Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) – Segen oder Sackgasse? (Fh 2016/4)

von Johannes Resch

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist nicht neu. Es gibt verschiedene, viel diskutierte Konzepte, wie z.B. von Dieter Althaus (ehem. Ministerpräsident von Thüringen) oder von Götz Werner 1) (Unternehmer mit anthroposophischem Hintergrund). Hier soll auf die allgemeinen Grundsätze eines BGE eingegangen werden, wie sie vom „Netzwerk BGE“ in einer 52-seitigen, stark bebilderten Broschüre 2) mit eingestreuten kleinen Texten dargestellt werden.

Daraus ist zu entnehmen, dass das BGE „ohne Bedürftigkeitsprüfung“ und „ohne Zwang zur Arbeit“ gewährt werden soll. Es solle „die Existenz und die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben“ sichern. Niemand müsse mehr „Angst vor Armut“ haben.

Dann folgt eine Beschreibung der Arbeitswelt mit bezahlter Arbeit und unbezahlter Arbeit. Zu letzterer gehöre vor allem die familiäre „Sorgearbeit“ für Kinder und Pflegebedürftige, die „Eigenarbeit“, also Tätigkeiten für sich selbst, und ehrenamtliche „Arbeit für das Gemeinwesen“.

Nach dieser Beschreibung wäre zunächst die Frage zu stellen, ob diese beschriebenen Verhältnisse gerecht bzw. sachlich begründet sind:

  • Einfach zu beantworten ist das bei der „Eigenarbeit“. Wer seine Zähne putzt oder in seinem Garten arbeitet, mag das als „Arbeit“ betrachten. Aber sie/er hat keinen Anspruch auf eine Gegenleistung. Sie/er tut diese Arbeit für sich selbst. An wen sollte sich der Anspruch richten?
  • Die ehrenamtliche Arbeit erfolgt definitionsgemäß ohne Bezahlung. Dafür hat sie den Vorteil, dass sie freiwillig erfolgt und jederzeit aufgegeben werden kann. Wer mit der „Ehre“ als Anerkennung nicht zufrieden ist, kann diese Arbeit lassen oder eine Bezahlung fordern. Dann wird sie zur Erwerbsarbeit.
  • Wie ist es aber nun mit der familiären Sorgearbeit? Die Erziehung von Kindern und die Pflege von Angehörigen war noch vor 150 Jahren eine Tätigkeit, die sich innerhalb der Familie auszahlte. Familie war damals auch ein Wirtschaftsunternehmen zur Bewältigung sozialer Aufgaben. Bezogen auf die Familie war es „Eigenarbeit“: Wer Kinder erzog, tat etwas für die eigene Sicherheit im Alter und bei Krankheit. Wer Kranke pflegte, ersparte der Familie die Kosten einer teuren Pflege durch andere. Gegen wen hätte sich ein Lohnanspruch richten sollen?
  • Aber wie ist das heute? Wer heute Kinder erzieht, sorgt dafür, dass in Zukunft Renten für die ganze eigene Generation gezahlt werden können. Er/sie sorgt also auch für die, die selbst keine Kinder haben. Wer heute Angehörige pflegt, erspart der Kranken- und Pflegeversicherung hohe Kosten, die bei einer außerfamiliären Pflege anfallen würden. Familiäre Erziehung und Pflege sind heute also Leistungen, die der ganzen Gesellschaft zugute kommen, aber trotzdem von ihr nicht angemessen honoriert werden. Ganz ohne Frage wurde hier eine große Ungerechtigkeit geschaffen, die mit dem Begriff „Ausbeutung der Eltern“ zutreffend charakterisiert wird. Diese Verhältnisse lassen sich nicht rechtfertigen, sondern nur erklären:
  • Wie konnte diese Ungerechtigkeit überhaupt entstehen? Der Schlüssel dafür liegt in der Überheblichkeit der Männer, die Kindererziehung und Pflege als „Frauentätigkeiten“ und als der Erwerbsarbeit nicht gleichwertig ansahen. Diese Erwerbsideologie führte zur Nichtberücksichtigung der zeitaufwändigen Erziehungsarbeit bei der Rentenreform 1957, obwohl auch im geschaffenen Umlageverfahren allein die Erziehung von Kindern die Voraussetzung für die Renten der eigenen Generation schafft, während die Beiträge der Erwerbstätigen lediglich die Renten der vorangegangenen Generation finanzieren. Inzwischen wird diese frauenfeindliche Haltung aber nicht mehr nur von den Männern vertreten, sondern auch von den Interessenvertretern und -vertreterinnen der Wirtschaft, den Gewerkschaften, den Arbeitgebern und der davon geprägten Politik. Die schwache Lobby der ausgebeuteten Eltern hat demgegenüber kaum Einfluss. Auch der Kampf um die Emanzipation der Frauen hatte nicht die Gleichberechtigung der familiären Sorgearbeit auf der Agenda, sondern nur eine Gleichstellung im Erwerbsleben, die den Frauen keine freie Wahl mehr lässt und sie damit letztlich bevormundet anstatt befreit.

