Langfassung des Berichts über die diesjährige Schweizer Tagung zur Haus- und Familienarbeit.
von Gesa Ebert, Stuttgart
In Bern auf dem Campus Muristalden fand am 15. Mai 2004 die dritte Fachtagung zur Haus- und Familienarbeit statt. Die Forschungsgruppe Hauswirtschaft stellte erste Ergebnisse ihres derzeitigen Forschungsprojektes "Hauswirtschaftliche Bildung für eine Gesellschaft im Wandel" vor und diskutierte sie mit Verantwortlichen sowohl aus dem Bildungsbereich als auch aus der Politik. (Initiiert wurde die Forschungsgruppe von Dr. Christof Arn – er ist vielen dhg-Mitgliedern von seinem Vortrag auf der Feier zum 25jährigen Bestehen des Verbandes bekannt – und von Annemarie Lüdi.)
Wenig überraschend war, dass auch in der Schweiz der hauswirtschaftliche Unterricht in den allgemeinbildenden Schulen immer stärker verkürzt wird bis hin zur drohenden Streichung aus dem Lehrplan. Als Begründung wurde genannt, auch die Schweiz müsse sparen. Es verwundert auch nicht, dass Studierende, die dieses Fach lehren wollen, darüber klagen, dass ihr Fach abgewertet und oft nicht ganz ernstgenommen wird (es sei ein "Plöischlifach"). Eine Studentin stellte aber fest, dieses Fach (Natur-Mensch-Mitwelt heißt es im Kanton Bern) sei Volkswirtschaft, Politik und Soziologie in einem, nur viel praktischer. Dies berichtete Hans Bächler, Dozent für Pädagogik und Psychologie an der PH Zentralschweiz.
Als Grund für die Abwertung nannte Ingrid Rusterholtz – bis Ende Juni 2004 Leiterin des Gleichstellungsbüros Basel-Stadt -, dass dieser Unterricht ja auf den nicht bezahlten Arbeitssektor vorbereite. Aber angesichts der Tatsache, dass im Kanton Basel-Stadt nur 173 Millionen Stunden bezahlte Arbeit verrichtet würden, dagegen aber 204 Millionen nicht bezahlte Arbeit, bereite dieser Unterricht auf einen riesigen Arbeitsbereich vor. Früher sei gesichert gewesen, dass (geschlechtsdiskriminierend) wenigstens die Frauen dafür ausgebildet waren. Heute dagegen ist der hauswirtschaftliche Unterricht für alle freiwillig. Aber nicht zuletzt im volkswirtschaftlichen Interesse (sie wies auf die zunehmende Zahl der fehlernährten Kinder hin) sei ein verbindlicher Unterricht – selbstverständlich für beide Geschlechter – sinnvoll und unbedingt notwendig. Interessant für mich war, dass diese Gleichstellungsbeauftragte keinerlei abwertendeÄußerung über die Haus- und Familienarbeit machte, im Gegenteil. Das bin ich aus Deutschland leider anders gewohnt.
Diejenigen Jugendlichen, die so mutig sind, das Fach Hauswirtschaft anstelle des alternativen Faches Technik zu wählen, geben Aufschlussreiches preis. Dr. Ute Bender berichtete höchst anschaulich von ihrem laufenden Forschungsprojekt an der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Breisgau. Sie begleitet eine 7. Klasse Hauptschule während eines ganzen Schuljahres im Unterricht. So sitzt sie einmal in der Woche auch in der Schulküche, beobachtet, schreibt mit, lässt Video-Aufnahmen herstellen. Danach gefragt, was ihnen im Hauswirtschafts-Unterricht gefalle, sagen die Jugendlichen, dass ihnen das Praktische, das Tätigsein in diesem Fach so gefällt; es gibt ein greifbares Ergebnis. Die Motivation der SchülerInnen sei immer sehr hoch, auch wenn viele oft zuerst gar nicht wüssten, wie ein Rezept umzusetzen sei. Gelernt würde häufig durch "nachmachen", also von anderen Jugendlichen "abspicken" und erfragen. Eine Methode, die im sonstigen Unterricht ja verpönt sei. In keinem anderen Fach würden sie sich so viel gegenseitig helfen und so selbstverständlich fragen. Auffallend sei, dass es tatsächlich 13Jährige gebe, die nicht wüssten, wie mit einem Ei umzugehen ist. Das bedeute, dass dort zu Hause keinerlei Nebenbei-lernen mehr stattfinde.
