Briefaktion Betreuungsgeld: Stellungnahme des Verbandes (Fh 2010/2)

BROSAMEN FÜR ERZIEHUNG ZU HAUSE – MILLIONEN FÜR KRIPPEN – MILLIARDEN FÜR BANKEN ?

Eltern sollten beides fordern: Betreuungsgeld und Betreuungsplätze

Das Betreuungsgeld wurde wiederholt von Frauen- und Familienverbänden einschließlich des Deutschen Frauenrates und des Kinderschutzbundes sowie von kirchlichen Organisationen und Parteien als „rückschrittlich“ angegriffen. Wegen der aktuellen Sparpläne der Regierung hat der Deutsche Frauenrat Anfang Juni erneut an die Kanzlerin appelliert, das geplante Betreuungsgeld zu streichen – die geplanten Mittel für den Krippenausbau (12 Mrd. Euro bis 2013, ein Drittel davon vom Bundeshaushalt), aber nicht zu kürzen.

Als Verband, der nicht im Deutschen Frauenrat vertreten ist – weil dieser ihm seit 30 Jahren die Mitgliedschaft verweigert –, greifen wir hier die vorgebrachten Einwände gegen ein Geld für die häusliche Betreuung von zwei- bis dreijährigen Kindern auf und setzen unsere Argumente dagegen.

Der folgende Brief geht an die Bundeskanzlerin, die Familienministerin, die Bundestags-Fraktionen, an die Verbände, die evangelische und katholische Kirche sowie an die Medien.

Sehr geehrte Damen und Herren,

vorangestellt sei, dass wir jegliche Einsparungen bei Leistungen für Eltern kritisch sehen. Denn Familien sind nach wie vor wirtschaftlich benachteiligt, die Erziehung von Kindern aber ist systemrelevant. Die öffentlichen Kassen sind durch die Misswirtschaft und Subventionierung vieler Banken leer geräumt. Zur Sanierung heranzuziehen sind die Verursacher. Die beabsichtigte Kürzung der Lohnersatzquote beim Elterngeld von 67 auf 65 % ab einem bereinigten Nettoeinkommen von 1.240 Euro trifft Eltern mit geringerem Lohn. Den nicht angetasteten Höchstbetrag von 1.800 Euro bekommen vor allem Männer. Das Statistische Bundesamt veröffentlichte folgende Zahlen, bezogen auf Eltern, die im 2. Quartal 2009 den Bezug des Elterngeldes beendet haben: Mehr als die Hälfte der Mütter (54 %) bekam weniger als 500 Euro. Über 1.000 Euro Elterngeld erhielten nur 16 % der Mütter, aber 50 % der Väter. Müttern wird damit die Botschaft gegeben: Wenn der Mann die Familienarbeit macht, ist das mehr wert. – Das Elterngeld muss korrigiert werden, um einige Geburtsfehler zu beseitigen. Dazu gehört der geringe Sockelbetrag von 300 Euro. Außerdem verschärft die Ausgestaltung des Elterngeldes als Lohnersatz die – sonst immer angeprangerte – Lohndiskriminierung der Frauen noch, oder nutzt sie bewusst aus.

Nun zum Betreuungsgeld, das 2013 eingeführt werden soll, parallel zum Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Die GegnerInnen wollen einseitig alle Mittel für den Krippenausbau und behaupten, ein Betreuungsgeld sei: rückschrittlich, kontraproduktiv, verhindere Bildung, verstoße gegen die Elternautonomie und Wahlfreiheit und würde ohnehin zu Konsumzwecken der Eltern entfremdet. Es fallen Begriffe wie „Schnapsgeld“, „Herdprämie“, „Gluckengehalt“. Dabei ist der Betrag von 150 Euro ein äußerst geringer Ausgleich für die mehr als 1000 Euro, die ein entsprechender Platz in einer Tagesstätte monatlich kostet.

