Equal Pay Day: „Berufe der Zukunft – was ist meine Arbeit wert?“ (Fh 2016/1)

von Gertrud Martin

Gedenktage haben Tradition. Sie heben hervor und ins allgemeine Bewusstsein, was den Menschen wichtig oder gar heilig ist. In katholischen Landstrichen Deutschlands war es noch vor wenigen Generationen üblich, Neugeborene am selben Tag auf den Namen des Kalenderheiligen zu taufen. Das erklärt Namensgebungen wie Athanas(ius), Makar(ius), Kreszenz(ia). Der Namenstag war auf jeden Fall bedeutsamer als der Geburtstag, erhoffte man sich doch für das Kind den lebenslangen Schutz des Namenspatrons. Seither wurden auch in der Welt der Gedenktage Fortschritte gemacht: Es gibt den Tag des Baumes, des Buches, des Wassers und den Steuerzahlergedenktag. Der „Tag der Arbeit“ wurde als Feiertag eingeführt und der Muttertag, der – ergänzt durch den Valentinstag – den vergesslichen Kindern bzw. Partnern eine goldene Brücke baut und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigert.

Neu auf der politischen Agenda erscheint nun der Equal Pay Day, zu deutsch in etwa: Tag des gleichen Gehalts. Am 3. November 2015 läutete Familienministerin Manuela Schwesig, unterstützt durch ein eigens gegründetes Forum, die Equal Pay Day Kampagne (EPD) 2016 ein. Der Gedenktag soll am 19. März begangen werden. Dieses Datum ergibt sich rechnerisch als der Tag, bis zu dem die erwerbstätigen Frauen in dem betreffenden Jahr „für umsonst“ arbeiten, weil sie – laut Statistischem Bundesamt (2014) – 21,6 Prozent weniger verdienen als die Männer. Für die EU errechnet sich ein Defizit von circa 16 Prozent.

Schon seit Langem empören sich die VorkämpferInnen der Gleichberechtigung von Mann und Frau darüber, dass in der Wirtschaftswelt Frauen, die die gleiche Arbeit verrichten wie ihre Kollegen, oft trotz Tarifverträgen weniger verdienen. Wie das ganz legal geht, machte seinerzeit Barbara Dürk (Geschäftsführerin der Gesellschaft für beteiligungsorientierte Beratung, GbB, früher Gewerkschaftssekretärin bei der ÖTV Hessen etc. pp.) anhand des Bundesangestelltentarifs im öffentlichen Dienst deutlich: Während zum Beispiel der in BAT VII eingestufte Beruf der Erzieherinnen relativ pauschal in knappen Sätzen umrissen wird, ohne ihm eine beachtliche Selbstständigkeit und Verantwortlichkeit zuzubilligen, wird der höher eingestufte Beruf eines Gärtners im Hessischen Lohnrahmentarifvertrag blumenreich als eine „besondere verantwortliche Stellung für die selbständige Betreuung von hochwertigen Spezialsammlungen…und sehr schwierigen Kulturpflanzen“ beschrieben. Auch den meist männlichen Tierpflegern im Frankfurter Zoo wird zugestanden, dass sie sich „in der Menschenaffen-Anlage… in besonders verantwortlicher Stellung (befinden), die besonders schwierigen Tiere zu betreuen, behandeln, und zu überwachen“. Auch wenn Kinder nicht unbedingt mit Menschenaffen vergleichbar sind, so sind sie kaum weniger schwierig zu betreuen, zu behandeln und zu überwachen – oder ohne Ironie gesprochen: Wie kann es sein, dass das Betreuen von Pflanzen oder Menschenaffen höher eingestuft wird als das Betreuen von Kindern?

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass das Problem schon da beginnt, zu entscheiden, welche Arbeiten nun „gleiche“ bzw. „gleichwertige“ Arbeiten sind und wie abhängig von den gesellschaftlichen Werten und Normen solche Einschätzungen sind. Entsprechend schwanken die Berechnungen des berühmten „Gender Gaps“ zwischen 7 und 22 Prozent, je nach Sichtweise. Viele Arbeitgeber streiten ab, dass es diese Benachteiligungen der Frauen überhaupt gebe, wobei sie aber nach wie vor befürworten, die innerbetriebliche Geheimhaltung der Lohn- und Gehaltszahlungen unter ihren MitarbeiterInnen beizubehalten. Es ist folglich gar nicht möglich, verbindliche, mit Zahlen belegte Aussagen zum Ist-Stand bei der Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zu treffen.

