Betreuungsgeld: Die Diskussion ist schon lange an die Wand gefahren (Fh 2012/4)

Öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes im Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 14.09.2012 (1)

von Birgit Kelle

Es soll wohl auch irgendwie eine Ehre sein, als Sachverständige eingeladen zu werden, um vor einem Ausschuss des Bundestages zu sprechen. Diese eher zweifelhafte Ehre wurde mir am 14. September zuteil, als das Betreuungsgeld im Familienausschuss erörtert­ wurde. Es war die CSU-Fraktion, die mich eingeladen hatte. Ehrlich gesagt hätte ich nicht erwartet, von einer anderen Fraktion eine Anfrage zu erhalten, auch nicht von der CDU. Mit zu vielen aus der CDU – auch mit einem Mitglied des Familien­ausschusses – hatte ich im vergangenen Jahr ausgiebig zu dem Thema diskutiert, jedoch kaum Zustimmung zu meiner­ Pro-Betreuungsgeld-Position gefunden. Die Gelegen­­heit, in Berlin im Bundestag für das Betreuungsgeld einzustehen, konnte ich natürlich nicht ausschlagen. Immerhin ist es das Gremium, das diese Debatte, die uns nun schon über ein Jahr massiv beschäftigt, endlich zu einem Ende bringen sollte. Die Ernüchterung sollte erst später folgen.

In Berlin dann ist der Raum voll besetzt, die Stimmung angespannt. Alles läuft gesittet, in vorbestimmten Bahnen ab: Einlasskontrolle, vorbereitete Tischkärtchen, gedämpfte Gespräche. Es sind schließlich die heiligen Hallen des Parlaments. Mitarbeiter der Fraktionen sagen, es sei deutlich voller als sonst bei Anhörungen. Interesse an dieser Debatte ist also reichlich vorhanden – zahlreiche Presseteams im Vorraum, viele Zuschauer auf dem Rang. Es kann losgehen.
Die gesittete Ordnung zeigt sich auch im Zeitrahmen. Zwar lässt man Sachverständige aus ganz Deutschland anreisen, viel Zeit bekommen sie jedoch nicht für ihre Stellungnahmen. Jeder der elf Experten, die von den einzelnen Fraktionen proportional zu ihrem Stimmenanteil im Bundestag berufen wurden, hat nur fünf Minuten Zeit. Freund und Feind lassen sich da schnell unterscheiden, aber viel Inhalt kann nicht vermittelt werden. Fünf Minuten sind nicht lang, wenn man doch viel zu sagen hat.

Ich bin als dritte Rednerin an der Reihe, und vielleicht ist das ganz gut so. Hätte ich mir alle anderen Statements vorher anhören müssen, ich wäre vielleicht sprachlos geworden. Die juristischen und medizinischen Aspekte sind von meinen Expertenkollegen ausreichend abgedeckt, meine Worte legen den Fokus deshalb auf die Eltern, vor allem die Mütter und deren Wünsche. Denn das ist ein Aspekt, der in dieser Debatte gerne vergessen wird. Wir reden ja viel über Mütter, aber wenig mit ihnen. Ich erinnere die Abgeordneten daran, dass sie hier sind, um das umzusetzen, was wir Wählerinnen wünschen, und nicht dazu, uns vorzuschreiben, wie wir zu leben hätten. Ich stelle auch klar, dass es den allermeisten Kindern in Deutschland bestens geht bei ihren Eltern. Und ich berichte, dass auf meine Anfrage selbst Mitglieder dieses anwesenden Ausschusses nicht in der Lage gewesen waren, mir zu beantworten, wie viele Kinder in Deutschland denn tatsächlich besser außer Haus als bei den Eltern aufgehoben wären. Dass es nur Schätzungen gibt, wonach zwischen 5 und 10 Prozent der Kinder betroffen sind, was im Umkehrschluss ja bedeutet, dass es 90 – 95 Prozent aller Kinder zu Hause gut geht. Es bestehe also kein Bedarf, sie möglichst schnell aus dem Elternhaus zu holen. Dennoch würden Eltern mit einem Generalverdacht belegt, sie vernachlässigten ihre Kinder und förderten sie nicht richtig.

Noch während ich spreche, sehe ich Fassungslosigkeit in den Gesichtern der Ausschussvorsitzenden und der Abgesandten aus dem Familienministerium an den Tischen vor mir. Noch während ich weiterspreche, frage ich mich, woher diese rührt. Bin ich zu dreist, wenn ich es wage, sie an ihre Pflichten zu erinnern? Stört es, dass ich „Erziehungs-Laien“ wie die Eltern ins Spiel bringe, wo man sich doch bereits darauf geeinigt hat, dass wir Mütter und Väter Störfaktoren sind in einem reibungslosen Kinderlebenslauf?

Die Beiträge, die nach meiner Stellungnahme folgen, bestätigen meinen Verdacht, dass Eltern hier nicht erwünscht sind. Allein Professor Johannes Schroeter vom Familienbund der Katholiken benennt ebenfalls die wichtige Rolle und die Wünsche der Eltern bei der Kindererziehung. Ansonsten ist es eine Schlacht zwischen Juristen, Medizinern und Kostenträgern, die sich auch in den anschließenden Fragerunden fortsetzt. Dort stehen sich vor allem zwei Positionen diametral gegenüber: Einerseits Dr. Rainer Böhm, der erstklassig referiert, wie anhand zahlreicher Studien nachgewiesen wurde, dass durch vermehrten Stress bei zu früher und zu langer Krippenbetreuung Risiken für die kindliche Entwicklung entstehen. Dagegen zieht Prof. Susanne Viernickel von der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin alle Erkenntnisse, die Böhm zitiert hat, in Zweifel und behauptet das Gegenteil. Gleiches spielt sich in der Juristendebatte ab. Auf der einen Seite bestätigt Prof. Dr. Winfried Kluth die Verfassungsmäßigkeit eines Betreuungsgeldes und geht auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ein. Ihm gegen­über behauptet Prof. Joachim Wieland, ein Verwaltungswissenschaftler, genau das Gegenteil.

