Demokratie war gestern – am Beispiel der Bertelsmann Stiftung (Fh 2018/3)

von Beri Fahrbach-Gansky

Eine Hochglanzbroschüre der Bertelsmann Stiftung liegt vor mir. Sie gibt Handlungsempfehlungen für „kommunale Entscheider, Träger und Kindertageseinrichtungen“. Es geht um Armut, soziale Benachteiligung und Bildung. Keine Seite auf der nicht gepredigt wird: Wir brauchen Frühkindliche Bildung, also Krippen, und Ganztagsschulen. In welcher Weise das die Armut der Kinder verändere, bleibt unklar. Viele geflügelte Worte und Behauptungen, die uns aus den Medien höchst vertraut sind, dafür umso weniger Fakten und Beweise. Eine Mitautorin der Broschüre hält landesweit Vorträge über Kinderarmut mit selbem Inhalt.

Das sind Bausteine der Strategie der Stiftung, die zum Ziel hat, die ganze Gesellschaft nach unternehmerischen („neoliberal“) Prinzipien umzugestalten. Alles soll gewinnbringend und effizient „reformiert“ werden. Nachzulesen im Internet.

Die Broschüre und der Vortrag sind schon zehn Jahre alt, an der „Masche“ hat sich nichts geändert. Wenn man zurückschaut, was sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren alles in der Gesellschaft verändert hat, kann man nur staunen. Sämtliche Bereiche: Bildung, Gesundheit, Sozialsysteme, Landwirtschaft, Polizei, Familie, Kirchen, überhaupt Politik und Wirtschaft wurden grundlegenden „Reformen“ unterzogen, ganz im Sinne der verkündeten Ziele von Bertelsmann und anderen. Die frühere Meinungs- und Wertevielfalt ist nahezu vollständig einer Einheitsmeinung und Werteeinheit gewichen. Andere Meinungen werden gar nicht mehr gehört, geschweige denn, dass darüber diskutiert würde. Wenn sie überhaupt beachtet werden, dann nur, um sie zu diffamieren und wahlweise als reaktionär oder rechtsradikal beschimpft und zu verspottet. Unser Verband Familienarbeit e.V., der sich seit vier Jahrzehnten sehr kritisch mit der Entwicklung in Familien- und Sozialpolitik auseinandersetzt und eine andere Politik fordert, kann ein Lied davon singen. Auch dass der Druck auf Andersdenkende immer mehr zunimmt, bekommen wir zu spüren.

Das Erfolgsrezept dieser Organisationen besteht z.B. im Aufbau paralleler Machtstrukturen (Institute, Stiftungen, Beratungen) und deren Sicherung (z.B. durch erwirkte Gesetzesänderungen, Beeinflussung von Schlüsselpositionen). Sie bedienen sich konkreter Strategien, um ihre Ziele durchzusetzen. Sie alle aufzuzählen sprengt hier den Rahmen. Ich kann nur kurz und grob Wesentliches skizzieren und empfehlen, weiter zu recherchieren.

Die ersten Schritte bestehen darin, überhaupt Themen zu bestimmen und zu besetzen, auch sprachlich. Es wird eine bestimmte öffentliche Stimmung erzeugt, z.B. durch Publizieren von Studien, Rankings, durch Seminare und Workshops, bei denen auch gezielt bestimmte Personengruppen angesprochen werden (z.B. Intellektuelle und Führungskräfte). Das soll bewirken, dass Bedürfnisse geweckt und Rufe nach Veränderung laut werden. Strategien, dass hier nicht die Falschen zu Wort kommen, sind mit eingebaut. Im zweiten Schritt werden Entscheidungsträger je nach Lage und Bedarf so manipuliert, geschwächt, gegeneinander ausgespielt, dass in gewünschter Weise entschieden wird. Im dritten Schritt sollen die Beschlüsse durchgesetzt, „implementiert“ werden. Die Betroffenen vor Ort wurden vorher systematisch aus Meinungsbildungsprozessen und der Suche nach Lösungen ausgeschlossen. Das erklärt eine gewisse Realitätsferne. Deswegen bedarf es wieder aller möglichen Kniffe, sie dazu zu bewegen, ohne Aufbegehren und eigenes Nachdenken Beschlossenes auch umzusetzen. Seit Jahrzehnten verfolge ich das in der Familienpolitik, in der Pflege- und Bildungsdiskussion: Nach langer Meinungsmache werden Konzepte einfach übergestülpt. Viele spüren hier ein Unbehagen, meistens ohne genau benennen zu können, warum.

Es müsste unmittelbar einleuchten, dass das mit Demokratie nichts mehr zu tun hat. „Die immanente Optimierungsrationalität des Effizienzdenkens sucht also nach einer Minimierung der demokratischen Reibungsverluste – was allerdings einer Minimierung der Demokratie gleichkommt.“ Die „Kulissen der Demokratie“ werden stehen gelassen und „die politische Folklore, wie Wahlen, Parlamentsdebatten …“ wird nicht angetastet. 1)

Mancher mag sich fragen, wie das möglich ist. Über 75 Prozent der Anteile an der Bertelsmann AG gehören der Bertelsmann Stiftung. Dazu kommen gewaltige Steuervorteile. Gelder in achtstelliger Höhe stehen zur Verfügung, Gelder, für deren Verwendung sich niemand rechtfertigen muss. Damit lässt sich durchaus etwas bewegen. Zudem gehören der Bertelsmann AG viele Unternehmen. Besonders praktisch ist die Kontrolle über einen Teil der Medien, Verlage, Sender, Magazin-Verlage und im Bildungssektor. Sozusagen hat sich der Bock zum Gärtner ernannt. Und die Bertelsmann Stiftung ist nur einer von vielen Drahtziehern.

Das wäre alles nicht so schlimm, könnten die Ergebnisse dieser Reformen schlußendlich wenigstens überzeugen. Aber in Pflege und Bildung herrschen Chaos und Mangel, Krippenkinder erleiden Stress, der sie fürs ganze Leben empfindlich macht, Familien verarmen. Die katastrophalen Folgen auf dem Finanzsektor kennen wir alle. Diese Liste kann man beliebig verlängern. In einer Politik, in der es nur noch um Effizienz und Gewinne (für wenige) geht, bleibt die Menschlichkeit zwangsläufig auf der Strecke.

Literatur:

1) Burchhardt, Matthias, „Liebesgrüße aus Gütersloh, Postdemokratie am Beispiel der Bertelsmann Stiftung“ in Deutsches Pfarrerblatt, Heft 9/2013, 113. Jahrgang

außerdem:
– Renz-Polster, Herbert, „Die Kindheit ist unantastbar. Warum Eltern ihr Recht auf Erziehung zurückfordern müssen“, BeltzVerlag, Weinheim Basel, 2014
– Müller, Albrecht, „Meinungsmache: Wie Wirtschaft und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen“, Droemer-Knaur, 2009
– Prof. Dr. Ilona Ostner, „Auf den Anfang kommt es an“ – Anmerkungen zur „Europäisierung des Aufwachsens kleiner Kinder“ Fachzeitschrift Recht der Jugend und des Bildungswesens, RdJB, 2009, 57(1), S. 44-62