Heute wird immer deutlicher, dass die Nichtbeachtung der familiären Sorgearbeit in eine Sackgasse führt. Wenn das Umlageverfahren im Rentenrecht Bestand haben soll, gibt es nur eine sachlich saubere Lösung: Es ist ein vergleichbares Umlageverfahren für den Unterhalt und die Erziehung von Kindern zu schaffen, bestehend aus einer Grundsicherung für alle Kinder und einer angemessenen Honorierung der familiären Erziehungs- und Pflegearbeit.

Befürworter eines BGE argumentieren oft, dass dadurch auch der Unterhalt der Kinder gesichert und die Erziehungsarbeit honoriert würde. Was den Unterhalt der Kinder angeht, stimmt das. Ein BGE für Erwachsene wäre aber keine Honorierung der elterlichen Erziehungsund Pflegearbeit, weil es unabhängig davon gezahlt würde. Die Ungerechtigkeit gegenüber der familiären Sorgearbeit bestünde unverändert fort. Diese würde weiter behandelt wie Nicht-Arbeit und entsprechend gering geschätzt. Im Übrigen könnten viele Empfänger des BGE beliebig zuverdienen. Wer Kinder erzieht, könnte das nicht.

Ein BGE in der geforderten Höhe, das „die Existenz und die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben“ sichert, müsste heute bei etwa 1000 €/Monat liegen. Bei diesem Betrag wäre das ein Finanzbedarf von ca 700 Mrd. €/ Jahr. Aber der ganze Bundeshaushalt für 2015 beträgt nur 299 Mrd. €. Leistungen in gleicher Höhe für alle Mütter oder Väter, die ein U3-Kind betreuen, würde dagegen nur etwa 20 Mrd. € kosten. Dabei wären die zusätzlichen Mittel weit geringer, weil die heutigen Ausgaben für Elterngeld, staatliche Krippenfinanzierung, Hartz IV u.a. weitgehend entfielen. Dieser Zahlenvergleich zeigt schon, dass eine Honorierung der Erziehungs- und Pflegearbeit (auch ohne Beschränkung auf U3-Kinder) weit realistischer ist als ein BGE für alle. Aber was entscheidend ist: Die jetzt seit Jahrzehnten bestehende Minderbewertung der familiären Sorgearbeit würde aufgehoben oder wesentlich reduziert.

Irritierend in der Broschüre ist auch die Forderung, bezahlte und unbezahlte Arbeit solle „zwischen Frauen und Männern gleich verteilt werden“. Wie soll das gehen bei einem kinderlosen Ehepaar, wo die familiäre Sorgearbeit gar nicht anfällt? Eine andere Verteilung zwischen den Eltern würde nichts an der Minderbewertung der Sorgearbeit ändern. Die Ungerechtigkeit bliebe bestehen. Eine Gleichberechtigung der Geschlechter wird erst möglich werden, wenn die familiäre Sorgearbeit der herkömmlichen Erwerbsarbeit durch Honorierung gleichgestellt wird.

