Familienarbeit und Erwerbsarbeit – besser nacheinander? (Fh 2014/3)

von Jana Inka Krenk

VERFÜGBARKEIT – FÜR WEN?
Seit Beginn der 1970er Jahre hat sich die Einkommenssituation für Familien mit Kindern in Deutschland erheblich verschlechtert, erklärt die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) auf ihrer Homepage und empfiehlt, alle kulturellen und institutionellen Barrieren niederzureißen, die der Erwerbsarbeit von Eltern entgegenstünden. Wörtlich heißt es: „Besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, ob Mütter mit kleinen Kindern auf eine gut ausgebaute Kinderbetreuungsinfrastruktur zurückgreifen können, die es ihnen ermöglicht, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen.“(1) Damit reiht sich die bpb in den lauten Chor von Politikern und Medienbetreibern ein, welche eine ganztägige Kinderbetreuung in Krippen, Kitas und Ganztagsschulen fordern, um Eltern eine nahezu lückenlose Vollzeiterwerbstätigkeit zu ermöglichen. Tatsächlich – ob Mutter oder Vater: wer ganz oder teilweise aus der Erwerbstätigkeit aussteigt, um Fürsorgearbeit zu leisten, riskiert Wohlstand und Sicherheit, riskiert seine Existenz. Damit entfernen wir uns elementar von der elterlichen Fürsorge und bemerken nicht einmal, dass wir an einer großen Chance vorbeirennen.

FÜRSORGE FÖRDERT NACHHALTIGKEIT
Denn eine intensive Betreuung der eigenen Kinder verändert unsere innere Einstellung grundlegend. Das Einfühlungsvermögen wächst, individuelle Interessen werden den gemeinsamen untergeordnet, der Gerechtigkeitssinn wird geschärft und Harmonie in der Umgebung des Kindes gepflegt. Der Schwächere wird gestärkt, unsoziales Verhalten sanktioniert und Chancengleichheit angestrebt.
Wir fühlen uns stärker der Wahrheit verpflichtet und besinnen uns auf unsere inneren Werte. Das Wunder der frühkindlichen Entwicklung flößt uns tiefen Respekt vor der Natur ein und weckt den Wunsch nach gesunder Ernährung, naturbelassener Kleidung und ökologisch verträglicher Lebensführung. Da uns die Kindererziehung eine immense zeitliche, seelische und finanzielle Investition abverlangt, richtet sich unser Blick auf die Zukunft: In welche Welt wachsen unsere Kinder hinein und was werden wir ihnen hinterlassen?

FÜRSORGE MACHT ZUKUNFTSFÄHIG
Finden nicht gerade diese neuen Prioritäten, die in den Eltern heranreifen, in unserer Wirtschaftsordnung zu wenig Beachtung? Wecken unsere Kinder in uns nicht genau das Bewusstsein, das wir bei globalen Entscheidungen am meisten vermissen? Werden nicht durch die Kindererziehung die Gegenpole zu unserer ich-orientierten, auf Konsum bezogenen und durch Profitdenken gesteuerten Denkweise geschult? Fließt Elternerfahrung nicht zu wenig in die wichtigsten gesellschaftspolitischen Entscheidungen ein? Die Antwort liegt auf der Hand, denn diejenigen, die Kinder großziehen, sind von den Spitzenämtern, Managerposten und Entscheidungsgremien weitgehend ausgeschlossen.

FÜRSORGE BRINGT ERFAHRUNG
Um an Spitzenposten in Wirtschaft und Politik zu gelangen, sind Vollzeitverfügbarkeit, Profitstreben und Konkurrenzkampf bis hin zum Mobbing die Regel. Mütter und Väter, die durch ihre Elternschaft neue Prioritäten setzen und unter Umständen für einige Jahre aus der Erwerbstätigkeit aussteigen, werden oft beruflich disqualifiziert. Damit koppeln wir einen grundlegenden Teil der natürlichen menschlichen Lebenserfahrung von den wichtigen gesellschaftspolitischen Entscheidungen ab, obwohl doch gerade diese Elternerfahrung uns tiefe Lebensweisheit bringt, die für die langfristige Sicherung unserer Lebensqualität dringend erforderlich ist. Doch die mangelnde Wertschätzung der Fürsorgearbeit in unserem erwerbsorientierten Umfeld hat noch weitreichendere Folgen:

STARKE WURZELN
Die institutionalisierte Kinderbetreuung bringt uns um den intensiven Kontakt zu unserem Nachwuchs. Gerade Arbeitgeber brauchen die nächste Generation von gesunden, leistungsfähigen und kreativen Mitarbeitern, daher sollten sie als erste die Kindererziehung in der Familie unterstützen. Eine sichere Bindung an die Eltern ist für ein Kind die wichtigste Voraussetzung für Bildung und Entfaltung sozialer Kompetenzen, also der wichtigsten Bestandteile jeder Qualifikation.
Zudem schwächt Fremdbetreuung auch den Prozess der elterlichen Persönlichkeitsreifung. Wenn wir Harmonie zwischen dem Ich und dem Wir, zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Technik und Natur herbeiführen möchten, brauchen wir den Bewusstseinswandel, den uns der intensive Kontakt zu unseren Kindern schenkt.