Nichts, was hier gesagt wird, hat man vorher nicht schon hundertfach gehört. Kein einziges neues Argument kommt auf den Tisch, und zudem widersprechen sich die Sachverständigen komplett, selbst in juristischen Dingen. Ich frage mich nach dem Sinn dieser Veranstaltung. Ja, sicher: unser Gesetzgebungsverfahren schreibt es so vor – das scheint aber auch alles zu sein, was dieser Veranstaltung zu einer Daseinsberechtigung verhilft. Schon längst sind alle Argumente in Zeitungen und Fernsehshows ausgetauscht worden. Die Diskussion ist schon lange beendet, man hätte bereits vor Monaten eine Entscheidung fällen können. Jetzt wird einfach alles noch einmal neu aufgegossen.
Die anschließenden Fragerunden, in denen die Abgeordneten der einzelnen Fraktionen – natürlich ebenfalls mit ganz genau vorge­gebenem Zeitlimit – ihre Rückfragen stellen können, sind ermüdend. Mehrfach brennt es mir unter den Nägeln, mich in die Diskussion einzuschalten. Die Ordnung des hohen Hauses sieht dies nicht vor. Es ist schlimmer als in der Schule: Geredet wird nur, wenn man gefragt wird.
Traditionell fragen alle Fraktionen immer nur „ihre“ Experten. Man will dem politischen Gegner nicht zusätzliche Redezeit gönne­n, sondern­ den eigenen Leuten Gelegenheit geben, ausführlicher zu werden. Christel Humme aus der SPD-Fraktion macht es ganz perfide­. Ausführlich geht sie auf mein Eingangsstatement ein, zitiert mich falsch und verdreht. Sie baut noch ein paar Unterstellungen ein, die mit meinen Ausführungen nichts zu tun haben, um dann jedoch ihre Frage nicht an mich zur Richtigstellung zu richten, sondern Frau Prof. Viernickel erklären zu lassen, warum Frau Kelle falsch liege. Wie ich feststelle, ist das eine beliebte Fragetechnik, die bei mir erneut Zweifel an dem Sinn dieser Veranstaltung auslöst.

Die CDU/CSU-Fraktion verschenkt ihre Fragen weitgehend. Mehrfach beschleicht mich der Verdacht, dass gar kein großes Interesse vorhanden ist, wirkliche Argumente für ein Betreuungsgeld zu hören – sind doch zahlreiche Mitglieder der CDU-Fraktion selbst gar nicht für dessen Einführung. So viele Aspekte hätte man diskutieren können, so vieles bleibt ungesagt. Denn, wie bereits beschrieben: Wo keine Frage, da auch keine Antwortmöglichkeit im Ablaufplan. In den anschließenden Gesprächen bestätigen mir mehrere Teilnehmer, dass ich mit diesem Gefühl offensichtlich nicht alleine bin. Vielleicht fehlt an diesem Tag einfach Dorothee Bär (CSU), eine klare Befürworterin des Betreuungsgeldes. Wegen ihrer komplizierten Schwanger­schaft konnte sie leider nicht nach Berlin kommen und teilnehmen. So musste sie die Sitzung an ihre Kollegen abgeben, die bis auf Norbert Geis wenig leidenschaftlichen Einsatz zeigen.

Nach drei Stunden ist es vorbei. Erkenntnisgewinn gleich null. Erschöpfung auf allen Seiten. Man hat seine Pflicht getan. Ich glaube nicht, dass auch nur eine Person in dem Raum ihre Meinung an diesem Tag auch nur um einen Millimeter verändert hat. Alle hatten ihre Meinung schon vorher und haben dieselbe Meinung anschließend immer noch. Ein Abgeordneter der Grünen bringt es entnervt auf den Punkt: „Irgendwann sind doch der Argumente genug ausgetauscht. Wir wissen doch alle jetzt, was wir davon zu halten haben.“ Zwar bin ich sicher, dass ich etwas anderes davon halte als er, aber grundsätzlich hat er Recht: Es ist schon lange an der Zeit, endlich eine Entscheidung zu fällen.

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Die Autorin ist Journalistin, verheiratet und Mutter von vier Kindern­ zwischen 3 und 13 Jahren. Sie ist Gründungsmitglied und Vorsitzen­de des Vereins Frau 2000plus. Im Mai 2012 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden unseres Verbandes gewählt.

Fußnote:
(1) Dokumente zu der Veranstaltung, u.a. Stellungnahmen der Sachverständigen, Gesetzentwurf zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) und Anträge der Fraktionen sowie das Wortprotokoll der Anhörung sind im Internet veröffentlicht unter www.bundestag.de
Die Einführung des Betreuungsgeldes zum 1. August 2013 wurde am 9.11.2012 beschlossen. Die Filmaufzeichnung der Bundestagsdebatte, der beschlossene Gesetzestext und Stellungnahmen der Parteien sind im Internet publiziert unter www.bundestag.de

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