Lärm belastet nicht nur die Großen! (Fh 2013/4)

von Wiltraud Beckenbach

Zum Schutz gegen den alltäglichen Lärm gibt es Arbeitsschutzbestimmungen, Ruhezeiten in Wohngebieten, Nachtflugverbote und Schallschutzwände. Seit Monaten wehren sich Anwohner des Frankfurter Flughafens montags lautstark gegen den steigenden Lärmpegel. Bestärkt werden sie in ihrem Widerstand durch eine Studie der Mainzer Universitätsklinik aus dem Sommer 2013. „Fluglärm kann auch bei gesunden Menschen zu einer Schädigung der Gefäße führen und damit drastische Auswirkungen aufs Herz-Kreislauf-System haben. Fluglärm ist ein neuer Risikofaktor“, so der Klinikchef.

Auch Erzieherinnen und Erzieher in Kindertagesstätten klagen über den hohen Geräuschpegel am Arbeitsplatz und haben Stresserscheinungen. Die Folgen sind bei ihnen zunehmende Muskelspannung, steigender Blutdruck, Konzentrations- und Schlafstörungen, langfristig komme es zu Herz-Kreislauferkrankungen oder sogar zu Schwerhörigkeit.(1) Besonders störend sind die immer wieder hohen Spitzenwerte durch Schreien oder Toben der Kinder. Üblicherweise beträgt der durchschnittliche Geräuschpegel in Kindertagesstätten 60–70 Dezibel, ab einem Tagespegel von 85 dB gilt das als zu hoch. Hier wird z.B. Schwerhörigkeit als Berufskrankheit anerkannt.

Einer Arbeitsunfähigkeitsanalyse der Gesamthochschule Kassel aus 2001 zufolge erhöht sich der Krankenstand um 12 Prozent. Die Lärmsituation war häufiger Grund der Klagen. U.a. über den gesamten Arbeitstag verteilt wurde ein deutlich erhöhter Spitzenpegel von über 80 dB gemessen.(2)
2004 stellt eine Untersuchung von Dr. Bernd Rudow an 947 Erzieher­innen aus Kitas in BW überdurchschnittlich hohe psychische Belastungen durch Lärm, die große Anzahl verschiedenster Arbeitsaufgaben, Zeitdruck bei der Erfüllung dieser Aufgaben, die Größe der Gruppen, zunehmende Verhaltensprobleme bei Kindern, Personalmangel sowie fehlende Möglichkeiten zur Entspannung im Lauf des Arbeitstages fest. Mehr als die Hälfte des Personals fühlt sich durch Lärm ziemlich bis sehr stark belastet. Das bestätigt auch eine Studie der TU Dresden aus dem gleichen Jahr.

Schulkinder leiden unter Lärm
Schon Straßenlärm wirkt sich bei Schulkindern auf deren Lesefähigkeit aus.(3) Der Versorgungsbericht der Bundesregierung aus 2001 zeigt auf, dass bereits bei der Einschulung 5–10 Prozent der Kinder Hörverluste aufweisen, 25 Prozent alle Jungendlichen irreversible Hörschäden haben und 25 Prozent aller LehrerInnen Burnout Symptome haben, deren Erkrankungsquelle Lärm ist. 72 Prozent aller Lehrkräfte gehen im Durchschnitt mit 55 Jahren in den Vorruhestand, 50 Prozent davon wegen psychosomatischer Beschwerden.

Nicht nur die Lehrenden leiden. Bei den Kinder wird der Spracherwerb erschwert, das Kurzzeitgedächtnis wird beeinträchtigt, sie ermüden schnell, die Konzentration lässt nach, der Unterrichtsfluss wird gestört und das soziale Klima in der Klasse leidet.
Das alles wurde festgestellt, weil die Befragten sich dazu äußern konnten. So weigerte sich meine damals dreijährige Tochter, vormittags in den Kindergarten zu gehen, weil es ihr zu laut war. Auch wurden bei Beerdigungen – der Friedhof liegt direkt nebenan – die Rollladen heruntergelassen und die Kinder zur Ruhe ermahnt, damit man die Trauergemeinde nicht störte.

Die Kleinsten haben den größten Stress
Wie aber ist es mit den Kleinsten, den unter Dreijährigen? Hier kann man nur mutmaßen, dass auch sie leiden, und lediglich durch Messungen am Cortisolspiegel kann nachgeprüft werden, wie lange der Stresspegel oben bleibt. Bei ganztägiger Betreuung zeigen 80 Prozent der Kinder auffällige Werte. Die unter 2-jährigen leiden am meisten.
Ein gestiegener Cortisolspiegel wird von Fachleuten als Hinweis auf Strapaze und Angst interpretiert. Das kann einer kanadischen Studie zufolge auch nicht durch eine noch so gute Krippe ausgeglichen werden.
Da deutschlandweit 1/3 der Krippen geringe, 2/3 mittlere und lediglich 2 Prozent hohe Qualität besitzen, wird deutlich, was täglich auf unsere Kinder einströmt. So fanden die Bindungsforscher Karin und Klaus Grossmann heraus, dass ein 10 Monate altes Kind innerhalb 45 Minuten im Schnitt ca. 270 mal den Blickkontakt sucht.(4) Was bleibt für das Bedürfnis, wenn ein Kind gewickelt, ein anderes getröstet werden muss und die weiteren andere Anliegen haben? Wer kann für sie sorgen?

Lärm oder sonstige befremdliche Unwägbarkeiten können Kinder mit stabiler frühkindlicher Bindung besser wegstecken. Wenn jedoch diese Voraussetzung nicht gegeben ist, leiden die Kinder ihr Leben lang darunter.
Wer gegen Fluglärm mit seinen Folgen für die Gesundheit demonstriert, muss das auch für eine kindgerechte Entwicklung unserer Kleinsten tun. Unsere Kinder haben ein Recht darauf, denn nicht nur Fluglärm macht krank.

Quellen:
(1) Untersuchung des Amts für Arbeitsschutz und der Unfallkasse Nord
(2) Badura, Bernhard / Litsch, Martin / Vetter, Christian (Hrsg.) Fehlzeiten-Report 2001. Schwerpunkt: Gesundheitsmanagement im öffentlichen Sektor. Springer-Verlag, Berlin. (2002), S. 103
(3) Arline L. Bronzaft: The Noise From Wind Turbines: Potential Adverse Impacts on Children‘s Well-Being. In: Bulletin of Science Technology & Society Bulletin of Science, Technology & Society, 31(4) 291–295. SAGE Publications 2011.
(4) Karin Grossmann / Klaus E. Grossmann:
Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. 5., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl.
Klett-Cotta 2012, Seite 128 ff

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