ERZIEHUNGS- UND PFLEGEEINKOMMEN

Positionspapier des Verbandes der Familienfrauen und -männer e.V.*

ERZIEHUNGS- UND PFLEGEEINKOMMEN
Voraussetzung und Grundlage für nachhaltige und gleichgewichtige gesellschaftliche Entwicklung

Was ist Erziehungs- und Pflegeeinkommen?
Unter Erziehungs- und Pflegeeinkommen wird ein monatliches Bruttoeinkommen verstanden, das jene Personen beziehen, die in den privaten Familienhaushalten in der Erziehung und Betreuung von Kindern oder der Pflege von Angehörigen tätig sind. Das Erziehungs- und Pflegeeinkommen orientiert sich in seiner Höhe am durchschnittlichen ArbeitnehmerInneneinkommen (brutto) und am Umfang der für Kinder und Pflegebedürftige geleisteten Arbeit. Beim Erziehungseinkommen ist die Zahl und das Alter der Kinder und beim Pflegeeinkommen der Umfang der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen.

Wollen beide Eltern voll erwerbstätig sein, ist das Erziehungseinkommen der Person / den Personen / der Einrichtung zuzuordnen, die dann die Erziehungsaufgabe wahrnehmen. Wer das ist, entscheiden die Eltern bzw. die Sorgeberechtigten.

Pro Kind wird das Erziehungseinkommen für die Dauer von sechs Erziehungsjahren bezahlt, bei mehreren Kindern wird die Bezugszeit additiv verlängert, bei einem weiteren Kind also auf 12 Jahre, bei drei Kindern auf 18 Jahre usw. Bei Teilzeiterwerbsarbeit (z. B. ab dem 4. Lebensjahr) verlängert sich die Bezugsdauer entsprechend.

Mit dem Einkommen lassen sich dann die verschiedenen Alternativen der Vereinbarkeit von außerhäuslicher Erwerbsarbeit und häuslicher Kindererziehung bzw. Pflege in den privaten Haushalten tatsächlich verwirklichen. Das gilt sowohl für die Verteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen als auch für die unterschiedlichen Erziehungs- und Pflegearten.

Die Finanzierung ist durch eine neue, solidarische, gesetzliche Erziehungs- und Pflegeversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger als Pflichtbeitrag entsprechend ihrem Einkommen, wie bei der gesetzlichen Rentenversicherung, sicherzustellen. Da durch das Erziehungs- und Pflegeeinkommen jeder Haushalt mit einem noch nicht schulpflichtigen Kind ein Zusatzeinkommen hat, können viele bisherige Leistungen (Alg II/Hartz IV, Wohngeld, Bafög, Unterhaltsvorschüsse, Sozialhilfe usw.) entfallen bzw. gemindert werden. Gleichzeitig wird die Arbeitslosigkeit abgebaut, und es werden Leistungen beim Alg I eingespart.

Aufgrund des Erziehungs- und Pflegeeinkommens wird auch die Zahl der Steuer- und BeitragszahlerInnen erhöht. Dadurch können Steuern und Beitragssätze für alle gemindert werden. Viele öffentliche Leistungen werden einschließlich des dafür erforderlichen bürokratischen Aufwands überflüssig. Weil Familien mehr Geld zur Verfügung haben, steigt der Inlandskonsum, was ebenfalls neue Arbeitsplätze schafft. All das führt zu einer weitgehenden Selbstfinanzierung des Erziehungs- und Pflegeeinkommens.

Nach Abschluss der Erziehungs- oder Pflegephase ist der Umstieg in neue Arbeitsfelder zu fördern, wie das schon heute für andere Erwerbstätigkeiten gilt. Die durch Kindererziehung und Pflege erworbene Lebenserfahrung mit ihren vielfältigen praktischen Fertigkeiten ist dabei ihrem Wert entsprechend zu berücksichtigen. Wer eigene Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, wird sich leichter die theoretischen Kenntnisse aneignen können, die für Kinderbetreuung und Pflege außerhalb der Familie zu fordern sind. Die in der Familie gewonnenen Erfahrungen können so zu einem sinnvollen Wachstum an Lebensqualität und Zuwendung in einer menschlicheren Gesellschaft genutzt werden, statt eines sinnlosen Wachstums durch umwelt- und klimabelastenden Luxuskonsum.

Warum Erziehungs- und Pflegeeinkommen?
Soweit das Erziehungseinkommen betroffen ist, handelt es sich um das bisher fehlende Glied im Rahmen des Generationenvertrages. Es sichert damit auch den Fortbestand der Gesetzlichen Rentenversicherung.

