Digitalisierung in der Pädagogik (Fh 2018/2)

von Silke Bürger-Kühn

Lernen bleibt Lernen 1)  –  in Zeiten der Digitalisierung sollen alle Lebensbereiche revolutioniert werden, so gibt es auch die Vision „Lernen 4.0“, vergleichbar mit Industrie 4.0 bzw. Medizin 4.0

Die Erfahrung zeigt jedoch schon lange, dass die Digitalisierung alleine wenig bringt, da der Lernvorgang an sich dadurch nicht verändert wird. Somit hängen die positiven Auswirkungen der Digitalisierung allein davon ab, ob sie sinnvoll in die Pädagogik integriert werden kann und nach allem, was bisher aus den Medien zu entnehmen ist, wird das nicht so sein. Im Gegenteil haben Studien des Bundesbildungs- 2) und des Bundesgesundheitsministeriums 3) ergeben, dass bei etwa der Hälfte der (Grundschul-) Kinder die Lernschwierigkeiten durch die Nutzung digitaler Medien so erheblich sind, dass bei ihnen eine schulische Entwicklungsstörung (Lese-, Rechtschreib-, Rechenschwäche) diagnostiziert wird; der Begriff „Digitale Demenz“ wurde schon 2012 von Manfred Spitzer geprägt.

Es ist wohl unbestritten, dass neue Medien eine stärkere soziale und kognitive Vernetzung zwischen Menschen herbeiführen können – wohlgemerkt: können! Bisher ist allerdings lediglich der Ersatz von Tafel, Papier, Stiften etc. durch ihre elektronischen Verwandten angedacht, einschließlich des Abschaffens der Lehrer, die dann nur noch Lernbegleiter sind. Das ist – leider – kein Witz.

Wenn nun aber in der Vorschule Tablets Malkasten und Buntstifte ersetzen, Smartboards die Tafeln aus den Klassenzimmern verbannen und Studierende auf dem Laptop tippen, anstelle Papier und Stift zur Hand zu nehmen, hat das absolut keinen Vorteil auf den Lernprozess, im Gegenteil sind sogar eher negative Effekte zu erwarten. So schneiden laut der Studie „The pen is mightier than the keyboard“ („Der Stift ist mächtiger als die Tastatur“) von Mueller und Oppenheimer 4) Studierende, die ihre Zeichnungen und Notizen von Hand anfertigen, selbst in komplexen Verständnisfragen besser ab als ihre Kommilitonen, die den Laptop benutzen. Das kann man sich gut vorstellen: Jemand, der eine Zeichnung von Hand anfertigt, muss verstanden haben, was er da zu Papier bringt, jemand, der nur kopiert, nicht.

Auch bei Powerpoint-Präsentationen wird eher den Folien gefolgt als dem Redner zugehört, es ist also wieder nur ein Ersatz des Redners durch die Technik und – um es mit Steve Jobs zu sagen: „Menschen, die wissen, worüber sie reden, brauchen keine Powerpoint.“ Leider gibt es auch zunehmend Dozenten, die den Begriff „Vorlesung“ wörtlich nehmen und ihren Studenten ausschließlich ihre Powerpoint-Folien vorlesen ohne irgendetwas hinzuzufügen oder wegzulassen.

Soll jedoch die Digitalisierung sinnvoll eingesetzt werden, muss es gelingen, die Menschen hierdurch stärker miteinander zu verbinden. Und das ist nicht der Fall, wenn sich Grundschüler mit dem Tablet innerhalb des Klassenzimmers Nachrichten schicken; hier wäre auch eine mündliche Kommunikation möglich, also ersetzt das Digitale das Menschliche. Australien hat diese Erfahrung bereits gemacht und rudert wieder zurück: hier wurden 2012 für 2,4 Mrd. AU$ Laptops in den Schulen eingesetzt, seit 2016 werden sie wieder eingesammelt, da die Schüler alles damit gemacht haben außer Lernen. 5)

Es hängt also nicht von der Technik, sondern von den Menschen ab, ob eine Digitalisierung neue Möglichkeiten eröffnet oder schnell an ihre Grenzen stößt. Und wenn bisher keine wirklichen Vorteile auf der Hand liegen, muss die Frage nach dem „Warum und Wozu“ erlaubt sein und sie sollte – angesichts der Gefahren – dringend gestellt werden.