Fach Hauswirtschaft lehrt Teamarbeit
Mein Fazit aus dem Vortrag von Ute Bender: Nicht "nur" zur Selbstversorgung und Versorgung einer eigenen späteren Familie, sogar zur Einübung der vielgeforderten Fähigkeit, im Team arbeiten zu können, ist der Hauswirtschaftsunterricht offensichtlich das ideale Fach. Neben dem praktischen Kochen gehört dazu auch: Wissen über gesunde Ernährung, sinnvoller Einkauf, kritischer Umgang mit Werbung, Mode und Umwelt, Textiles Werken, vernünftiger Umgang mit dem vorhandenen Geld, partnerschaftliche Aufgabenteilung im Haushalt.
Dies ist nur ein knapper Bericht dieser hochinteressanten Tagung. Die komplette Dokumentation ist für eine gewisse Zeit auf der Homepage des Schweizer Netzwerkes HausWirtschaftsForschung zu finden: www.wandel.open-research.net/index.php?pr=1 . Dort kann auch zum Thema diskutiert werden.
Am 17. Juni 2004 hat sich in Bern der Schweizer "Berufsverbandes der Familienmanagerinnen und -manager" gegründet. Ebenfalls eine Initiative des Netzwerkes HausWirtschaftsForschung:
www.verbraucherministerium.de/index-00031B9348C210D1A91E6521C0A8D816.html)
Immer mehr verschuldete Jugendliche und Familien ist das zweite große Problem. Es entsteht aus der Unfähigkeit zu wirtschaftlichem Denken und Handeln. 2,8 Millionen Deutsche sind überschuldet; zwölf Prozent der 13- bis 24-Jährigen haben Schulden von durchschnittlich 1800 Euro, im Jahre 2004 wird es erstmals mehr Verbraucherinsolvenzen als Firmenpleiten geben (Bericht in der Stuttgarter Zeitung vom 27.05.04).
Hierzu sagte die auch für den Verbraucherschutz zuständige Ministerin Renate Künast:
"Eine finanzielle Allgemeinbildung ist die grundlegende Voraussetzung, um als aufgeklärte Verbraucherinnen und Verbraucher auf gleicher Augenhöhe mit Verkäufern, Versicherungsvertretern oder Bankangestellten verhandeln zu können."
(siehe Pressemitteilung vom 14.06.04 aus dem BMFSF: Der Umgang mit Geld will früh gelernt sein:
www.bmfsfj.de/Kategorien/Presse/pressemitteilungen,did=18798.html
Ein Unterrichtsfach, in dem diese finanzielle Allgemeinbildung sowie die Grundlagen der Ernährung auch jenen Kindern und Jugendlichen vermittelt werden, die diesbezüglich von den Eltern keinerlei Anleitung bekommen, ist also dringender den je.
Wenn das Fach genauso verpflichtend für beide Geschlechter sein wird wie beispielsweise Mathematik oder Sprachen, wird es auch nicht mehr belächelt werden. Die einen werden es mögen, die anderen weniger, wieder andere werden es sogar hassen, wie Mathe auch. Alle aber werden einen Nutzen daraus ziehen, wenn sie selbst kochen können, anstatt heute dies und morgen jenes Fertiggericht aus der Packung zu schälen. Im Mathematikunterricht dagegen lernen sie nicht einmal, ihre einfachsten Bankgeschäfte zu erledigen.
Die Bildungspolitik würde sich eine große Chance vergeben, wenn sie ein solch motivierendes und sinnvolles Fach nicht endlich ausbauen und nutzen würde.
Die Zeit drängt. Die politisch Verantwortlichen wissen das!
Weitere Hinweise zum Thema:
Näheres zum Unterrichtsfach MUM – Mensch und Umwelt – auf der Webseite einer Lehrerin, die es an einer deutschen Realschule unterrichtet. Posted in Uncategorized