Ein Mensch, eine Stimme: Wahlrecht auch für Kinder – Ausgabe 2002/3

"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." – Wirklich vom ganzen Volk?

Ein Beitrag von Andrea Randoll
Dass Familienpolitik nicht im Einklang mit dem Grundgesetz steht, stellte das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach fest. 2001 verlangten die Richter im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung erneut, dass mehr für die Familien getan werden müsse.

Aber in einer zunehmend alternden Gesellschaft mit immer weniger Kindern werden deren Interessen eben auch immer weniger mitberücksichtigt. Es ist Praxis der heutigen Politik, sich für die jetzt stimmberechtigten Bürger einzusetzen und dabei zu vergessen, dass der auf Kredit beruhende heutige Lebensstandard von den nachfolgenden Generationen bezahlt werden muss (Renten, Staatsverschuldung). Der im Zusammenhang mit der Rentenproblematik immer wieder erwähnte sogenannte "Generationenvertrag" ist ein von den Politikern einseitig zu Gunsten der heute Erwerbstätigen erdachter Vertrag, der aber weder von den heute Minderjährigen und erst recht nicht von den noch ungeborenen Generationen unterschrieben wurde.

Im Hinblick auf die Bundestagswahl im September scheinen alle Parteien ganz plötzlich die Familienpolitik als eines ihrer wichtigsten Themen entdeckt zu haben. Erfahrungsgemäß werden die meisten Verbesserungen, die im Rahmen des Wahlkampfes versprochen werden, kurz nach der Wahl wegen angeblicher Unfinanzierbarkeit wieder in der untersten Schublade verschwinden.

Um der Familienpolitik tatsächlich mehr an Gewicht zu verleihen, ist ein wichtiger Schritt – vielleicht der wichtigste – die Aufhebung der Altersgrenze für das aktive Wahlrecht. Gemäß Artikel 20.2 Grundgesetz geht alle Staatsgewalt vom Volk aus. Zum Volk gehört jeder Deutsche von der Geburt bis zum Tod. Somit steht Artikel 38.2 GG, der die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht auf 18 Jahre festsetzt, im Widerspruch zu Art. 20.2 GG, weil er einem Teil des Volkes (etwa 20%) sein politisches Grundrecht vollständig entzieht. Ebenfalls stellt im Rahmen des Art. 1 GG (Menschenwürde) die Aufteilung in Bürger erster Klasse (über 18 Jahre mit Wahlrecht) und Bürger zweiter Klasse (unter 18 Jahre ohne Wahlrecht) eine "verfassungswidrige Verfassungsnorm" dar.

Begründet wird die Vorenthaltung dieses Grundrechts – des Wahlrechts – mit der mangelnden Einsichtsfähigkeit Minderjähriger. Andere Grundrechte werden aus demselben Grund allerdings nicht verwehrt: Ab dem Tag der Geburt kann ein Mensch Eigentum besitzen, ein solches kaufen oder verkaufen und muss seiner daraus resultierenden Steuerpflicht nachkommen. Da er auch dieses Grundrecht nicht persönlich ausüben kann, handeln die gesetzlichen Vertreter, in der Regel die Eltern, für ihn. Es ist unzulässig, einem Bürger ein Grundrecht zu verwehren mit der Begründung, dass er noch nicht alt genug sei, es selbst auszuüben.

Zu fordern ist also die Abschaffung der Altersgrenze 18 Jahre für das aktive Wahlrecht. Da Jugendliche ab 14 Jahren bereits straf- und religionsmündig sind, sollten sie ab diesem Alter selbst wählen dürfen. Jüngere Kinder müssen von ihren Eltern vertreten werden – im Rahmen der Fürsorgepflicht und der Elternverantwortung ist das die logische Konsequenz. Dieses stellvertretende Wahlrecht der Eltern verstößt auch nicht gegen die vom BVG geforderte "Höchstpersönlichkeit der Wahl", da ja auch die Abgabe der Stimme mittels Briefwahl und mit Hilfe einer Vertrauensperson möglich ist. Völlig unkompliziert empfiehlt sich die Verteilung des Vertretungsrechts je zur Hälfte auf die beiden Elternteile, bei Alleinerziehenden liegt es ganz bei diesen.

AlleÄnderungen im Wahlrecht mussten bisher erkämpft werden. "Für das Recht zu wählen fehlt es ihnen an politischem Verständnis, an Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge und an geistigen Fähigkeiten, die Tragweite einer Wahl zu verstehen" – das waren unter anderem die Argumente gegen das Frauenwahlrecht.

1996 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde zweier Schüler wegen Vorenthaltung des Wahlrechts nicht zur Verhandlung angenommen mit der Begründung, die Frist für eine solche Beschwerde sei abgelaufen – die Schüler hätten die Klage bereits 1951 einreichen müssen. Einen neuen Vorstoß in diese Richtung plant die Familien-Partei. In den katholischen Diözesen Wien und Fulda wurde bereits erfolgreich das "Familienwahlrecht" für die Pfarrgemeinderatswahlen eingeführt.

Wer wäre besser geeignet als Eltern, eine familienfreundliche Politik herbeizuführen und sich nachhaltig für eine lebenswerte Zukunft der Kinder und Enkel einzusetzen?

Der historische Prozess wird weitergehen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Altersgrenze verschwunden und tatsächlich Demokratie hergestellt ist.

Näheres: RS 2/93 "Indirektes Wahlrecht für Kinder", RS 4/98 "Wahlrecht für Kinder", "Familienwahlrecht – pro und contra", Vektor-Verlag, ISBN 3-929304-14-7
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