Arme Frauen – Reiches Land! Wege aus der Frauenarmut (Fh 2012/4)

Öffentlicher Fachtag im Rahmen der Bundeskonferenz der Landesfrauenräte am 22. September 2012

Bericht von Silke Bürger-Kühn

Der jährliche Fachtag des Landesfrauenrats (LFR) Baden-Württemberg fand dieses Jahr als Teil der Bundeskonferenz der Landesfrauenräte im Marmorsaal des Neuen Schlosses in Stuttgart statt. Als Vertreterin unseres Verbandes und mit großem Interesse an dem Thema nahm ich teil.

Schon bei der Begrüßung führte die Vorsitzende Angelika Klingel in das Thema ein. Sie nannte zunächst die bekannten Gründe für Frauenarmut, insbesondere im Alter, z.B. lückenhafte Erwerbsbiographien und die Entscheidung für schlechter bezahlte Berufe. Zu meiner großen Überraschung ging sie dann darauf ein, dass die nicht marktorientierten Tätigkeiten, nämlich die Erziehungs- und Pflegearbeit, als nicht produktiv gelten und somit nicht im Bruttoinlandsprodukt erfasst werden. Sie nannte dies „widersinnig“. Hierzu ist anzumerken, dass der LFR bisher diesem Tatbestand, trotz regelmäßiger Hinweise unsererseits, keine Aufmerksamkeit gewidmet hatte.

Im ersten Kurzreferat ging Evelyne Gebhardt MdEP nochmals auf die großen Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen in Europa ein. Deutschland liege mit einem Gehaltsgefälle von 21,6 Prozent zum Nachteil der Frauen auf Platz 24 vor Tschechien, Österreich und Estland. Baden-Württemberg stehe mit 28 Prozent sogar noch schlechter da als das Schlusslicht Estland (27 Prozent). Für mich war neu, dass sich dies auf Vollzeitstellen im allgemeinen Durchschnitt und nicht im selben Beruf bezieht, hier sind es lediglich 8 Prozent Unterschied. Dies sei aber immer noch viel zu viel und wir Frauen müssten weiterkämpfen, war ihre Forderung. Denn diese ungleiche Bezahlung führe zu Altersarmut. Schon heute brauchten 400.000 alte Menschen finanzielle Unterstützung. Die Altersarmut in Deutschland sei also hausgemacht.

Manuela Rukavina, Soziologin und Mitglied im Vorstand des LFR, sprach über „Armut in Deutschland“. Es handele sich um „relative Armut“: wer weniger als 60 Prozent des Nettoäquivalenzeinkommens1) zur Verfügung hat, gilt als arm. Dieser Betrag liegt in Deutschland bei 826 € für eine Person. Eine vierköpfige Familie mit Kindern unter 14 Jahren gilt erst ab 1.735 € als arm – das ist der Grenzbetrag zur Armut zweier alleinstehender Erwachsener plus 83 €!
2011 waren 15,1 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, darunter etwas mehr Frauen als Männer. Die größte Sicherheit, nicht zu verarmen, hatten kinderlose Paare mit zwei Einkommen und hohem Bildungsabschluss in den alten Bundesländern. Rukavina machte insbesondere strukturelle Gründe dafür verantwortlich: 2/3 der unbezahlten Arbeit leisten Frauen, wohingegen 2/3 der bezahlten Arbeit auf Männer fällt. 2/3 der Beschäftigten im Niedriglohnsektor sind Frauen (Niedriglohn = weniger als 2/3 des Brutto-Durchschnitts-Stundenlohns von 10,86 €). Ebenso haben Frauen 2/3 der 400 €-Jobs inne, welche durchschnittlich aber nur 270 € einbringen. Für 2/3 der Beschäftigten stellen diese Minijobs die einzige Erwerbsarbeit dar. Weitere Gründe für Frauenarmut seien die niedrigeren Witwenrenten und das neue Unterhaltsrecht. Anschließend wetterte sie gegen das geplante Betreuungsgeld.

Birgit Wypior, Mitarbeiterin der Caritas Stuttgart, berichtete aus ihrer Arbeit in der Beratungsstelle: 57 Prozent der Hilfe suchenden Frauen können keinen Berufsabschluss nachweisen, 65 Prozent haben einen Migrationshintergrund und nur ein Drittel hat eigenes Einkommen. Sie forderte (mehr) Teilzeitangebote auch in der Ausbildung.