Behauptung 1: Kinder würden in einer Betreuungseinrichtung generell besser gefördert.
Dass Kinder aus problematischen Verhältnissen besser in öffentlicher Betreuung aufgehoben seien als zu Hause, ist durch keine Studie belegt. Sollte hier von besserer Förderung die Rede sein, wird stets von „qualitativ hochwertigen“ Einrichtungen mit gutem Personalschlüssel (eine Erzieherin auf drei Kinder in der Altersklasse 0 – 3 Jahre) gesprochen, was im Normalfall in Deutschland nicht gegeben ist. Auch Kindern mit „Migrationshintergrund“ ist nicht zwingend durch Betreuungsplätze geholfen. Es ist viel wichtiger für diese Kinder, dass sie zunächst ihre Muttersprache gut lernen, um dann die Landessprache begreifen zu können. Erfahrungen zeigen, dass dies ab drei Jahren noch sehr gut möglich ist. Sonstige Risiken – wie z. B. Suchtprobleme – gibt es in allen Bevölkerungsschichten. Sie müssen gesondert betrachtet werden. und bedürfen individueller Behandlung.

Behauptung 2: Eltern seien nicht in der Lage, mit dem Geld richtig umzugehen.
Der überwiegende Teil der Eltern will nur das Beste für seine Kinder. Sollte es dennoch zu Vernachlässigung kommen, brauchen diese Familien Hilfe und keine Strafe. Lediglich 2,2 % der unter 20-Jährigen bekamen 2008 Hilfen zur Erziehung. Noch weniger wurden als vernachlässigt gemeldet. – Die Forderung, das Betreuungsgeld nur in Gutscheinen zu gewähren, wurde seltsamerweise in Bezug auf Pflegegelder des Jugendamtes oder der Pflegekasse noch nie in Erwägung gezogen, obwohl es auch hier Vernachlässigungsfälle gibt.

Behauptung 3: Ein Betreuungsgeld prämiere eine bestimmte Form der Betreuung. – Die ebenso aus Steuergeldern finanzierten Krippenplätze seien dagegen keine Prämierung einer bestimmten Form.
Die Elternautonomie darf nicht eingeschränkt werden. Das heißt: Wie Eltern ihre Kinder betreuen, soll weder prämiert noch bestraft werden. So sieht das auch unsere Verfassung vor (Beschluss BVerfG, 2 BvR 1057/91, vom 10. 11. 98). Da jedoch derzeit jeder Ganztags-Betreuungsplatz für 0 – 3-Jährige in einer Kita mit rund 1000 Euro monatlich staatlich subventioniert und somit sehr wohl prämiert wird, gibt es nur eine Schlussfolgerung: Entweder tragen Eltern in Zukunft die Kosten für die externe Betreuung ihrer Kleinstkinder komplett selbst – oder Eltern, die ihre Kinder bis zum dritten Geburtstag selbst betreuen wollen, erhalten den entsprechenden Betrag ausgezahlt.

Behauptung 4: Das Betreuungsgeld sei ein emanzipatorischer Rückschritt und setze falsche Signale für Frauen
Weder war das Erziehungs- und ist das Elterngeld geschlechtsgebunden, noch wird es das Betreuungsgeld sein. Wer behauptet, das Betreuungsgeld sei ein Rückschritt und würde falsche Signale für Frauen setzen, ignoriert zweierlei: Erstens, dass viele Frauen in den ersten Jahren ihr Kind selbst betreuen wollen. Zweitens, dass in unserer Gesellschaft unbezahlte Arbeit massiv abgewertet ist; dieselbe Arbeit aber sofort aufgewertet und für Männer interessant ist, wenn sie bezahlt wird – siehe Elterngeld. Nur durch Aufwertung der häuslichen Arbeit wird sich die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern verändern – nicht durch Kindertagesstätten (in denen andere – schlecht bezahlte – Frauen die Kinder versorgen).
Die Aufforderung an Mütter, nach einem Jahr wieder voll erwerbstätig zu sein, zieht nach sich, dass Männer nach einem Ende der Beziehung fast keinerlei finanzielle Verpflichtungen ihren geschiedenen Frauen gegenüber mehr haben, und diese dann Erwerbsarbeit plus Kindererziehung alleine schultern müssen. Als Emanzipation oder Fortschritt verstehen wir das nicht.

