wird stattfinden“). – Die Autorin schreibt weiter: „So gehe es vielen Frauen, sagt die 38jährige Berner Historikerin und Mutter von drei Kindern. „Frauen, die Kinder, Kranke und Alte betreuen, sollen anständig bezahlt werden. Wir müssen aufhören, erwerbstätige Frauen gegen hausarbeitende Frauen auszuspielen.“7)

Mascha Madörin, Schweizer Volkswirtschaftlerin, die sich beruflich mit internationalen Wirtschaftsbeziehungen, Finanzkrisen, dem Finanzplatz Schweiz … befasst hat, widmet sich seit etwa 1994 verstärkt der feministischen Ökonomie.8) Sie sagt, wenn in einer Familie die Zeit für unbezahlte Arbeit schrumpfe, sinke der Lebensstandard. Im Interview von 2016, das von Bettina Dyttrich, Stefan Howald und Susan Boos anlässlich ihres 70. Geburtstages geführt wurde, erklärt sie das so: „Wenn die Zeit nicht reicht, das tun zu können, was das Leben angenehm macht und das Essen konsumierbar, verringert sich die Lebensqualität. Ich finde viele Debatten über Haus- und Familienarbeit seltsam. Immer wieder wird so getan, als sei alles nur eine Frage der effizienten Organisation. Das stimmt einfach nicht.“9)

„Ich habe zusammen mit meinen Kolleginnen vom Netzwerk Wide Optionen diskutiert. Wir sind zum Schluss gekommen, dass das Aufziehen von Kindern und die Pflege von Alten und Kranken zu Hause bezahlt werden müsste.“ Diese Antwort gab sie Katharina Wehrli in einem Interview (WOZ, 30.05.2019), auf deren Frage, was sie von der Forderung nach Bezahlung der Hausarbeit halte.10)

„Um wie viel Geld geht es da?“ „ Wenn man alle unbezahlte Arbeit von Männern und Frauen rund um das Aufziehen von Kindern bis vierzehn Jahre – inklusive die zusätzlich nötige Hausarbeit – bezahlen würde, wären das in der Schweiz geschätzte 107 Milliarden Franken pro Jahr.“ „Welche und wie viel Arbeit würde vergütet?“ – „Das sind die politisch brisanten Fragen. Auch: Mit welchem Stundenansatz würde sie vergütet? … Geht das Geld direkt an die Mütter oder an Haushalte, wie es das Konzept ‚Lohn für Hausarbeit‘ vorsieht, oder an Angestellte staatlicher Kinderkrippen wie in den skandinavischen Ländern? …“

„Sollte Hausarbeit bezahlt werden?“, betitelte der Deutschlandfunk einen Beitrag von Sophia Boddenberg (Sein und Streit, 13.01.2019). Die Autorin berichtet über die in New York lebende 76jährige Philosophin Silvia Federici, die gerade in Lateinamerika von den Frauen gefeiert wurde. Zitat Federici: „Die Frauen sind in die globale Wirtschaft integriert worden, und so konnte der Kapitalismus zu einer neuen Blüte kommen. Vor diesem Hintergrund fordern wir die Entlohnung der Hausarbeit, also der Arbeit, die Frauen schon immer erledigt haben. Dabei geht es nicht darum, die Hausarbeit zu institutionalisieren und zu sagen, dass Frauen zu Hause bleiben sollen. Es geht darum, Nein zu sagen zu unbezahlter Arbeit im Kapitalismus.“11)

Auch auf das Manifest Feminismus für die 99 % möchte ich noch hinweisen, 2019 veröffentlicht u.a. von der amerikanischen Philosophin Nancy Fraser. Es wird kritisiert, dass der seitherige Mainstream-Feminismus sich lediglich für die Belange einer kleinen Schicht der Menschheit einsetzt, eben für ein Prozent.12)

Zurück in die Schweiz. Der Schweizer Nationalrat hat am 11. Sept. 2019 beschlossen, dass Väter künftig zwei Wochen bezahlten „Vaterschaftsurlaub“ nehmen können. Der sozialdemokratischen Partei geht das nicht weit genug. Am 14. Sept. lancierte sie für den Kanton Zürich eine Volksinitiative für neun Monate Elternzeit, hälftig zu nehmen von Vater und Mutter. Täuscht der Eindruck, dass in der Schweiz das Thema Familienarbeit lebhafter diskutiert wird als hierzulande, auch witziger, weniger ideologisch verbissen? In Deutschland wird dagegen geforscht, geforscht, geforscht … Brauchen wir eine „Greta“, um die Missachtung der häuslichen Arbeit zu einem großen politischen Thema zu machen?

Fußnoten:

1) Zehn Gründe, warum wir streiken:  www.zuerich.vpod.ch/downloads/2019/10-gruende-warum-wir-streiken.pdf

2) www.woz.ch/-9cc8

3) 12 Thesen zum Erziehungsgehalt: in Familienarbeit heute 2/2018, www.familienarbeit-heute.de/?p=5257

4) www.boell.de/de/2015/02/19/wirtschaft-ist-care-oder-die-wiederentdeckung-des-selbstverstaendlichen

5) www.wirtschaft-ist-care.org, zu finden unter Neuigkeiten

6) Netzwerk WIDE Switzerland: www.wide-switzerland.ch

7) www.woz.ch/-908e

8) www.maschamadoerin.ch

9) Interview in „Quer denken: Mascha Madörin. Hrsg. Bettina Dyttrich, Stefan Howald, edition 8, Zürich, 2016 (S. 39 ff)

10) Wie die Frauen um 100 Milliarden betrogen werden, www.woz.ch/-9bf6

11) Publikationenen von Silvia Federici u.a.: Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution, edition assemblage, Münster, 2012

12) https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/detail/feministische-front-im-klassenkampf-3691/

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