Trotzdem nun also die Equal Pay Day Kampagne 2016. Mit dem Themenschwerpunkt „Berufe der Zukunft – Was ist meine Arbeit wert?“ hat Frau Schwesig die Lohngleichheit zum wichtigsten gleichstellungspoltischen Projekt erkoren und will endlich ihr viel und kontrovers diskutiertes Entgeltgleichheitsgesetz durch den Bundestag bringen. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass alle Unternehmen mit über 500 Beschäftigten dazu verpflichtet werden sollen, offenzulegen, wie viel Frauen und Männer in den einzelnen Gehaltsgruppen verdienen.

So weit, so gut – und so armselig! Aus Sicht des Verbands Familienarbeit greift diese Initiative viel zu kurz, weil sie – wie schon die Quotendiskussion – nur das Anliegen einer vergleichsweise kleinen Anzahl erwerbstätiger Frauen in den Fokus nimmt, während die Bedürfnisse der Frauen-Mehrheit, nämlich der Frauen, die Mütter und/oder ohnehin in typisch weiblichen und damit für Männer und Frauen gleichermaßen schlecht bezahlten Jobs tätig sind, außen vor bleiben.

Fakt ist: Frauen können, wenn sie zum Beispiel im pflegerischen, sozialen, hauswirtschaftlichen Bereich erwerbstätig sind, keine vergleichbaren Einkommen erzielen wie Männer in traditionell männlich konnotierten Arbeitsbereichen. Dem ist nicht dadurch abzuhelfen, die Frauen aufzufordern, doch nur ja keinen „typisch weiblichen“ Beruf zu ergreifen (etwa um Platz für eine Familie zu lassen), sondern mit den Männern um ihre besser dotierten Arbeitsplätze zu konkurrieren. Zum Ausprobieren und Anwerben wurde der Girls‘Day eingeführt, ein Tag, an dem Schülerinnen an der Werkbank ihr Talent fürs Technische erproben können. Gegenläufig sollen dann die Männer im Sinne ihrer „Gleichberechtigung“ den Reiz der Fürsorglichkeit für andere und der damit verbundenen Minderbezahlung entdecken. Ein Boys‘Day, an dem Schüler in Pflegeeinrichtungen oder Kindertagesstätten hospitieren, soll es richten.

Das Experiment des Eröffnens neuer beruflicher Orientierungen für beide Geschlechter ist nicht an sich zu verurteilen. Verborgene Begabungen können entdeckt und genutzt werden. Grotesk wird es allerdings, wenn ausgerechnet die Frauenrechtlerinnen darauf verzichten, die miserable Werthaltung der „weiblichen“ Tätigkeiten zu thematisieren und hier die Forderung zur Gleichstellung nicht von Mann und Frau, sondern der „männlichen“ Arbeitswelt mit der „weiblichen“ zu formulieren und mit Nachdruck zu vertreten. Mit diesem Verzicht machen sie sich zu Wasserträgerinnen des patriarchalen Denkens, das zu bekämpfen sie vorgeben. Von dieser Meinung hob sich noch Ende der 1990er Jahre die Äußerung der Soziologin Susanne Lüpsen deutlich ab, als sie feststellte: „Eine feministische Politik müsste die Macht der Frauen nicht dort zu verwirklichen suchen, wo frau sich noch nicht befindet, in den Chefsesseln und Führungsposten, sondern in denjenigen Bereichen ansetzen, wo die Frauen hier und heute bereits vertreten sind: in Hausarbeit und ungeschützten Erwerbsverhältnissen.“ Und, so ließe sich ergänzen, in den „typisch weiblichen“ Berufen. Eigentlich liegt es doch auf der Hand, dass zum Beispiel Standards einer humanen Kranken- und Altenpflege für eine Gesellschaft das gleiche Gewicht haben müssen wie der Bau von Häusern oder Autos. Der Kabarettist Volker Pispers bringt es auf den Punkt, wenn er twittert: „2014 hatte der VW-Chef 17 Millionen Euro Gehalt. Als Pflegekraft arbeiten Sie dafür 800 Jahre.“