Im letzten Beitrag berichtete Diplom-Sozialwirtin Dagmar Weßler-Poßberg über ein Forschungsprojekt, an dem sie mitgewirkt hat: „Flexible Familienernährerinnen – eine Studie zur Entwicklung von Arbeitsbedingungen und Geschlechterverhältnissen in Ost- und Westdeutschland“. Dazu gehörte je ein Projekt in Ost- und Westdeutschland, bei dem die Familien- und Lebenssituation von jeweils 44 „Familienernährerinnen“ betrachtet wurde, d.h. von Frauen, die mindestens 60 Prozent des Familieneinkommens beisteuern. Dies sind 10 Prozent der Frauen insgesamt (darunter 1/5 Alleinerziehende). Bei den Männern verdienen 65,8 Prozent mehr als ihre Partnerinnen, und nur in 23,8 Prozent der Partnerschaften verdienen beide gleich viel. Die zentrale Frage war, ob der Status der Familienernährerin auch emanzipatorisch wirkt oder ob die geschlechtsspezifische Zuweisung unbezahlter Arbeit an die Frau bestehen bleibt. Aus Politik und Gesellschaft wird ja gern versichert, dass die Erwerbstätigkeit der Schlüssel zur Gleichstellung der Geschlechter sei. Tatsächlich sieht es aber so aus, dass 31 Prozent der „Familienernährerinnen“ höchstens 900 € brutto monatlich verdienen – bei den männlichen „Ernährern“ sind dies nur 4 Prozent. 27 Prozent der Frauen verdienen zwischen 900 und 1.600 € (Männer: 18 Prozent) und 42 Prozent über 1.600 € (Männer: 78 Prozent). In den beiden letzteren Gruppen haben 40 Prozent der männlichen Partner gar kein Einkommen.
Die erhoffte emanzipatorische Auswirkung auf das Geschlechterverhältnis blieb jedenfalls aus. Lediglich bei den „Bildungsgewinnerinnen“ stellte sie sich ein, da diese Frauen meist sehr erfolgsorientiert in „Männer­domänen“ tätig waren und somit auch eine gute Verhandlungsposition gegenüber ihrem Partner einnehmen konnten.
Die meisten Frauen jedoch übernahmen nur widerstrebend und ungewollt die „Ernährerinnen“-Rolle, z.B. wegen Erwerbsunfähigkeit des Partners. Sie bedauerten auch, dass sie keine Geduld mehr für die Kinder aufbrachten und nicht mehr genügend Zeit für sie hatten. Die Angst, dass die Kinder entgleisen könnten, weil die Mütter gezwungen waren mitzuverdienen, war groß.

Nachdem alle Vertreterinnen der Landesfrauenräte kurz Stand und Ziele ihrer Arbeit dargestellt hatten – lediglich Ulrike Kahl-Jordan aus Rheinland-Pfalz äußerte ihren Unmut über die mangelnde Wertschätzung der Familienarbeit und klagte die Anerkennung der Gleichwertigkeit von Fürsorge- (Care) und wirtschaftsgewerteter Arbeit ein – sollte eine Podiumsdiskussion stattfinden. Diese beschränkte sich allerdings auf kurze Forderungen der Referentinnen in Anlehnung an die Berichte aus den Landesfrauenräten. So wurden als dringendste Maßnahmen u.a. Mindestlöhne, Abschaffung der 400 €-Jobs und gleiche Beteiligung von Männern und Frauen an der Fürsorgetätigkeit verlangt. Weiterhin wurde gefordert, die „Hartz-IV“-Sätze zu erhöhen und Frauen, die noch Care-Tätigkeiten ausüben, nicht unter Druck zu setzen und insgesamt diese Tätigkeiten gerechter zu entlohnen. Außerdem sollten die Vermögenden mehr in die Pflicht genommen werden durch Erbschaftssteuer etc.
Das Publikum kam aus Zeitmangel wieder einmal nicht zu Wort, und für einen kurzen Zwischenruf waren meine Fragen zu lang. Daher schrieb ich einen Brief an Manuela Rukavina vom Landesfrauenrat, in dem ich ihr Fragen stellte: 1. Warum sollen Mädchen „männertypische“ Berufe wählen, auch wenn diese sie gar nicht interessieren? 2. Was sind die Folgen für die Gesellschaft, wenn tatsächlich niemand mehr Sorgetätigkeiten übernehmen will? 3. Welche gesundheitlichen Folgen sind aus der Mehrfachbelastung zu erwarten? Einen Auszug aus dem DAK-Gesundheitsbericht lieferte ich mit. Bisher habe ich noch keine Antwort erhalten.

Fußnote:
(1) Als Nettoäquivalenzeinkommen gelten hier alle Einkünfte aus Erwerbsarbeit, Unterhalt und Vermögen zuzüglich Mietwert selbst genutzten Wohn­eigentums minus Steuern und Pflichtbeiträgen zu Sozialversicherungen. Es bezeichnet den pro Kopf fiktiv verfügbaren Geldbetrag.

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