Behauptung 5: Wahlfreiheit würde ausschließlich durch -genügend Betreuungsplätze hergestellt
Echte Wahlfreiheit haben Mütter erst dann, wenn sie neben der Wahl, erwerbstätig sein zu können, auch die Wahl haben, nicht erwerbstätig sein zu müssen, sondern sich auf die Familienarbeit konzentrieren zu können – ohne die finanziellen und rechtlichen Nachteile, die sie derzeit dafür hinnehmen müssen.
Familienarbeit in Teilzeit zu leisten mit zusätzlicher Erwerbsarbeit bedeutet, dass in den verbleibenden Stunden, der eigentlichen Erholungs- und Freizeit, noch alle Dinge erledigt werden müssen, die für einen reibungslosen Ablauf des Familienlebens notwendig sind. Dazu gehören Erziehungs- und Hausarbeit ebenso wie Behördengänge und Arztbesuche. Das heißt, dass es kaum Erholungsphasen gibt für diese Mütter, die Arbeit mit Arbeit vereinbaren, was auf Dauer zu gesundheitlichen Schäden führt und Alleinerziehende besonders trifft.
Diese Überbelastung wäre erst dann beseitigt, wenn das Ideal vieler junger Frauen verwirklicht wäre, also beide Elternteile je zur Hälfte Familien- und Erwerbsarbeit leisteten. Die Mütter sind jedoch oft enttäuscht über die Nichteinhaltung von solchen Arbeitsteilungs-Verabredungen (siehe das Buch „Bitterfotze“ der Schwedin Maria Sveland). Grundsätzlich sollte aber alles getan werden, was dabei hilft, diese Lebensform zu ermöglichen. Dazu gehört ganz sicher – neben dem, was Betriebe in Hinsicht auf qualifizierte Teilzeit leisten müssen -, dass für Familienarbeit auch nach dem ersten Lebensjahr des Kindes eine Entlohnung gezahlt wird. Ohne sie werden sich weiterhin die meisten Väter geschickt um die Arbeit zu Hause drücken.
Ein bedarfsgerechter Ausbau von Betreuungsplätzen für alle Altersgruppen von Kindern wird und kann also nur die eine Hälfte der Wahlfreiheit sein.

Obwohl wir das Betreuungsgeld grundsätzlich befürworten, haben auch wir Kritik daran: Es ist viel zu niedrig und kann Eltern ihren Rechtsanspruch auf einen Platz in einer öffentlichen Einrichtung oder bei einer Tagesmutter nicht abkaufen. Bei Einklagen eines solchen Platzes vor Gericht dürfte inklusive Lohnausfallkosten ein weitaus höherer Betrag angesetzt werden als lediglich 150 Euro.

Beides ist nötig: Gute (!) Betreuung außerhalb der Familie und die vergleichbare finanzielle Anerkennung für Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen wollen. Frauen- und Familienverbänden sollte daran gelegen sein, dass Kindererziehung – egal, von wem sie geleistet wird – endlich angemessen honoriert und besser in der Rente angerechnet wird.

Wir fordern die Verbände auf, sich mit uns gemeinsam dafür bei Bundestag und Bundesregierung einzusetzen;
im Interesse der Kinder, also der Zukunft unseres Landes.

Verband der Familienfrauen und -männer e.V.
der Gesamtvorstand
Juli 2010

Weitere Argumente zum Thema Betreuungsgeld
siehe Fh 2010/1: Der Streit um das Betreuungsgeld,
sowie Briefe dazu in Fh 2010/2.
Zum Elterngeld
siehe Fh 2006/2: Geburtsfehler beim Elterngeld

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