Wenn es den KämpferInnen des Equal Pay Days wirklich um Lohngerechtigkeit geht, müssen sie angesichts der bestehenden Schieflage bei der gesellschaftlichen Wertung von Arbeit ansetzen. Wenn es um die Frage geht „Was ist meine Arbeit wert?“ müssen sie also zuvörderst die Frage stellen: Was ist welche Arbeit wert? Und auch der Arbeitsbegriff muss neu definiert werden, denken doch die meisten Menschen heute bei dem Wort Arbeit lediglich an Erwerbsarbeit – nicht aber an unbezahlte Arbeit, die innerhalb von Familien geleistet wird und ohne die unsere Gesellschaft überhaupt nicht existieren könnte. Der Löwenanteil dieser unbezahlten Arbeit wird von Frauen gestemmt – und geht von deren Zeit und Kraft für eine Erwerbsarbeit ab. Auch Halbtagsjobs und Dreivierteljobs, fehlende Überstundenbezahlung und so weiter sind Gründe dafür, dass Frauen weniger verdienen.

Am eklatantesten zeigt sich diese Verweigerung der Gleichbewertung männlicher und weiblicher Arbeitswelten in der Familienpolitik. Mütter und Väter sollen „gleichberechtigt“ erwerbstätig sein, möglichst in Vollzeit. Um zu vertuschen, dass dies nur zum Preis der massiven Vernachlässigung der Präsenz der Eltern bei ihren Kindern möglich ist, wurde die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ erfunden. Wer nun glaubt, diese Vereinbarkeit werde hergestellt, indem die Familienarbeit durch eine entsprechende Honorierung als zweiter, gleichberechtigter Pfeiler elterlicher Biografien installiert wird, sieht sich getäuscht. Vielmehr sollen die Eltern auf die Festlegung des Grundgesetzes, nach dem „die Pflege und Erziehung der Kinder ihr natürliches Recht und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ ist, verzichten und ihre Kinder baldmöglichst und weitgehend in fremde Hände geben. Diese fremden Hände nehmen dann selbstverständlich die den Eltern verweigerte Bezahlung in Anspruch. Das Equal-Pay-Prinzip läuft für die elterliche Erziehungsarbeit darauf hinaus, dass sie seither den Müttern unentgeltlich abverlangt wurde und künftig zu denselben Bedingungen den Vätern aufgeschwatzt werden soll. Wie verdreht ist das denn?

Der Aufwand, den die Politik betreibt, um angeblich sicherzustellen, dass allen Kindern bestmögliche und gerechte Entwicklungs- und Bildungsbedingungen geboten werden, zeigt, dass die Erkenntnis „Kinder sind unsere Zukunft“ durchaus präsent zu sein scheint. Eine leistungsfähige und -bereite nachwachsende Generation ist nicht nur Trägerin der umlagefinanzierten Sozialkassen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, sondern auch die Garantin wirtschaftlicher Prosperität und Innovationskraft. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet die Familie, die der natürliche Wurzelgrund für eine entsprechende Entwicklung der Kinder ist, aus dieser Aufgabe herausgedrängt wird.

Die Auswirkungen einer seit Jahrzehnten die elterliche Erziehungsarbeit diskriminierenden Politik werden täglich offensichtlicher: Es fehlt den Eltern an Ruhe und Zeit für eine zugewandte Erziehung ihrer Kinder. Sie zweifeln zunehmend selbst an ihrer Erziehungskompetenz und bringen den Alltag nur „irgendwie“ hinter sich, mithilfe von Fastfood, Fernsehen und Vermeiden erzieherischer Konfliktsituationen. Mit einer Gleichstellungsideologie, die speziell Eltern aus dem Gleichberechtigungsanspruch ausschließt, richtet die Politik irreparablen Schaden an.

Wir Eltern fordern eine Antwort auf unsere Frage: „Was ist unsere Arbeit wert?“

Das Argument, Eltern erzögen ihre Kinder nicht eines Lohns oder des Rentenanspruchs wegen, sondern einfach aus Liebe, ist ebenso richtig wie blauäugig, denn Liebe ist nichts, wovon sich abbeißen, sprich die wirtschaftliche Unabhängigkeit für die erziehende Person sichern ließe. Es kann nicht länger sein, dass Mütter bei Scheidung oder Tod des „Familienernährers“ vor dem existentiellen Nichts stehen. Der ultimative Zwang zur Erwerbstätigkeit ist keine Alternative!