Das Erziehungs- und Pflegeeinkommen
– gibt der Erziehungs- und Pflegeleistung im privaten Haushalt den Stellenwert, der ihr in einer Arbeitsgesellschaft als menschlicher Arbeit zusteht.
– vervollständigt den Generationenvertrag um die bisher nicht berücksichtigte fehlende dritte Generation und macht diesen erst nachhaltig und gerecht.
– stärkt das Selbstbewusstsein der die Erziehungs- und Pflegearbeit Leistenden.
– ermöglicht wirkliche Wahlfreiheit zwischen Männern und Frauen in der Entscheidung, wie Familienarbeit mit außerhäuslicher Erwerbsarbeit zu vereinbaren ist, sowie bei der Wahl der Art der Kinderbetreuung.
– ermöglicht wieder Vollbeschäftigung, während die bisher allein auf außerhäuslicher Erwerbsarbeit gründenden Einkommen und Arbeitsplätze durch die fortschreitende Steigerung der Arbeitsproduktivität im industriellen Sektor gefährdet sind. Durch die neuen bezahlten Arbeitsplätze im Dienst von Erziehung, Pflege, Gesundheit und Bildung entsteht Wachstum im Dienstleistungsbereich und wird eine menschlichere Gesellschaft gefördert. Die Familiengründung und die Entscheidung für Kinder erhält in materieller Hinsicht eine zukunftssichernde Perspektive.
– erleichtert ungewollt Schwangeren ein Ja zu ihrem Kind.
– stellt im Blick auf materielle Absicherung Eineltern- und Zweielternfamilien gleich und verringert die Abhängigkeit des erziehenden Elternteils vom unterhaltspflichtigen.
– schafft Flexibilität und zusätzliche zeitliche Spielräume für Erziehende im Hinblick auf ehrenamtliches Engagement und fördert auch dadurch die Lebensqualität in unserer Gesellschaft.

Insgesamt eröffnet ein Erziehungs- und Pflegeeinkommen wieder folgende Zukunftsperspektiven:
1. Dem demografischen Defizit, das nicht nur unsere Sozialsysteme, sondern unsere gesamte Gesellschaft bedroht, wird entgegengewirkt.
2. Die Massenarbeitslosigkeit wird durch nutzenorientierte Erziehungs- und Pflegearbeit erheblich abgebaut und kann sogar überwunden werden.
3. Die Staatsverschuldung wird mittelfristig durch nachhaltige Finanzierung unseres Sozialsystems abgebaut. Langfristig wirkt sich diese Art der Erziehung der Kinder günstig auf deren Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Gesundheit aus und verbessert damit letztlich auch die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft.
4. Mit der Bezahlung von Erziehungs- und Pflegeleistung kommt es zu einem breiten Wachstum von Lebensqualität für alle. Sinnvolle „weiche“, mit Zuwendung verbundene Betätigungsfelder werden gefördert. Umwelt und Klima belastender Luxuskonsum wird eingeschränkt.
5. Die Qualität der Kindererziehung wird als wichtige Zukunftsinvestition verbessert.

Da es sich beim Erziehungseinkommen nicht um eine Transferleistung des Staates im Sinne einer „Hilfe“ handelt, sondern um ein bisher fehlendes Glied im Generationenvertrag, wird auch kein zusätzliches Recht des Staates zur Kontrolle der Familien begründet. Dieses besteht durch die Wächter­funktion nach Artikel 6, Abs. 2, Satz 2 GG ohnehin.

Das Erziehungs- und Pflegeeinkommen entlastet den Zeit- und Geldhaushalt der Familien. Die familiäre Situation wird entspannt, was sich auf die Qualität von Erziehung und Pflege günstig auswirkt. Auch deshalb ist zu erwarten, dass Eingriffe des Staates seltener notwendig werden.

Anmerkung:
* „Der vorliegende Beschlusstext „Erziehungs- und Pflegeeinkommen – Voraussetzung und Grundlage für nachhaltige und gleichgewichtige gesellschaftliche Entwicklung“ soll als Positionspapier des Verbandes Familienarbeit e.V. veröffentlicht und vertreten werden.“
Dies wurde auf der Jahreshauptversammlung am 16. Juni 2011 im Stuttgarter Bahnhofsturm beschlossen.
Zuvor hatten Hans Ludwig, Johannes Resch und Gertrud Martin diesen Text zur Diskussion gestellt. Er ist das Resultat der vffm-Programm-Arbeitsgruppe „Arbeitskreis PEPe“ (Projekt Erziehungs- und Pflegeeinkommen; siehe auch Fh 1/2008, S. 8; Fh 4/2008, S. 3; Fh 1/2009, S. 4-7). Deutlich gemacht und auch nach außen hin vertreten werden soll damit die gemeinsame Position der beiden Konzepte „Einkommen für Erziehung und Pflege“ (früher: GfF/Gehalt für Familienarbeit) des vffm und „Erziehungs- und Pflegeeinkommen“ der Initiative PEPe.

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