Was man noch zu dem Thema wissen sollte: das Bundeswissenschaftsministerium wird von Vertretern der IT-Wirtschaft beraten. Auf der eigens dafür eingerichteten Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ werden die Akteure genannt: Von Bitkom, der Gesellschaft für Informatik (GI) über Microsoft, VW, SAP bis zur Telekom findet sich alles. Wen man vergeblich sucht, sind Kinderärzte, Pädagogen, Lernpsychologen und Neurowissenschaftler, die sich mit den Folgen der Nutzung von Bildschirmmedien bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Der Unternehmerverband Bitkom hat sogar einen Smart-School-Wettbewerb ausgeschrieben oder Schulen werden ganze Tablet-Klassensätze geschenkt, während der Bertelsmann-Konzern die passenden Gutachten dazu liefert 6) . Warum also das Ganze?

Wie wir alle wissen, gehen insbesondere Kinder und Jugendliche noch recht sorglos mit ihren Daten um, insbesondere im Kontakt mit Freunden, mit vertrauten Personen. Aber der Computer, das Smartphone, das Tablet… sie speichern alles, es ist eine gigantische Sammlung von Daten, BigData genannt: „Mit der Digitalisierung verwandeln wir unser Leben, privat wie beruflich, in einen Riesencomputer. Alles wird gemessen, gespeichert, analysiert und prognostiziert, um es anschließend zu steuern und zu optimieren“ 7) . Und wie reagieren die meisten? „Ich habe eh nichts zu verbergen.“ Und so liefert jeder Smartphone-Besitzer freiwillig die Daten zur eigenen Überwachung und Steuerung, welche bisher nur bei strafrechtlich relevantem Verhalten erhoben werden durften. 8)

Zu all dem kommen dann noch die gesundheitlichen Gefahren durch die Strahlen, die jedes Smartphone, jedes Tablet, bei dem das WLAN aktiv ist, permanent sendet und empfängt. Es liegen Erkenntnisse aus mehr als 50 in seriösen Fachzeitschriften veröffentlichten Arbeiten vor, die nachweisen, dass die Belastung zu Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, ADHS, Spermienschädigungen bis hin zu DNA-Strangbrüchen und damit zu Krebs führen kann. 9) Aber das ist ein anderes Thema.

1) Forschung&Lehre 8/17, „Lernen bleibt Lernen“, Digitalisierung in der Pädagogik, von Prof. Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg (S. 610+611)
2) BMBF (2017): Pressemitteilung des BMBF 059/2017 vom 06.06.2017
3) Blikk (2017): https://www.drogenbeauftragte.de/ internationales/europaeische-union/europaeischer-drogenbericht.html
4) http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0956797614524581 am 20.01.2018
5) Spitzer, M (2017): Digital 0.0. Wider die postfaktische Bildungspolitik, Nervenheilkunde 4/2017, S. 205-212
6) https://www.bildung-forschung.digital/files/BMBF_Digitale_Bildung_Zwischenbericht_A4_webRZ.pdf, S. 23, 23.05.2018
7) Hofstetter, Y. (2016): Das Ende der Demokratie. Wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und uns entmündigt, München, S. 37
8) Peter Hensinger: iDisorder: Auswirkungen der Digitalisierung des Erziehungswesens auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, erschienen in „umwelt · medizin · gesellschaft“ | 30 | 4/2017
9) DIAGNOSE-FUNK (Hrsg.) (2013a): Tablet-PCs und andere WLAN-Geräte: Ein Bildungs- und Gesundheitsrisiko für Kinder und Jugendliche, Brennpunkt; 2103