Artgerechte Haltung (Fh 2014/3)

von Wiltraud Beckenbach

Es stimmt schon sehr nachdenklich, wenn sich in Deutschland ca. 800.000 Menschen in Vereinen für den Tierschutz einsetzen und nur ca. 50.000 für den Schutz von Kindern.

Beim Tierschutz ist fast alles geregelt. So muss die Grundfläche eines Zwingers je nach Größe des Hundes zwischen 6 und 10 qm betragen. Eine bundesweite Vorschrift für die Größe eines Kinderzimmers existiert nicht. Das Zur-Schau-Stellen von Tieren unterliegt strengen Richtlinien. Zoos sind die mit am stärksten kontrollierten Einrichtungen. Hier wird immer wieder nachgebessert, damit alle Tiere artgerecht versorgt sind; gegebenenfalls wird die Haltung eines Tieres verboten.

Stellen wir uns jetzt einmal vor, man würde im Zoo lebende Pavian-, Orang-Utan- oder Bonobokinder tagsüber getrennt von ihren Müttern in „Krippen“ unterbringen, die auch noch minderer Qualität sind. Eine Flut von Klagen der Tierfreunde käme auf die Gerichte zu. Allein die Krippenunterbringung wäre als nicht artgerecht der erste Klagepunkt. Hinzu käme die Kritik an der Gruppengröße und fehlender Zeit zur Zuwendung für die Affenkinder.

Von Protesten oder gar Klagen der Kinderschützer, die die Qualität der Unterbringung in Krippen oder das Zur-Schau-Stellen von Menschenkindern, etwa in Fernsehshows und „Talentwettbewerben“, bemängeln, hörte man
bislang nichts. Im Gegenteil, eine Fremd­betreuung von Kindern schon in frühen Jahren wird als förderlich für Kinder und Mütter angepriesen.

Was ist dran an der schönen neuen Krippenwelt?
In der sog. NUBBEK-Studie (1) untersuchten Fachleute 600 Betreuungseinrichtungen in acht Bundesländern auf ihre pädagogische Qualität. Geprüft wurden u.a. frühkindliche Bildung, Gruppengröße, Zuwendung durch Erzieher/innen. Etwa 2.000 zwei- bis vierjährige Kinder und ihre Familien nahmen teil. Mit dem Betreuungspersonal wurden Tests und Interviews durchgeführt.
Fazit: Von guter Qualität waren rund 10 Prozent der Einrichtungen, 80 Prozent lagen im Mittelfeld und 10 Prozent wurden als „unzureichend“ eingestuft. Seit 15 Jahren habe sich in diesem Bereich nichts wesentlich verbessert, kritisierten die Forscher. Das wird sich meiner Meinung nach auch nicht ändern, weil die meisten Kommunen bereits heute finanziell unterversorgt sind.

Wir lernen: Was in der Theorie vorteilhaft erscheinen mag, taugt in der Praxis wenig. Wir sollten nicht immer mehr Krippen fordern, sondern immer bessere. Oder vielleicht auch einmal in ganz andere Richtungen denken: Warum bloß wird buchstäblich auf Gedeih und Verderb den Kindern eine viel zu frühe, stundenlange Trennung vom Elternhaus zugemutet, Stress, der sich durch den oft viel zu langen Aufenthalt in zu großen Gruppen verstärkt? Wer fragt die Kinder, was sie möchten? Wer fragt die Mütter? Viele würden – könnten sie sich ohne Druck entscheiden – gerne ihr Kind selbst ins Leben begleiten.

Welche Fragen und Forderungen wir auch stellen, eines ist klar: Es ist höchste Zeit für eine artgerechte Haltung unserer Kinder zu kämpfen!

Fußnoten:
1) NUBBEK – Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit. Homepage: http://www.nubbek.de

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