REIFE PERSÖNLICHKEITEN
Wer seine Kinder bewusst selbst betreut, erwirbt Werte wie globales Verantwortungsbewusstsein, Zukunftsorientierung und Wir-Denken. Eine wichtige Zusatzqualifikation, die in den höchsten Ämtern und Gremien dringend benötigt wird. Daher sollten erfahrene Eltern an allen wichtigen Entscheidungen an den Spitzen von Politik, Wirtschaft und Verwaltung beteiligt sein. Dies würde den vieldiskutierten Frauenquoten Sinn verleihen, allerdings müssten wir die Quoten auch auf erziehende Väter ausweiten. Wir müssen endlich einsehen, dass die aktive Elternrolle eine völlig neue Wertschätzung verdient und gleichzeitig nur eine Phase im Leben ist.

NEUE PERSPEKTIVEN
Heute stehen uns fast 50 Berufsjahre zur Verfügung – eine Zahl, die vermutlich gemeinsam mit der Lebenserwartung weiter ansteigen
wird. Warum können wir nicht für fünf oder zehn Jahre aus der Erwerbstätigkeit aussteigen, um uns vollständig unseren Kindern zu widmen? Ein späterer Berufseinstieg oder eine mehrjährige Unterbrechung der Erwerbstätigkeit sind in Anbetracht der Länge des Erwerbslebens volkswirtschaftlich durchaus tragbar. Familien- und Erwerbsarbeit sind vereinbar: jedoch nicht gleichzeitig, sondern nacheinander! Für Eltern und Kinder wäre dies eine natürliche, entspannte und effiziente Lösung – und allen Unkenrufen zum Trotz: Sie wäre finanziell für Staat und Familien tragbar, wenn der politische Wille vorhanden wäre.

ERZIEHUNGSGEHALT
Heute wünschen sich die meisten Eltern mehr Zeit für ihre Kinder, viele können sich aber einen teilweisen oder vollständigen Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit nicht leisten. Das Absurde ist, dass ein Kita-Platz – die Zuschüsse von Gemeinde, Land und Eltern aufaddiert – zwischen 2.000 und 3.000 Euro pro Kind und Monat kostet! Es ist eine politische Entscheidung, ob man damit die institutionelle Kinderbetreuung oder die Eltern finanziell unterstützt. Wann werden wir der Kindererziehung in der Familie den Stellenwert zugestehen, den sie wahrhaftig verdient?

AUSBLICKE
Eine faire Chance zum beruflichen Wiedereinstieg, insbesondere in hochqualifizierte Berufe, kann durch Schulungen, intensive Einarbeitung, flexible Arbeitszeiten, mehr Home-Office und Teilzeitjobs in allen Berufen erreicht werden. Dafür würden Eltern ihre Lebenserfahrung in die bezahlte Arbeit tragen und damit die gesellschaftlichen Entscheidungen in Richtung mehr globaler Verantwortung, mehr Harmonie in zwischenmenschlichen Beziehungen und mehr Respekt vor der Natur lenken. Durch das zukunftsorientierte Wir-Denken würde uns die Qualifikation „Elternerfahrung“ rund um den Globus mehr Frieden, Wohlstand und Lebensqualität sichern.

Über die Autorin:
Jana Inka Krenk ist Diplom-Volkswirtin, Fachdozentin für Projektmanagement und soziale Kompetenzen und Autorin des Buches „Hier darf ich Frau sein – Hier bin ich Mann: Die weibliche und die männliche Weisheit“ (2012). Als Gründungsmitglied des gemeinnützigen Vereins „Eltern bestimmen selbst. Echte Wahlfreiheit durch ein Erziehungsgehalt!“ e.V. setzt sie sich für eine größere Anerkennung der Elternrolle ein. Nähere Informationen unter www.eltern-bestimmen-selbst.de

Fußnote:
1) Jutta Träger (2009), Familienarmut: Ursachen und Gegenstrategien. http://www.bpb.de/apuz/32050/familienarmut-ursachen-und-gegenstrategien

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