Die Feststellung „Maschinen machen in immer mehr Bereichen menschliche Arbeitskräfte überflüssig“ ist richtig. Aber warum soll das ein Problem sein? Ist es nicht vielmehr eine große Chance, weil die frei werdende Arbeitskraft eingesetzt werden kann, um heute nicht oder schlecht geleistete Arbeit im Sorge- und im Umweltbereich zu leisten? Auch die Automatisierung ist zu begrüßen, weil sie hohe Lohnkosten für bisherige Industriearbeit einspart, die dann zur Finanzierung von bisher unbezahlter Sorgearbeit verwendet werden können. Die gesparten Lohnkosten landen ja als Profit bei den Maschinenbesitzern, deren Gewinne entsprechend zu besteuern wären, um Sorgearbeit finanzieren zu können. Der Kurzschluss „die Maschinen nehmen uns die Arbeit weg“ ist wieder nur erklärbar durch ein männlich geprägtes Denken, das vor allem die herkömmliche Arbeit der Männer im Blick hat. Der massiv gesteigerte Arbeitskräftebedarf im sozialen Bereich (Erziehung, Pflege, Bildung usw.) wird übersehen. – Die frei werdenden Arbeitskräfte und Mittel sollten also verwendet werden, um diejenigen Arbeiten zu bezahlen oder erst zu ermöglichen, die auf mehr Menschlichkeit und Nachhaltigkeit in der Gesellschaft abzielen. Ein BGE leistet das nicht.

Ein BGE wird oft begründet mit dem „Recht auf eine menschenwürdige Existenz“. Dieses Recht steht außer Zweifel. Aber es ist untrennbar verbunden mit der Pflicht, nach Kräften zum eigenen Unterhalt beizutragen. Wer das nicht will, kann auch nicht von anderen verlangen, für seinen Unterhalt zu sorgen. Nur wer das nicht kann, hat einen Anspruch auf Hilfe durch die Gesellschaft. Wie soll einem schwer arbeitenden Bauarbeiter oder Eltern mit drei kleinen Kindern klar gemacht werden, dass sie Lohn-, Umsatz- und Ökosteuern zahlen sollen, damit jemand anderes nicht zu arbeiten braucht?

In der Broschüre steht weiter: „Der wohlhabende Teil der Gesellschaft muss angemessen zur Finanzierung des Grundeinkommens beitragen“. Aber das BGE soll von den Steuern bezahlt werden. Und Steuern zahlen eben nicht nur die „Wohlhabenden“. Zu befürworten ist allerdings, dass die heute im Vergleich zu Erwerbseinkommen sogar geringer besteuerten Kapitaleinkommen höher besteuert werden. Aber die dadurch generierten Mehreinnahmen sind zunächst dazu zu verwenden, bisher nicht bezahlte Arbeit, die für die Gesellschaft geleistet wird, zu bezahlen, anstatt sie für ein BGE einzusetzen.

Wenn die Bindung zwischen Arbeit und Lohn aufgehoben wird, wie es durch ein BGE geschieht, leidet die Arbeitsmotivation sowohl bei den Empfängern wie bei den Netto-Zahlern, weil für beide die Arbeit an Bedeutung verliert. Das wird sogar in der Broschüre zugegeben: „Abhängig Beschäftigte mit Grundeinkommen brauchen nicht jeden Job anzunehmen“ und „Arbeitnehmer/innen können mehr fordern und mehr mitbestimmen“. Aber wie neben dem BGE auch noch höhere Löhne erwirtschaftet werden sollen, wenn weniger gearbeitet wird, bleibt im Dunkeln.

Die großen Experimente in den kommunistischen Staaten haben überzeugend gezeigt, dass eine Entkopplung von Leistung und Lohn nicht funktioniert, sondern letztlich im wirtschaftlichen Desaster endet. Damit soll nicht gesagt werden, dass in den konkurrierenden kapitalistischen Staaten uneingeschränkt das Leistungsprinzip gilt. Die hohen, steuerlich begünstigten Kapitaleinkommen sind sicher nicht leistungsgerecht. Aber das ist durch Besteuerung korrigierbar. Es gibt jedoch keine Rechtfertigung, das Leistungsprinzip weiter auszuhöhlen. Wir benötigen nicht weniger sondern mehr Leistung, wenn wir die Gesellschaft menschlicher und nachhaltiger gestalten wollen.

Fußnoten:

1) Ein Briefwechsel zwischen Götz Werner und dem Verband Familienarbeit wurde in Familienarbeit heute (Heft 3/2013) veröffentlicht.

2) Mehr Freiheit durch Grundeinkommen, Netzwerk Grundeinkommen, Herausgeber: Verein zur Förderung des bedingungslosen Grundeinkommens e.V., 2014